Das Jahr begann mit Hoffnung. Nachdem im Januar ein Treffen von Rechtsextremisten in Potsdam bekannt geworden war, kam es zur wohl größten Demonstrationsserie der bundesrepublikanischen Geschichte. An manchen Wochenenden gingen beinahe eine Million Menschen auf die Straße, um gegen die sogenannten "Remigrationspläne" zu demonstrieren, die eigentlich Pläne zur Massendeportation sind.
Das Jahr endet in Trübsinn. Endlich ist es vorbei – denken sowieso schon seit dem ersten Coronajahr 2020 viele Menschen am Ende eines jeden Jahres. Und auch 2024 hat diesen Bann nicht gebrochen. Gut, dass wir jetzt, bevor das Jahr ganz zu Ende geht, Weihnachten feiern. Denn im Weihnachtsfest steckt eine Botschaft, die – wenn Menschen sie wirklich aufnehmen – alles bereithält, was dieses Land braucht, damit das nächste Jahr besser wird.
Die Klimakatastrophe in ihrer ganzen Hässlichkeit
Die Geschichte vom Jesuskind, das in der Krippe liegt und der ganzen Welt Rettung bringen soll, ist eine Geschichte von Zuversicht in miesen Zeiten. Miese Zeiten – das könnte manchen Deutschen bekannt vorkommen. Zumindest, wenn man die Kommentare in den Zeitungen liest und die Aussagen von Politikern und Normalbürgern gleichermaßen beachtet, kann man den Eindruck bekommen, Deutschland habe die schlechteste Regierung aller Zeiten gehabt, alles liege am Boden, Deutschland sei mal wieder ein krankes Land. Und jetzt noch der Anschlag von Magdeburg. Von wo soll Hoffnung kommen? Aus der Geschichte, der Weihnachtsgeschichte.
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Aber es lässt sich wirklich nicht leugnen: Der Krieg im Nahen Osten wurde 2024 immer schlimmer, im Ukraine-Krieg ist kein Ende abzusehen, die Klimakatastrophe hat sich auch dieses Jahr wieder in ihrer ganzen Hässlichkeit gezeigt – 2024 war das wärmste Jahr seit Beginn der Messungen, das 1,5-Grad-Ziel ist schon erreicht oder besser gesagt Geschichte; Corona ist irgendwie auch noch da, wenn auch immer mehr in Form von Long Covid; am Horizont wetterleuchten schon weitere Pandemien wie die Vogelgrippe, die in Kanada und den USA auf Menschen überspringt. Es gibt eine wachsende Zahl an autoritären Regierungen weltweit und großen Erfolg der AfD sowie die Neugründung des BSW, einer weiteren populistischen Partei. Und schließlich der Anschlag von Magdeburg, bei dem ein Mann mit dem Auto in den Weihnachtsmarkt rast und fünf Menschen tötet und viele schwer verletzt.
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Nun kann man alldem auch Gutes gegenüberstellen. Auf der Habenseite steht etwa: Der Krieg in der Ukraine hat sich nicht weiter ausgeweitet – das war seit Beginn eine der großen Ängste. Die Abholzung des Amazonas in Brasilien ist um 30,6 Prozent im Vergleich zum vergangenen Jahr zurückgegangen. Die brasilianische Regierung will sie bis 2030 komplett stoppen; in Deutschland engagieren sich immer mehr Menschen ehrenamtlich, 90000 Menschen mehr als noch 2019. Nach hoher Inflation sind die Reallöhne in Deutschland 2024 deutlich gestiegen. Das Assad-Terrorregime in Syrien ist Vergangenheit.
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Es ist nicht einfach, trotz der vielen schweren Dinge in der Welt auch die guten zu sehen. Aber Weihnachten ist der eine Zeitpunkt im Jahr, an dem es zumindest für Christen Pflicht ist, genau das zu versuchen: Das Schwierige nicht auszublenden - und doch die guten Dinge in den Mittelpunkt zu stellen. Christlich gesprochen: Hoffnung haben – was aber nicht heißt: herumsitzen, die Hände falten, in den Himmel blicken und übernatürlichen Beistand erhoffen.
Christliche Zuversicht sitzt nicht still und träumt von Veränderung, christliche Hoffnung nimmt die Dinge in die Hand und schafft Veränderung. Denn christlicher Glaube ist zwar Glaube an Gott, aber das bedeutet eben auch Glaube an die Fähigkeit des Menschen, an die eigenen Fähigkeiten.
Diese Verbindung von Gottesglauben und Menschenglauben zeigt sich auch in der Weihnachtsgeschichte. Das kleine hilflose Jesuskind im Dreck, von dem die Rettung der Welt kommen soll, war zwar Gott, aber eben auch Mensch. Und dieser Mensch sollte die Rettung für die Welt sein – euch ist heute der Heiland geboren, heißt es in der Weihnachtsgeschichte.
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Dabei wird die Welt doch beherrscht von Despoten, die mit Armeen beinahe jeden ermorden können, den sie ermorden wollen. Wie soll das gehen? Es ist nicht das kleine Kind alleine, das diese Rettung bringt. So verstanden wäre die Weihnachtsbotschaft Hohn. Auch das Jesuskind war angewiesen auf Maria und Josef, auf Menschen, die es pflegten und umsorgten. Gott, die frohe Botschaft, braucht die Menschen – die von Gott zum Glück "wunderbar gemacht sind".
Und besonders jetzt, über 2000 Jahre später, über 2000 Jahre, nachdem dieses Kind auf die Welt gekommen ist, gilt das: Nicht das Kind alleine ändert diese Welt. Es ist die Einstellung der Menschen, der innere Sinn, das, was die Menschen daraus machen.
Als Anfang des Jahres die "Remigrations"-Pläne der Rechtsextremisten bekannt wurden, war eine solche Veränderung des inneren Sinns der Menschen für eine Zeit lang in Deutschland zu spüren. Es gab ein Ziel: klarmachen, dass eine so menschenverachtende Idee wie die der Deportation von Millionen Menschen aus Deutschland in ihre vermeintlichen Heimatländer nicht nur unmenschlich ist, sondern schlicht nicht hingenommen wird. Und es gab einen Glauben: daran, dass es in der eigenen Hand liegt, diese Pläne zu verhindern.
Die Weihnachtsgeschichte sagt genau das: Glaube daran, dass es möglich ist, die Dinge zum Guten zu verändern. Was nicht heißt: Wir können die Welt perfekt machen. Die Welt und jedes einzelne Leben bleibt in Gefahr und bedroht. Das zeigt der Anschlag von Magdeburg schmerzhaft. Solche Bedrohungen werden nicht verschwinden, egal welche Partei regiert, egal wie der innere Sinn sich wandelt.
Trotzdem: Die Welt kann besser werden. Es ist zu hoffen, dass diese Botschaft heute nicht nur in den Kirchen zu hören ist, sondern von jedem, der dort war, auch aus den Kirchen heraus in die Welt gebracht wird. Es ist Zeit, mit dem Beschweren und Klagen aufzuhören und zu glauben.
Bei der letzten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung gab nur noch jeder fünfte Deutsche an, er sei religiös. Doch das ist für diese Botschaft von Weihnachten auch gar nicht nötig. Es reicht, sich auf die Weihnachtsgeschichte und was sie sagt, einzulassen. Wer nicht an einen Gott glauben kann, der kann vielleicht wenigstens an den Menschen glauben – der Unterschied ist geringer als viele meinen.
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An einen Gott glauben heißt im christlichen Sinne: zu glauben, dass diese Welt und die Menschen gut gemacht sind und die Möglichkeit haben, vielleicht nicht perfekt zu sein, aber besser zu werden. Und an den Menschen zu glauben heißt genau das: zu sehen, was die Menschen schon alles Gutes geschafft haben und was sie gerade schaffen und daraus den Schluss zu ziehen: Verbesserung ist möglich, wir müssen sie nur wollen.
Ja, der christliche Glaube ist aus der Mode gekommen. Aber er könnte mit dieser einfachen Botschaft eine Motivationskur für dieses Land sein. Zumindest jetzt an Weihnachten – denn Weihnachten feiern die Deutschen doch so gerne. Nicht, damit alle wieder in die Kirchen zurückkehren, sondern damit dieses Land seinen inneren Sinn wieder ändert.
Fehlende Zuversicht und in allem nur das Schlechte zu sehen, sind ein echtes Problem. Eine solche Stimmung hilft der AfD, Putin oder islamistischen, christlichen und sonstigen Extremisten. Sie alle leben davon, dass die Menschen keine Hoffnung haben. Deshalb ist Weihnachten das Fest gegen alle negativen Kräfte in dieser Welt, das Fest gegen alles Radikale, gerade weil es so radikal ist: Weihnachten ist radikal in der Hoffnung trotz allem: alleine aus einer Änderung des inneren Sinns heraus. Es ist also nicht nur oberste, sondern auch schönste Christenpflicht, diesen Geist von Weihnachten in die Welt zu tragen. Hört auf zu klagen, der Retter ist schon da!