Damit kein Missverständnis aufkommt: Russland ist unter Wladimir Putin ein sehr gefährliches Land und eine Bedrohung. Erst kürzlich sagte der russische Präsident: "Wohin ein russischer Soldat seinen Fuß setzt, das gehört uns." Er sehe Russen und Ukrainer als ein Volk. "In dem Sinn ist die ganze Ukraine unser." Täglich setzen russische Truppen ihre Angriffe auf die Ukraine fort. Dass mit Donald Trump seit Januar ein US-Präsident im Weißen Haus sitzt, der den Krieg am ersten Tag seiner Amtszeit beenden wollte, hat Putin nicht beeindruckt. Der Krieg geht weiter. Und niemand weiß, ob Putin nicht eines Tages behauptet, die baltischen Republiken seien eigentlich russisch.
Dass Deutschland in seine Verteidigung investieren, dass sich auch das Verteidigungsbündnis Nato besser aufstellen muss, steht grundsätzlich außer Frage. Dass dies aber ohne eine breite gesellschaftliche Debatte geschieht, in welchem Umfang dies angebracht wäre, ist gefährlich.
Die Nato-Mitgliedstaaten haben sich darauf geeinigt, bis zum Jahr 2035 gemessen an ihrem Bruttoinlandsprodukt (BIP) fünf Prozent an Verteidigungsausgaben auszugeben, davon 1,5 Prozent für die sogenannte "verteidigungsrelevante Infrastruktur". Hinter diesen eher abstrakten Zielen verbergen sich gigantische Zahlen. Schon in diesem Jahr plant Bundesfinanzminister Lars Klingbeil mit einem Wehretat von 62,4 Milliarden Euro, das sind mehr als zehn Milliarden Euro mehr als im Vorjahr und - gemessen am BIP - 2,4 Prozent. Weil das Ziel aber fünf Prozent beträgt und die Referenzgröße – das Bruttoinlandsprodukt – vermutlich jedes Jahr wachsen wird, wird sich diese Zahl nicht nur verdoppeln, sondern drastisch erhöhen. Für 2028 strebt die Bundesregierung einen Wehretat in Höhe von 136,5 Milliarden Euro an. Zum Vergleich: In drei Jahren möchte der Bund insgesamt 550,4 Milliarden Euro ausgeben. In nur drei Jahren wird der Staat also bereits etwa jeden dritten Euro ins Militär investieren. Zum Vergleich: Für mehr Klimaschutz sind im Sondervermögen, das der damalige Noch-nicht-Kanzler Friedrich Merz (CDU) noch eilig mit SPD und Grünen und den alten Mehrheiten verhandelt hatte, 100 Milliarden vorgesehen, allerdings gestreckt auf zehn Jahre. Das verdeutlicht die Prioritäten.
Braucht es die Milliarden wirklich?
Der Staat – das sind wir alle. Deshalb wirft das Nato-Ziel vor allem zwei Fragen auf: Braucht es die Milliarden für die Rüstung wirklich? Und woher kommt das Geld? Wir haben ein Recht darauf, zu erfahren, ob diese gigantische Ausgabenerhöhung für die Bundeswehr wirklich angemessen ist. Die öffentliche Debatte erschöpft sich aber im Wesentlichen im Argument, dass Russland gefährlich und auf die US-Amerikaner kein Verlass mehr sei. Klar ist auch, dass die Bundeswehr über viele Jahre unterfinanziert war und mehr Anerkennung verdient. Aber dass gar keine Gelder fürs Militär geflossen seien, wird doch auch niemand behaupten. Was ist mit all den Euros geschehen? Wie lassen sich zukünftig extrem teure Missverständnisse vermeiden? Es soll beispielsweise vorgekommen sein, dass teure Funkgeräte gar nicht in Fahrzeuge passten. Natürlich besteht immer das Dilemma, die kritische Öffentlichkeit einerseits zu informieren, Wladimir Putin aber andererseits nicht frei heraus zu berichten, welche Waffensysteme man nun anzuschaffen gedenkt. Dennoch darf es nicht allein damit getan sein, Zahlenwerke anzukündigen, die niemand versteht.
Schließlich darf man bei alledem nicht vergessen, dass unsere Demokratie nicht nur von außen, durch Russland, sondern auch von innen unter Druck steht. Demokratiezersetzende Kräfte reiben sich gewiss schon die Hände, das Vakuum in Folge einer fehlenden öffentlichen Debatte mit Falschbehauptungen und Verschwörungserzählungen zu füllen. Auch die Medien sind angesichts der grassierenden Skepsis in ihre Arbeit gut beraten, kritisch und in die Tiefe zu recherchieren. Leitfrage: Muss das wirklich sein, kann allein ein vermeintlicher Sachzwang quasi alles begründen?
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Weitere wichtige Fragen sind: Lässt sich Geld sparen, wenn sich die europäischen Verbündeten besser koordinieren? Muss jedes Land alles an militärischen Gütern anschaffen oder gibt es sinnvolle Ergänzungen? Braucht es ein fixes Prozentziel oder geht es es um militärische Fähigkeiten, die es vielleicht bereits gibt, wie die spanische Regierung moniert? Und gibt es Ideen, wie ein Russland nach Putin aussehen könnte? Wie gefährlich ist Russlands Militär wirklich, wenn es sich im Landesinneren von ukrainischen Drohnen übertölpeln lässt, die zahlreiche Flugzeuge kaputtgeschossen haben?
Und wer kommt für die Milliarden auf?
Bleibt eine ehrliche Debatte aus, bekommt dieses Land ein weiteres Gerechtigkeitsproblem. Denn die Ausgaben fürs Militär werden über Schulden finanziert. Bereits 2029 könnten die Ausgaben für Zinsen 30 Milliarden höher liegen als jetzt. Es rücken aber zunehmend weniger junge Menschen in den Arbeitsmarkt nach, die mit ihren Steuern für diese Last aufkommen müssen, während sich immer mehr ältere Menschen in die Rente verabschieden, die üppig aus Steuergeldern bezuschusst wird. Zeitgleich wird von den Jungen erwartet, sich in der Bundeswehr zu engagieren; die Debatte über eine Wehrpflicht geht weiter. Ist das gerecht?
Und warum denkt die Bundesregierung nicht endlich über eine Vermögensabgabe nach? Die Zahl wirklich obszön reicher Menschen steigt seit Jahrzehnten, und damit sind wahrlich nicht Menschen gemeint, die ein Reihenhaus oder eine Wohnung erben. In Deutschland verfügt das reichste Prozent der Bevölkerung über mehr als ein Viertel des Gesamtvermögens, das es nur aufbauen konnte, weil seit 1945 Frieden herrschte. Viele werden noch vermögender geworden sein, weil die Aktienkurse von Rüstungskonzernen boomen (eine Rheinmetall-Aktie kostete vor drei Jahren etwa 200 und heute 1700 Euro). Wäre es nicht nur gerecht, die Hochvermögenden über eine Friedensdividende in die Verantwortung zu nehmen? Das Netzwerk Steuergerechtigkeit berichtet, dass das Schweizer Modell einer moderaten Vermögensbesteuerung (ja, die gibt es in diesem als sehr kapitalfreundlich geltenden Land!) auf Deutschland umgemünzt Steuereinnahmen von 73 Milliarden Euro einbringen würde – pro Jahr.
Stoff für Debatten gibt es also genug. Wir müssen sie dringend führen, alles andere wäre Politikverweigerung.