Viele Syrer und Syrerinnen freuen sich über den Sturz des Assad-Regimes. Aber es gibt auch Sorgen, weil der Umsturz teils auf islamistische Gruppen zurückgeht. Sie sind Generalsekretär des Gustav-Adolf-Werkes, das evangelische Gemeinden im Ausland unterstützt - auch in Syrien. Wie beurteilen Sie die Lage?
Enno Haaks: Schon vor den Geschehnissen in den vergangenen Wochen und dem Umsturz jetzt am Wochenende war die Situation der christlichen Gemeinden in Syrien sehr unterschiedlich. Wir haben Partnergemeinden im Nordosten des Landes, in von Kurden kontrollierten Gebieten. Hier ist die Lage auch mit Blick auf die Interessen der Türkei in dieser Gegend eine andere als in Aleppo oder in der Nähe russischer Militärstützpunkte in Nähe des Mittelmeeres, wo es auch Gemeinden gibt. Das sind ganz unterschiedliche Regionen. Wir können nun nur abwarten, was die Zeit bringt.
Enno Haaks
Wie sieht es in Aleppo aus?
In Aleppo haben die evangelischen Gemeinden am 2. Advent ihren Gottesdienst gefeiert. Die armenische evangelische Gemeinde hat in der vergangenen Woche ihre humanitären Hilfen an 300 Familien erneut durchführen können. Und mit den neuen Verantwortlichen in der Stadt gab es am 2. Advent ein Treffen mit den christlichen Denominationen. Das lässt durchaus hoffen.
Viele Christinnen und Christen in Syrien standen unter dem Schutz des Assad-Regimes…
…und es gibt christliche Gemeinden in Syrien, die Assads Regime als eine Art Schutzschild empfunden hatten. Wir können nur abwarten, ob sich die neuen Machthaber an ihre Versprechen halten, die Rechte aller Menschen zu achten. Das ist übrigens etwas, was ich bereits lernen musste: Unsere Partnerinnen und Partner in Syrien haben darum gebeten, nicht mehr von Rebellen oder Aufständischen zu reden – sondern von den neuen Machthabern. Wie gesagt: Wir können nun nur abwarten, aber es gibt ermutigende Zeichen.
Zum Beispiel?
Bei der Einnahme Aleppos zerstörte ein Islamist einen Tannenbaum. Für die Christen ist das in Syrien ein wichtiges Symbol. Wenige Tage später wurde ein Tannenbaum von den Verantwortlichen der Gruppe wieder aufgestellt. Und der Mann, der den Baum zuvor zerstört hatte, wurde zur Rechenschaft gezogen.
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Mit wem stehen Sie derzeit in Kontakt?
Zum Beispiel mit Pastor Haroutune Selimian, dem Präsidenten der evangelischen-armenischen Gemeinden in Syrien. Er war auf einer Konferenz eines Schweizer Hilfswerkes in Ungarn, möchte sich nun aber über Beirut nach Aleppo durchschlagen, nachdem die Kämpfe vorüber sind. Auch Pastor Joseph Kassab, Präsident der NESSL, National Evangelical Synod of Syria and Lebanon, verfolgt die Lage aufmerksam und berichtet uns. Er hat zum 2. Advent eine Nachricht an die Partner verfasst, die wir sofort übernommen haben auf unserem GAW-Blog.
Was berichtet Pastor Kassab?
Dass die Ära Assad ein tief gespaltenes Land hinterlässt. Einige Menschen fürchten den Wandel. Sie sahen die bloße Existenz des Staates als Garant für ihre Sicherheit. Andere beklagen die jahrzehntelange Gewalt und die Ungerechtigkeit. Pastor Kassab berichtet, dass gestern, am zweiten Advent, die Gottesdienste in den christlichen Kirchen wie gewohnt gefeiert wurden – wenn auch mit begrenzter Teilnahme, da sich die Menschen Sorgen machen…
Wie reagieren Sie als Gustav-Adolf-Werk auf diese unübersichtliche Lage?
Wir werden alles daransetzen, unsere Partnergemeinden in Syrien zu unterstützen, vor allem mit humanitären Projekten. Jede Hilfe ist willkommen. Daran hat der Umsturz in Syrien nichts geändert. Besonders die Winterhilfe der evangelischen Gemeinden ist aktuell sehr wichtig. Es fehlt an allem und wir sind auf Hilfe angewiesen.
Das GAW unterstützt weltweit evangelischen Gemeinden, ihren Glauben an Jesus Christus in Freiheit zu leben und diakonisch in ihrem Umfeld zu wirken. Weil die Lage in Syrien prekär ist, bitte das GAW um Spenden: IBAN: DE42 3506 0190 0000 4499 11, BIC: GENODED1DKD, Stichwort: Syriennothilfe
Das Spendenkonto unterhält das GAW bei der KD-Bank.