Pilgern in den Alpen
"Natur ist etwas brutal Chaotisches"
Sandra Freudenberg pilgert regelmäßig in den Alpen. Mit Biwakzelt und sonst kaum etwas. Wie bereitet sie sich vor und was unterscheidet Pilgern und Wandern?
Sandra Freudenberg unterwegs
Pilgern in den Bergen ist herausfordernd: die Anstiege sind steil, das Wetter wechselhaft. Foto aus dem Buch "Hoch und Heilig" von Sandra Freudenberg und Stefan Rosenboom (Knesebeck Verlag)
Stefan Rosenboom / Knesebeck Verlag
Tim Wegner
30.08.2024
5Min

chrismon: Wie sind Sie zum Pilgern gekommen?

Sandra Freudenberg: Als ich 15 Jahre alt war, bin ich allein von der Eifel nach Garmisch-Partenkirchen gezogen. Ich begann, die Berge kennenzulernen. Es ging vor allem um Skifahren und Klettern. Später fing ich an, mich für den Kulturraum der Alpen zu interessieren. Als ich an einer Wallfahrt im Gebirge teilnahm, ist mir diese Art des Wanderns zugefallen und ich begann, mich mit dieser Tradition zu befassen. Bei meiner ersten Wallfahrt sind wir auf einem langen Weg betend zu einer katholischen Wallfahrtskirche gewandert. Wir haben stundenlang abwechselnd das "Gegrüßet seist du, Maria" und das "Vaterunser" gebetet und geschwiegen. Ich dachte, ich werde verrückt. Durch meinen Kopf sind D-Züge gefahren. Aber es hat etwas mit mir gemacht, am Wallfahrtsort kam ich dann verändert an. Außerdem bin ich dort völlig beseelten Menschen begegnet. Ich habe beschlossen, dass Wallfahrten, Pilgerreisen und Bittgänge ab jetzt zu meinem Leben gehören.

Sandra FreudenbergStefan Rosenboom

Sandra Freudenberg

Sandra Freudenberg, geboren 1970, ist Autorin und Journalistin. Sie lebt mit ihrer Familie auf einem Bergbauernhof am Alpenrand und ist leidenschaftliche Bergsteigerin. Zudem ist sie als Kuratorin für Ausstellungen und Festivals tätig. Freudenberg schreibt Bücher und ist Gründerin des international erfolgreichen Alpen-Film-Festivals und des literarischen Events "Berg.Salon".

Was unterscheidet Pilgern vom Wandern?

Beim Pilgern breche ich bewusst mit einer spirituellen Haltung auf. Anders als beim Wandern laufe ich auch mal Wege, die nicht so schön sind. Ich bin einmal den ganzen Tag an einer Bundesstraße entlanggegangen.

Warum?

Weil man im Leben nicht immer die Möglichkeit hat, sich alles einfach und schön zu machen. Wege sind auch mal fordernd. Das lernt man dabei anzunehmen. Das fordert auf einer anderen Ebene und hilft, in die Spiritualität zu kommen.

Wie definieren Sie Spiritualität?

Spiritualität ist die Verbundenheit mit der Schöpfung - für mich zumindest.

Ziehen Sie allein los?

Ich bin lieber in Gesellschaft. Bei vielen Touren im Gebirge bei über 3000 Metern wäre es gefährlich, nur für sich unterwegs zu sein. Oft findet sich aber niemand, dann gehe ich ungefährlichere Wege auch allein.

Was schwirrt Ihnen dann im Kopf herum?

Ich breche oft mit einer Frage auf und komme mit einer völlig anderen Antwort zurück. Ich habe schon Antworten auf Fragen bekommen, die ich gar nicht gestellt hatte.

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Zum Beispiel?

Einmal habe ich einen Bittgang zu einer Wallfahrtskirche unternommen, um dort eine Kerze für einen kranken Freund aufzustellen und Gott um Beistand zu ersuchen. Unterwegs bin ich auf einen Bücherschrank gestoßen und fand darin eine Schrift des norwegischen Literaturnobelpreisträgers Jon Fosse. Darin erklärt er, wie leicht sterben ist. Ich habe also eine Lösung für die Sorge des Sterbeprozesses meines Freundes gefunden, aber nach der Antwort habe ich gar nicht gesucht. Die Frage hatte ich gar nicht gestellt.

Begegnen Sie auf Ihren Touren auch andersgläubigen Pilger*innen?

Ich bin an einer heiligen Quelle einer modernen Hexe beziehungsweise Schamanin begegnet. Sie hat mich mitgenommen auf eine spirituelle Seelenreise auf einem alten keltischen Gebetshügel. Dabei sprach sie über die spirituelle Bedeutung der Natur. Sie hat mir zum Beispiel erklärt, wie ein sogenanntes Elfentor aussieht. Das sind zwei Bäume, an denen jeweils an der Innenseite Efeu wächst. Wenn man da durchgeht, ist man gereinigt – so die Annahme.

Das klingt ja fast ein bisschen skurril.

Die Begegnung mit der Schamanin war total entspannt. Fast märchenhaft. Für mich gehört es zum Pilgern dazu, jeden Glauben und jeden Menschen, der glaubt, zu akzeptieren. Es spielt keine Rolle, ob der Mensch an Natur- und Urkräfte glaubt oder an Mohammed oder Jesus Christus. Pilgerorte sind ja auch ganz verschieden: Es gibt keltische Opfersteine, die neben einer katholischen Kapelle stehen, und daneben steht noch ein Maibaum, der ein Symbol für Fruchtbarkeit ist.

Sie gehen vor allem in den Alpen pilgern und schreiben auch in Ihrem Buch darüber. Welche christlichen Wallfahrtsorte gibt es in dem Gebirge?

In den Alpen gibt es eine Menge Bergkirchen. In der ottonischen Zeit sind viele Christen über die Alpen nach Rom gepilgert, ich begebe mich auf ihre Spuren. Es gibt auch Bergmessen im Freien. Das ist etwas ganz Besonderes. Da geht mir das Herz auf!

Sind Sie gläubig?

Ich bin katholisch erzogen und gläubige Christin. Allerdings probiere ich immer mal wieder auch andere Glaubensrichtungen aus. Ein Jahr lange habe ich mich zum Beispiel an die jüdischen Speisegesetze gehalten. Und ich faste mit den Moslems jedes Jahr.

Was macht Pilgern in den Bergen besonders?

Es ist sehr herausfordernd. Die Aufstiege sind anstrengend und man ist wechselhaftem Wetter ausgesetzt. Um mit der fordernden Landschaft zurechtzukommen, muss ich wach sein und mit Respekt vor der Natur handeln. Dann kann ich mich selbst als ein Teil von ihr erfahren. Natur ist etwas brutal Chaotisches, was unser Gehirn nicht verstehen kann. Für unser Gehirn ist Landschaft nicht zu begreifen. In diesem Chaos ordnen sich meine Gedanken auf eine Art, wie ich es sonst nicht erlebe. Ich komme in dem Moment der Wanderung nicht unbedingt zur Ruhe, kehre aber aufgeräumter und gelassener zurück in den Alltag.

Wie meinen Sie das: Die Natur ist chaotisch?

Landschaft ist voller Formen, Farben und Gerüchen. Landschaft spricht uns an, doch ihr Zeichensystem ist so komplex, dass wir nur im Unterbewusstsein die Sprache wahrnehmen. Dann löst sich das eigene Chaos in der Sprache der Landschaft auf.

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Braucht eine Pilgertour besondere Vorbereitung?

Beim Pilgern reserviere ich mir nie eine Unterkunft, sondern habe immer meine Biwakausrüstung dabei, um unter freiem Himmel zu schlafen. Ich versuche, mich ganz darauf einzulassen, was der Ort mir bietet. Dazu gehört auch mal, bei fremden Leuten zu klingeln und zu fragen, ob man ein Glas Wasser haben darf. Trotzdem muss ich mich vorbereiten. Der Ammergauer Meditationsweg beispielsweise dauert etwa zehn Tage. Da ziehe ich nicht einfach spontan los.

Wie entscheiden Sie, wann es wo hingeht?

Ich suche mir meistens einen besonderen Tag aus. Das kann ein keltischer Feiertag sein oder die Sommersonnenwende oder der eigene Namenstag. Das Ziel an meinem Namenstag ist dann zum Beispiel eine Kirche, die der heiligen Elisabeth geweiht wurde, da mein zweiter Name Elisabeth ist.

Was nehmen Sie zu essen mit?

Es gibt gefriergetrocknetes Essen, das man mit heißem Wasser aufgießt. Das Einzige, was man dafür braucht, ist Wasser. Mir ist auch schon mal passiert, dass eine Quelle ausgetrocknet war. Irgendwann habe ich ein Schneefeld gefunden. Dummerweise lag ein Steinbock darauf. Ich habe ewig gewartet, aber der ist nicht weggegangen. Irgendwann habe ich mich dann fast neben ihn gesetzt und nach sauberem Schnee gegraben, den ich dann schmelzen konnte. Ich habe immer einen Kocher und eine Gaskartusche dabei. Ansonsten kann man ja auch in Hütten oder Gasthäusern essen.

Was haben Sie sonst immer dabei?

Einen Regenschirm, der schützt nicht nur gegen Niederschlag, sondern auch gegen Sonne.

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Nicht nur die Natur, auch Gedanken können brutal sein. Man kann nur vermissen, was man hätte haben können und von dem man weis, dass man es nicht hat, es aber gerne hätte gerne haben wollen. Beispiel das ewige Leben. Gibt es das nicht, ist jede Rede, jeder Glaube umsonst. Gibt es die lebende Ewigkeit und bekomme ich sie nicht, was habe ich dann verloren, wenn ich zu Staub geworden bin? Kann man verlieren, was man weder kennt und von dem niemand berichtet hat?. Was nur geglaubt, allenfalls geahnt wird, weil man die eigene Endlichkeit für unglaubwürdig hält? Auch der Wert ist dunkel. Schliesslich hat einen Wert nur das, was es gibt, was man vermisst und hätte gerne haben wollen. Ein Gedankenkreis ohne Ende und Anfang. Ganz profan: Was fehlt mir, wenn ich kein Chinesisch kann? Was fehlt mir von dem, was ich gar nicht weis, dass es das gibt? Wie kann jemand bestraft werden, wenn er nicht das ewige Leben erhält? Wo keine Belohnung, da auch keine Strafe. Auch den Tod kann es nicht geben, denn nach der Lehre kann man das "Nichts" nicht bestrafen. Also kommen als göttliche Ruten wieder das ewige Leben im Fegefeuer und der Teufel ins Spiel. Und dann noch mit Liebe, Barmherzigkeit, Toleranz und Nächstenliebe verbrämt. Leider muss der ungetaufte 3-Tage-Säugling für immer und ewig in die Hölle. Die wahre Liebe ist unerbittich gegenüber den Ungetauften, aber gnädig gegenüber den wehrlos getauften, die aber anbeten und zahlen und vorher noch hier mordeten. Nicht wenige von denen wurden ohne göttlichen Widerspruch sogar heilig gesprochen. Die Lüge als das ewige Leben der Ungerechtigkeit.