"Das Geld ist da, aber ..."
"Das Geld ist da, aber...": Blick in die Suppenküche
Katrin Binner
Reiche stärker besteuern?
"Die Krise frisst sich weit in die Mittelschicht hinein"
Warum die Armut zunimmt, obwohl die Vermögen wachsen, erklärt Manuel Schmitt von Oxfam im Interview
Tim Wegner
20.03.2023
3Min

chrismon: Wie kann es sein, dass weltweit die extreme Armut zunimmt, obwohl auch der extreme Reichtum wächst?

Manuel Schmitt: Aktuell ist die Teuerung ­einer der Hauptgründe, warum erstmals seit 25 Jahren wieder mehr Menschen unter ­extremer Armut leiden. Das UN-Entwicklungs­programm schätzt, dass die Inflation allein in den drei Monaten nach März 2022 weltweit rund 71 Millionen Menschen in die Armut getrieben hat. Steigende Preise für Ener­gie und Lebensmittel treffen vor allem Menschen mit geringen Einkommen, die dafür einen viel größeren Teil ihres Einkommens ausgeben müssen. Auf der ­anderen ­Seite ­sehen wir, wie viele Konzerne und reiche Privat­personen ­gigantische Gewinne machen und der gesamt­gesellschaftlich erwirtschaftete Kuchen jetzt noch ungleicher verteilt wird als vorher schon.

Privat

Manuel Schmitt

Manuel Schmitt ist Soziologe und ­Referent für soziale Ungleichheit bei ­Oxfam Deutschland. Die Nothilfe- und Entwicklungs­organisation legte im Januar den Bericht "Survival of the Richest" (Überleben der Reichsten) vor.

Was heißt das konkret?

In den vergangenen zehn Jahren hat sich das reichste Prozent der Menschheit mehr als die Hälfte des neu erwirtschafteten globalen Vermögens angeeignet, aber seit 2020 – ­also seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie – sind es sogar fast zwei Drittel. In Deutschland ­be­sitzen die reichsten zehn Prozent 67 Prozent des gesamten Privatvermögens. Auf der anderen Seite: Das Deutsche Institut für Wirtschafts­forschung schätzt, dass 30 bis 40 Prozent der Menschen in Deutschland schon vor der aktu­ellen Krise keine Rück­lagen ­hatten. Und der Sparkassenverband geht davon aus, dass mittlerweile sogar rund 60 Prozent der Menschen hierzulande kein Geld mehr zurück­legen können. Die Krise frisst sich bis weit in die Mittelschicht hinein.

Wie konnten reiche Menschen in Krisenzeiten noch vermögender werden?

Beispielsweise indem in den vergangenen Jahrzehnten weltweit die Spitzensteuer­sätze auf Einkommen gesunken sind. Auch die ­Steuern auf Kapitalerträge sind zurück­gegangen. ­Innerhalb der OECD, der ­Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit ihren 38 Mitgliedsstaaten, besteuern nur drei Länder Kapitalerträge höher als Arbeit. Die Steuerpolitik macht die Reichen reicher. Hinzu kommt aktuell: 95 der größten Konzerne im Energie- und Lebensmittelbereich machen aufgrund der gestiegenen Preise in der Krise gigantische Gewinne. Sie haben mehr als 250 Milliarden US-Dollar an ihre Aktionärinnen und Aktio­näre ausgeschüttet – das sind in der Regel Menschen, die ohnehin zu den Reicheren gehören.

Wie äußert sich extreme Armut in anderen Teilen der Welt?

Über 800 Millionen Menschen hungern, mehr als jeder zehnte Mensch auf der Welt. ­Besonders dramatisch ist die Situa­tion am Horn von Afrika, auch aufgrund von ­extremer Dürre. Diese Region bezog bis zum Krieg in der Ukraine bis zu 90 Prozent des Weizens aus der Ukraine und Russland. Die Zahl der Menschen, die in Somalia, Kenia und Äthiopien hungern, hat sich deshalb seit 2021 mehr als verdoppelt: von zehn auf über 23 Millionen Menschen.

Was hilft gegen Armut?

Besonders in der Krise brauchen wir massive Investitionen in die öffentlichen sozialen Grunddienste, also in Bildung, Gesundheit und soziale Sicherung. Das wäre für uns in Deutschland schon ein richtiger Schritt, weltweit gesehen ist er noch wichtiger. Investitionen kosten Geld, und das Geld ist da – es muss umverteilt werden. Dazu müssen wir die Vermögen von reichen Privatpersonen und vor allem die krisenbedingten Übergewinne von Konzernen besteuern. Leider ­sehen wir das Gegenteil: Viele Länder ­kürzen ihre Ausgaben sogar noch. Es gibt aber Ausnahmen wie Argentinien, das eine ein­malige Vermögens­abgabe für besonders reiche Privat­personen einführte und daraus etwa die ­Mittel für eine bessere medizinische Ver­sorgung bereit­stellte.

Lesen Sie hier unsere Reportage aus einer Suppenküche in Ludwigshafen

Frauen leiden besonders unter der Krise, schreiben Sie in Ihrem Report. Warum?

Die explodierenden Lebenshaltungskosten ­bedeuten de facto Reallohnverluste – den Menschen bleibt weniger Geld. Und das trifft besonders die Frauen, die ohnehin schon ­einen großen Teil der Armen stellen. Überproportional viele Frauen arbeiten in prekären oder informellen Beschäftigungs­verhältnissen. Auch Sparmaßnahmen der Regierungen treffen insbesondere Frauen, auch weil sie die Mehrheit der Beschäftigten im öffentlichen Sektor stellen.

Infobox

Viele der Zahlen, auf die sich Manuell Schmitt bezieht, finden Sie - einschließlich der Quellen - in der deutschsprachigen Zusammenfassung des Oxfam-Berichtes "Survival of the Richest". Der Titel lautet "Umsteuern für soziale Gerechtigkeit", Sie können den Bericht über diese Seite >>>hier<<< herunterladen.

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"Die Krise frisst sich weit in die Mittelschicht hinein "

Das ist ein schönes Zitat, und macht unendlichen Mut !
Oder nicht ?

" Die explodierenden Lebenshaltungskosten ­bedeuten de facto Reallohnverluste – den Menschen bleibt weniger Geld. "
Das ist doch immer so, wenn es Teuerungen gibt, oder Krisen, und bedeutet nicht notwendiger Weise ein Abdriften in die Armut, aber es schürt existenzielle Ängste, von denen so manche Branche evident profitiert.

" Und das trifft besonders die Frauen, die ohnehin schon ­einen großen Teil der Armen stellen. "
Reden wir hier über die ohnehin schon Armen an sich, oder allgemein über Frauen in dieser Gesellschaft ?
Solche Sätze zeigen mir vor allem die Phantasielosigkeit von Soziologen , und anderen Funktionären dieser hoffnungslos verlogenen Gesellschaftsstruktur , die wir noch offenherzig Demokratie nennen.
Ich gehe davon aus, dass ein Soziologe nicht schlecht verdient. Es lebt sich wohl recht gut, so nahe am gesellschaftlichen Limit, der das eigene finanzielle Fortkommen sichert.

" Auch Sparmaßnahmen der Regierungen treffen insbesondere Frauen, auch weil sie die Mehrheit der Beschäftigten im öffentlichen Sektor stellen. "
Erstaunlicherweise scheint es daran zu liegen, dass man dort reduziert, wo man die geringste Produktivkraft sieht.
Solange also solche Stellen vorhanden sind, wird es auch vermehrt diejenigen anlocken, welche die erwarteten Fähigkeiten mitbringen.

Sind es tatsächlich Frauen, weil diese Personen Frauen sind, oder trifft es Frauen, weil sie bestimmte Qualitäten und Qualifikationen mitbringen, die im wirtschaftlichen Getriebe zwar notwendig sind, aber geringer geschätzt und beachtet werden ?
Und deshalb auch als geringer gewertet werden ? Lieber nimmt man Frauen ihre Kinder weg, und spricht von Kinderarmut, als dass man deren Arbeitswert als gleichwertig der männlichen Arbeitskraft betrachtet !

Übrigens : Frauen scheinen Frauen nicht besonders hilfreich zur Seite zu stehen.
Selbst in der Politik unterstützen sie ihre Arbeitskraft lediglich aus einer gewissen politischen Loyalität heraus, doch nicht aus fester Überzeugung.
Gleichberechtigung ist ein politisches Schlagwort, das individuelle Karrieren fördert, aber sich offensichtlich zu einem Selbstläufer entwickelt, wenn es um Massen geht.

Das Interview bringt wenig Neues, reißt statt dessen alte Wunden auf.

" Was hilft gegen Armut? "
Besonders in der Krise brauchen wir massive Investitionen in die öffentlichen sozialen Grunddienste, also in Bildung, Gesundheit und soziale Sicherung. "

" Und ewig grüßt das Murmeltier ..." , d.h.
Bildung ist kein Garant dafür, dass man nie von Armut betroffen werden könnte, und vorübergehende Armut bedeutet nicht, dass es immer so bleibt.
Statt also wieder die alten Gespenster der Vergangenheit, die Armen und die Reichen kategorisch
zu bemühen, könnte man nach neuen Wegen aus der Krise suchen.