Ungleichheit
"Ich konnte meinen Reichtum nicht genießen"
Er wurde über Nacht Multimillionär – und hat auf 90 Prozent seines Vermögens verzichtet. Warum hat Sebastian Klein das getan?
Illustration eines Mannes, der von zwei Händen ausgewrungen wird. Dabei fallen ihm Dollarscheine aus der Tasche
Die arbeitende Bevölkerung zahlt viele Steuern und Abgaben. Aber wer profitiert?
Cemile Bingol / Getty Images, Sebastian Klein, PR
Tim Wegner
12.02.2025
7Min

Ihr Buch heißt "Toxisch reich". Das kann zweierlei bedeuten: Der Reichtum war Gift für Sie – oder aber er vergiftet uns, die Gesellschaft. Wen meinen Sie denn?

Sebastian Klein: Beide! Ich habe an mir beobachtet, dass es mich nicht zum besseren Menschen macht, wenn ich immer reicher werde. Auch deshalb habe ich vor ein paar Jahren angefangen, mich mit dem Thema Ungleichheit zu beschäftigen.

Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?

Extremer Reichtum ist ein unterschätztes gesellschaftliches Problem – und mit Elon Musk und Donald Trump ist offensichtlich geworden, dass es auch ein Demokratieproblem ist, wenn einige wenige Menschen so vermögend sind, dass sie sich politischen Einfluss kaufen können.

Sebastian KleinSebastian Klein

Sebastian Klein

Sebastian wurde durch den Verkauf von Blinkist über Nacht zum Multimillionär, entschied aber, einen Großteil seines Vermögens aufzugeben

Sie sind nicht durch eine Schenkung oder Erbschaft reich geworden, sondern haben sich Ihr Vermögen erarbeitet, nachdem Sie ein Unternehmen gegründet hatten. Haben Sie es nicht verdient, reich zu sein?

Ich kann Reichtum nicht genießen in einer Gesellschaft, die so ungleich ist. Jeden Tag sehe ich Menschen, die Pfandflaschen sammeln. Ich kann mich nicht an meinem Geld erfreuen. Und weil ich mich mit dem Thema Ungleichheit beschäftigt habe, wurde mir klar: Beides hängt zusammen. Weil einige reich sind, sind viele andere arm. Das eine existiert ohne das andere nicht. Uns wird oft weisgemacht, wir lebten in einer Leistungsgesellschaft. Wäre Vermögen wirklich nur das Resultat eigener Anstrengungen, wäre es sicher anders. Dann hätte ich mich besser gefühlt.

Aber es ist harte Arbeit, eine Firma zu gründen. Und es ist riskant. Hatten Sie nie den Gedanken, es steht Ihnen jetzt zu, für den Rest Ihres Lebens Privatier zu sein?

Viele Menschen machen wahnsinnig wichtige Arbeit für die Gesellschaft – in der Pflege oder als Lehrerin zum Beispiel. Für mich sind das Leistungsträgerinnen. Aber diese Leute können Leistung bringen, wie sie wollen, sie werden nie in der Situation sein, dass sie einen Haufen Geld haben. Das ist einigen wenigen Berufen vorbehalten, die sehr nah am Kapital und am Finanzmarkt sind. Mir wurde immer klarer, dass ich mit vielen Privilegien ins Leben gestartet bin. Ich komme aus einem stabilen Elternhaus, durfte gute Schulen besuchen und studieren. Nur deshalb konnte ich in einer Unternehmensberatung mit einem guten Namen landen – und das war dann ein Türöffner, um später mit Investoren in Kontakt zu kommen. Wir haben eine Firma gegründet und sie verkauft. Wir haben nicht nur von unserer Leistung und Arbeit profitiert, sondern von einem unfairen und auch toxischen Finanzsystem.

Das müssen Sie bitte erklären!

Wir leben in einer Gesellschaft, die über Generationen ein großes Vermögen erwirtschaftet hat. Aber dieses Vermögen ist sehr ungleich verteilt. Ein Prozent besitzt ein Drittel von allem, während über die Hälfte fast nichts hat. Ich bin kein Fan davon, dass alle exakt gleich viel haben. Aber die Unterschiede sollten kleiner sein. Außerdem sehen wir: Die Wirtschaft wächst praktisch nicht mehr – gleichzeitig wachsen aber die großen Vermögen. Das können wir jedes Jahr in den Berichten von Vermögensforschern lesen. Und das ist eine konstante Umverteilung von unten nach oben. Wenn die Reichsten reicher werden, muss dieses Vermögen irgendwo herkommen – und zwar von den Menschen, die weniger haben.

Haben Sie für diese Entwicklung ein Beispiel?

Deutlich sieht man es bei den Immobilien. Die Hälfte der Bevölkerung klagt über eine Immobilien- oder Wohnraumkrise. Häuser und Wohnungen werden immer teurer, die Mieten steigen. Vor allem Leute mit sehr großen Vermögen haben in den vergangenen Jahrzehnten viel Geld mit Immobilienspekulationen verdient. Das Geld, das jemandem, der Tausende von Wohnungen besitzt, zufließt, ist wiederum das Geld, das andere Menschen an Miete zahlen – Menschen, die gerne weniger von ihrem Einkommen dafür ausgeben würden.

Welche Konsequenz haben Sie persönlich aus diesen Entwicklungen gezogen?

Durch den Verkauf von Blinkist, einer App, die Buchzusammenfassungen anbietet, wurde ich über Nacht zum Multimillionär. Ich habe beschlossen, 90 Prozent dieses Privatvermögens aufzugeben. Dieses Geld ist nun so investiert, dass es zweckgebunden ist, ich verfüge nicht allein darüber. Gemeinsam mit einem Team entwickle ich Ideen, wie wir mit diesem Geld einen möglichst großen Nutzen für die Gesellschaft stiften können. Wir sind zum Beispiel am Media Forward Fund beteiligt – einen Förderfonds, der gemeinwohlorientierte Mediengründungen finanziell unterstützt, die wichtig sind für unsere Demokratie. Da geht es zum Beispiel um guten Lokaljournalismus. Außerdem liegt mir das Thema Verantwortungseigentum am Herzen. Dahinter steht der Gedanke, dass Firmen sich selbst gehören – niemand kann die Firma verkaufen und dann so reich werden wie ich, als wir Blinkist verkauft haben. Auch diese Idee unterstützen wir, indem wir gezielt in Firmen in Verantwortungseigentum investieren.

Gibt es Leute, die sagen: "Du bist doch verrückt! Genieß doch das Geld und dein Leben!"?

Die meisten Menschen, die mich kennen, wissen, dass ich keine Lust gehabt hätte auf ein Leben am Meer und ohne Arbeit. Die sehr überwiegende Resonanz auf meine Entscheidung war positiv.

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Warum ist die Debatte über Ungleichheit und Vermögen im Wahlkampf nicht so laut wie die über Migration?

Das frage ich mich auch. Es kann doch nicht sein, dass 99 Prozent Teil einer Entwicklung sind, die für sie offensichtlich schlecht ist – und von der maximal ein Prozent der Bevölkerung profitiert. Warum ist das so?

Ihre Erklärung?

Einerseits gibt es eine starke Lobby. Die Steuergesetze wurden in den vergangenen 30 Jahren sehr stark nach dem Willen der Milliardärsfamilien gestaltet. Besonders die Stiftung Familienunternehmen hat wahnsinnig viel Einfluss genommen. Es gibt keine vergleichbar große Gegenlobby. Organisationen wie die Bürgerbewegung Finanzwende oder das Netzwerk Steuergerechtigkeit leisten eine tolle Arbeit, haben dafür aber deutlich weniger Mittel. Andererseits sehen viele Menschen die Zusammenhänge nicht. Die Leute hören das Wort "Steuererleichterungen" und denken, das sei gut für sie.

Stimmt ja auch!

Aber anteilig an ihrem Einkommen und an ihrem Vermögen zahlen Milliardäre in Deutschland weniger Steuern als Arbeitnehmer. Das führt dazu, dass die arbeitende Bevölkerung über Einkommens- und Konsumsteuern mehr zahlt, als sie eigentlich müsste – wenn hohe Vermögen fair besteuert würden. Es braucht eine andere Erzählung: Schau mal, lieber Arbeitnehmer, du bekommst 300 Euro mehr netto im Monat und zahlst weniger Mehrwertsteuer auf alle Produkte, die du kaufst, weil dafür der Milliardär etwas mehr beiträgt. Das müsste die Menschen doch überzeugen.

Das passiert aber nicht.

Weil es ein weiteres Problem gibt: Desinformationen und Narrative, die seit Jahrzehnten gezielt gestreut werden – etwa, wenn Politiker höhere Erbschaftssteuern ablehnen.

Welche Behauptungen meinen Sie?

Dann heißt es schnell, das Häuschen der Oma würde wegbesteuert oder ausländische Investoren würden massenhaft Immobilien aufkaufen. Und das ist kein Zufall. Da werden Ängste geschürt – bei Menschen, die eigentlich von einer Veränderung profitieren würden. Viele denken: Höhere Steuern? Das schadet doch auch mir!

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Im Jahr 2023 haben Bund, Länder und Gemeinden mehr als 915 Milliarden Euro an Steuern eingenommen. Da hat es jeder schwer, der höhere Steuern fordert.

Aber wenn wir die Situation heute mit der vor 30 Jahren vergleichen, zahlen Milliardäre nur noch etwa die Hälfte an Steuern wie noch 1995. Menschen mit durchschnittlichem Einkommen hingegen geben davon etwa die Hälfte in Form von Steuern und Abgaben wieder ab. Sie tragen die Last, die eigentlich bei den Reichsten liegen sollte.

Aber wenn ich Vermögen hoch besteuere, ist es weg und liegt irgendwo im Ausland. Dann haben wir in Deutschland gar nichts davon!

Dieses Argument der Kapitalflucht soll ebenfalls Angst vor Veränderungen machen. Es ist kein Zufall, dass Sie diese Befürchtung haben.

Können Sie mich beruhigen?

Zum Glück hat Deutschland schon viel dafür getan, dass Kapital nicht mehr so einfach abwandern kann. Es gibt die Exitsteuer, eine Wegzugsbesteuerung von Vermögen. Man kann nicht einfach umziehen und woanders Steuern zahlen, ohne an der Grenze ordentlich besteuert zu werden. Auch im Kampf gegen Steueroasen wurde viel getan. Was mir persönlich noch fehlt: Kapitalflucht wird gesellschaftlich nicht genug geächtet. Für viele ist das noch ein Kavaliersdelikt. Aber eigentlich ist es Diebstahl aus den Kassen der Allgemeinheit.

Es heißt auch immer: Wenn wir Erbschaften höher besteuern, geht das an die Substanz von Unternehmen. Sie müssen dann Arbeitsplätze abbauen und Leute entlassen. Was meinen Sie?

Das ist für mich eines der dümmsten Argumente überhaupt, weil die Gleichsetzung von Unternehmen und Erben keinen Sinn macht. Wenn ich den Erben eines milliardenschweren Unternehmens besteuere, ist doch das Unternehmen selbst nicht in Gefahr. Es gibt sogar Ökonomen, die sagen, dass das für das Unternehmen sogar besser sein kann.

Warum?

Weil sich dadurch die Eigentumsverhältnisse ändern, weil dadurch Kapital zirkuliert, sich auch die Eigentumsverhältnisse ändern und Menschen in Verantwortung kommen können, die fähiger sind als Erben. Nur weil jemand erbt, heißt das nicht, dass er oder sie ein guter Unternehmenslenker ist. Ich verweise auf das Beispiel Samsung in Südkorea. Die Erben mussten 50 Prozent Steuern zahlen. Das hat dem Unternehmen nicht geschadet – ich habe jedenfalls nicht mitbekommen, dass es pleitegegangen wäre. Die OECD und andere Institutionen kritisieren Deutschland für die krasse Ungleichheit in unserer Volkswirtschaft. Wir sind weniger innovativ und weniger dynamisch, als wir sein könnten. Für mich ist dieser Schutz riesiger Vermögen eine Form von Wettbewerbsverzerrung. Niemand, der ein kleines Unternehmen gründet oder betreibt, kann mit den Großen konkurrieren. Ich glaube, unsere Wirtschaft wäre viel dynamischer und würde auch die Transformation zur Klimafreundlichkeit besser bewältigen, wenn es mehr Wettbewerb gäbe.

Infobox

Sebastian Klein: Toxisch Reich, ISBN: 978-3-98726-138-1, oekom, 208 Seiten, 19 Euro. Das Buch ist auch als E-Book oder PDF für je 14,99 Euro erhältlich.

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