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Studien ergeben immer wieder, dass antisemitische Aussagen unter Muslimen und Musliminnen mehr Zustimmung finden als unter Konfessionslosen und Christen in Deutschland. Das zeigte etwa eine repräsentative Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung 2023. Aber warum ist das so? Warum sind Muslime und Musliminnen anfällig für Antisemitismus?
Im Koran werden Juden mal gelobt mal kritisiert. Nun sind heilige Schriften aber das, was die Menschen aus ihnen machen. Denn auch das "Gotteswort" will verstanden und gedeutet sein. Wie können die antijüdischen Aussagen des Koran also interpretiert werden?
Ein bekanntes Beispiel ist Sure 5, Vers 82. Dort steht: "Du wirst finden, dass die Menschen, die den Muslimen am feindlichsten gesinnt sind, die Juden sind." Neben dieser antijüdischen Aussage heißt es allerdings im selben Koran und in derselben Sure auch, Juden erhielten ewige Glückseligkeit. Im Vers 69 heißt es nämlich: "Siehe, die Muslime, und die Juden und die Christen, alle, die an Gott glauben und an den Jüngsten Tag und die rechtschaffen handeln, die werden am Tage des Gerichts keine Furcht empfinden und sollen auch nicht traurig sein." Hier werden Juden mit Christen und Muslimen als gleichgestellte an Gott glaubende Menschen beschrieben. Was nun?! Sind Juden ewige Feinde der Muslime oder haben sie einen gleichberechtigten Anspruch auf den Himmel wie Christen und Muslime?
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Entscheidend ist auch hier wieder, wie Muslime den Koran lesen: verorten sie ihn in seinem historischen Kontext oder lesen sie ihn ahistorisch, überzeitlich? Handelt es sich bei Vers 82 der fünften Sure um eine überzeitliche, pauschale Aussage des Korans über das Verhältnis zwischen Juden und Muslimen? Oder beschreibt der Koran eine bestimmte Situation aus dem siebten Jahrhundert?
Historischen Kontext bekommen diese Fragen, wenn wir bedenken, dass die Figur, die im Koran am häufigsten vorkommt und intensiv wie keine andere beschrieben wird, Moses ist und warum das so ist.
Der Monotheismus war schon vor islamischer Zeit auf der arabischen Halbinsel verbreitet und dies hauptsächlich durch das Judentum. Sowohl im Süden Arabiens, im Jemen, als auch in Medina, der Stadt, zu der Mohammed im Jahre 622 ausgewandert ist, lebten viele Juden. Um sich als von Gott gesandter Verkünder des Monotheismus zu legitimieren, unterstrich Mohammed: Er verkünde nur, was vor ihm Moses verkündet hat. Und das war der Glauben an den einen Gott: "So wie Moses, so auch ich." Daher verwundert es nicht, dass die Muslime damals viele jüdische Rituale übernommen haben.
Sie beteten viele Jahre Richtung Jerusalem und übernahmen die jüdischen Speisevorschriften. Kurz vor der Auswanderung Mohammeds von Mekka nach Medina erzählt der Koran, wie Moses die Israeliten durch die Auswanderung von Ägypten ins gelobte Land Kanaan rettete. Genau so wird Mohammed seine Anhänger durch die Auswanderung von Mekka nach Medina ebenfalls retten. Gerade die politische Oberschicht in Mekka sah in der monotheistischen Botschaft Mohammeds eine Bedrohung für ihren Status als Hüter der Götter, die sie in Mekka rund um die Kaaba (das schwarze Gebäude, das Muslime heute beim Pilgern umrunden) stellten. Daher verfolgten sie Mohammed und seine Anhänger, weshalb diese die Flucht nach Medina antraten.
Mohammed gelang es durch diese Bezugnahme auf Moses und dessen Wirken, sich in die große monotheistische Tradition einzureihen. Man kann heute die These vertreten und sich dafür stark machen: "Ohne Judentum kein Islam!".
Das Judentum diente als Grundlage für die Verkündigung Mohammeds. Konsequent bedeutet dies für heutige Muslime: Es müsste zum Selbstverständnis des Muslim-Seins, aber auch zur muslimischen Praxis gehören, dass Muslime ihre jüdischen Wurzeln bewahren und sich für ein erfülltes und gelungenes jüdisches Leben einsetzen. Und dies nicht aus politischen, sondern aus rein religiösen Gründen. Aber um das so zu sehen, muss man den Koran eben historisch-kritisch lesen.