Strapazen beim Wandern
Sich überwinden lohnt sich
Weiter, immer weiter, auch wenn Füße und Beine wehtun? Unsere Autorin hat auf dem Rheinsteig Entfernungen und Höhenmeter zurückgelegt, die sie nicht für möglich hielt - und eine neue Wandereuphorie erlebt
Junger Mann beim Wandern macht erschöpft eine Pause
Schritt, Schritt, Schritt. Einen Schritt einatmen, drei Schritte ausatmen
Studio4 / Getty Images
privat
01.08.2025
4Min

Am liebsten wandere ich in den Alpen, wo es zur Bewegung auf eigenen Beinen in der Natur die großen Gefühle gibt: die Höhe, den Ausblick, die Tiefe, die karge Natur jenseits der Baumgrenze, den Himmel zum Greifen nah. Ich mag auch das Gemeinschaftsgefühl, wenn wir es als Gruppe geschafft haben - unüberbietbar und mit keinem Städte- oder Strandurlaub zu vergleichen.

Aber die Alpen sind weit, so werden es doch oft nähere Gebirge, ob in der Eifel oder jüngst der Rheinsteig. Premiumwanderwege heißen so, weil sie einen besonders hohen Erlebniswert haben. Auch auf einem Weitwanderweg, von denen es viele in Deutschland gibt, kommt man einem aussichtsreichen Ziel tatsächlich nur bedingt näher, man bewegt sich hauptsächlich auf kleinen Pfaden durch die Falten in der Landschaft, und das kann ziemlich schweißtreibend sein.

privat

Claudia Gölz

Claudia Gölz, hat Sprachen und Kommunikationswissenschaft studiert, und widmet sich beruflich seit über drei Jahrzehnten vor allem grünen Themen. Sie interessiert sich für alles, was wächst, ist leidenschaftliche Gärtnerin und betreibt u. a. den Podcast "Chlorophyll – der Wirkstoff Grün". Sie ist überzeugt, dass die Befassung mit lebendigem Grün entscheidend zu Lebensqualität, Glückserfahrung und Zufriedenheit beiträgt. Gleichermaßen fasziniert sie als Autorin vor allem das unerhebliche Alltagsleben mit seinen Höhen und Tiefen und sie versucht, es als Chronistin ungeschminkt festzuhalten.

Schon am ersten Abend, nach über 20 Kilometern mit ständigem Bergauf-Bergab entlang der Berge neben Vater Rhein, war klar, das ist auch keine normale Wanderung mit Pausen zum Jausen, geschweige denn zum Botanisieren. Nicht in meiner mir - bis dahin - unbekannten Gruppe. Hier geht es um Zahlen, Laufgeschwindigkeit – mindestens zwischen vier und fünf Kilometer in der Stunde, mindestens 20 Kilometer pro Tag und je mehr Höhenmeter, desto besser. Das ist nicht meine genüssliche Wanderwelt, aber ich war doch schnell infiziert.

Also, Tag eins war bei der ersten Sommerhitze ziemlich fordernd. Hatte ich erwähnt, dass ich die Älteste in der Gruppe war? Das merkte ich quasi en passant, im wahrsten Sinne des Wortes. Aber ich hielt doch Schritt, so gut es ging. Tag zwei, wieder gut heiß, begann schleppend, mal wieder am Rheinufer, und dann wurde es auch schon schnell ganz schön steil. Der Wanderweg war schließlich der RheinSTEIG, und das Wort kommt nicht von "schlendern". Kaum hatten wir die ersten 150 Höhenmeter hinter uns, genossen wir kurz den Ausblick, einen Schluck Wasser, machten ein Gruppenselfie - dem noch sehr viele folgen sollten -, da ging es auch schon wieder steil bergab, fast bis zum Fluss, um gleich darauf wieder in kurzen Kehren bergan zu steigen. Jau!

So muss sich Sisyphos gefühlt haben … das Wandergeschnatter wurde ruhiger, jeder kämpfte für sich allein, ich kämpfte mehr, und nach guten 15 Kilometern dieses Aufs und Abs war der Abstand zu "meiner" Gruppe am steilen Hang im Wald gefühlsmäßig schon sehr groß. Aber ich konnte einfach nicht schneller. Heinz, der Wanderführer, zeigte sich sehr geduldig, blieb gelegentlich stehen, um auf mich zu warten und nach einem kurzen "Gehts?" just in dem Moment weiterzugehen, wenn ich ihn schnaufend erreicht hatte. Ich bat ihn, mich in meinem Tempo zu lassen, ich käme dann schon oben an. "Das letzte Mal" – der Gedanke gewann Schritt für Schritt an Macht und auch an Potenzial.

Lesetipp: Wie ist es, den Jakobsweg zu gehen?

Warum tue ich mir das an? Herzschlag bis zum Hals, und ich bereue, dass ich mir nicht auch einfach einen Plastikschlauch zum Nuckeln in den Mund stecken kann wie die Profis, weil meine Wasserflasche unpraktischerweise im Rucksack ist. Immerhin, ich hatte noch Wasser. Ich hörte es sogar gluckern, bei jedem Schritt. Ich konnte den Himmel schon sehen, es kann nicht mehr weit sein, oder? Dann sagte Heinz den Killersatz: "Du hast schon fast die Hälfte!" – "Was?!?", wollte es aus mir rausbrüllen, aber ich sagte gar nichts. Schritt, Schritt, Schritt. Einen Schritt einatmen, drei Schritte ausatmen. So kam ich oben an, als es den Mitwandernden oben schon kühl geworden war. Also, ich muss gar nix, ich bin frei, ich muss mir – oder wem auch immer – gar nichts beweisen. Ich hatte es geschafft, und morgen hör ich auf. Der Abend verlief gesellig.

Der Wanderweg heißt RheinSTEIG, und das Wort kommt nicht von "schlendern"

An Tag drei gings auf dem Steig weiter wie gehabt, rauf und runter. Jetzt war sogar eine wesentlich Jüngere hinter mir. Das "Nie wieder" und "Letztes Mal" hatte ich mir weggewandert und in weite Ferne gerückt, der Gedanke war sogar lächerlich, und ganz andere Gefühle machten sich breit: Gruppenzauber, Selbstwirksamkeit, Rhein-Euphorie und die Liebe zu Rapsfeldern und blauem Himmel.

Und dann kam Tag vier. Es lief. Es war mir völlig wurscht, ob rauf oder runter. Ich war von der Landschaft absorbiert und Teil der Natur geworden. Was für eine grandiose Erfahrung. Jetzt wurden auch für mich die Zahlen wichtig. Nach über – wichtig, dieses kleine Wörtchen: über - 84 Kilometern mit über 2800 Höhenmetern, ohne Pflaster, ohne Blasen, mit irre guter Endstimmung, schmerzfrei und fit, genoss ich mit den andern am Schluss das Eis am Rhein. Das letzte Mal ist verschoben. Wir treffen uns in Koblenz im nächsten Jahr für die nächsten vier Etappen. Möge die Übung gelingen!

Infobox

Infos zum Rheinsteig

Der rechtsrheinische Fernwanderweg zwischen Bonn und Wiesbaden wurde als Gemeinschaftsprojekt der Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Hessen im September 2005 eröffnet. Auf einer Länge von 320 Kilometern überwindet er rund 11.700 Höhenmeter. Der Rheinsteig ist ganzjährig begehbar und gilt im Schwierigkeitsgrad als "mittel", verlangt aber wegen der Höhenunterschiede gute Kondition.

https://www.rheinsteig.de/rheinsteig

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.