Bewegung
Wandern macht schlau
Brille verlegt? Auto in der Tiefgarage verschollen? Vielleicht sollte man einfach mehr wandern. Das stärkt die Orientierung. Und das Selbstwertgefühl. Spaß macht es auch noch
Frau wandert an einem Küstenpfad entlang
Wandern ist gesund: Es stärkt Körper und Seele
Jordan Siemens / Getty Images
31.10.2024
4Min

Frau Schwegler, Sie sind Professorin für Wirtschaftspsychologie und lobpreisen das Wandern. Was haben Wissenschaft und Wandern miteinander zu tun?

Ulrike Schwegler: Zunächst war das eher ein persönlicher als ein wissenschaftlicher Zugang zu dem Thema. Es gab eine Phase in meinem Leben, in der ich sehr viel gearbeitet hatte und mich ausgebrannt fühlte. Ich sollte beruflich andere inspirieren, war aber selbst nicht mehr inspiriert. Ich habe dann eine Auszeit genommen und bin über mehrere Wochen hinweg den South West Coast Path gelaufen, einen Fernwanderweg, der auch Salzpfad genannt wird. Das hat mir wahnsinnig gutgetan. Ich kam voller Energie wieder, fühlte mich ausgeglichener, zuversichtlicher. Die Speicher waren wieder voll.

Sie hatten sich gesund gewandert ...

Sozusagen. Und da dachte ich: Wenn mir das so guttat, kann es auch anderen helfen. In meinem Beruf als Wirtschaftspsychologin geht es ja auch darum, Menschen zu ermächtigen, den wachsenden Herausforderungen der Arbeitswelt auf angemessene Weise zu begegnen. So viele Menschen klagen über Stress, Erschöpfung und Überforderung in diesen schnelllebigen Zeiten. Und da braucht man Strategien, um sich zu schützen und Vertrauen in sich und die eigene innere Stärke zu entwickeln. Mir persönlich hat diese Trailwanderung dabei sehr geholfen. Also beschloss ich, mich dem Thema "Wandern und seine Auswirkungen" wissenschaftlich zu nähern, führte zahlreiche Interviews durch und habe Studien zu diesem Thema ausgewertet.

Prof. Dr. Ulrike SchweglerMike Henning

Ulrike Schwegler

Ulrike Schwegler ist Professorin für Wirtschaftspsychologie und Internationales Management an der FOM Hochschule für Ökonomie und Management in Stuttgart. Als Beraterin begleitet sie Fach- und Führungskräfte bei Veränderungsprozessen. Ihre Schwerpunktthemen sind Vertrauen, menschenfreundliche Führung, Wanderlust.

Es gibt Wanderstudien?

Ja, zahlreiche, insbesondere zum Wandern auf Fernwanderwegen. Die Wissenschaft beschäftigt sich aber auch mit anderen Formen der Bewegung, wie Joggen oder Walken, also einer regelmäßigen, moderaten Aktivität über einen längeren Zeitraum hinweg. Und wie die auf den Körper und die Psyche wirkt, ist gut erforscht.

Mit welchem Ergebnis?

Diese aerobe Bewegung ist einerseits gut für das Herz, für die Lunge, den Kreislauf und die Muskulatur. Sie sorgt für Stressabbau und steigert das subjektive Wohlbefinden und die Selbstwirksamkeit. Glücksbotenstoffe werden ausgeschüttet, Serotonin, Dopamin. Und dann findet das Ganze auch noch draußen in der Natur statt. Was viele Menschen im wahrsten Sinne des Wortes beglückt. Aber es gibt auch noch einen zweiten, spannenden Aspekt. Man wird bei regelmäßiger aerober Bewegung schlauer. Wissen Sie, was der Hippocampus ist?

Lesetipp: Was unterscheidet wandern und pilgern?

Da bin ich im Moment nicht schlau genug ...

Den Hippocampus kann man als unseren Arbeitsspeicher verstehen, eine Art Schaltstelle zwischen dem Kurz- und dem Langzeitgedächtnis. Dort findet zudem auch die Neurogenese statt, vereinfacht ausgedrückt die Geburt neuer Zellen, die dann zu Neuronen werden. Leider schrumpft dieser Hippocampus mit zunehmendem Alter und wird dann weniger funktionstüchtig. Es fällt uns dann zunehmend schwerer, Neues zu lernen. Wir werden vergesslicher und oft auch orientierungsloser, weil auch das räumliche Gedächtnis im Hippocampus untergebracht ist. Und dann sucht man eben sein Auto in der Tiefgarage. Dieser Abbau ist ein schleichender Prozess. So ab Fünfzig plus beginnen es viele zu merken.

Gute Güte. Ich bin viel älter.

Das Schöne ist: Man kann das verzögern.

Wie? Retten Sie mich vor dem vorzeitigen Verfall!

Zum Beispiel durch Wandern oder Laufen. Denn, das haben neuere Studien ergeben, diese Art der Bewegung fördert die Neurogenese. Der Hippocampus kann sogar durch Bewegung wachsen. Aber interessant ist, dass Studien zeigen, dass dies nicht durch jede Aktivität gleichermaßen passiert.

Was unterscheidet das Wandern vom Spazierengehen?

Nichts gegen einen Spaziergang. Auch das ist gut. Aber Wandern ist weitreichender und zielgerichteter. Man plant, man rafft sich auf, zieht festes Schuhwerk an. Ist bereit für Neues. Packt den Rucksack. Spürt die Vorfreude.

Man macht sich auf den Weg und geht nicht nur mit dem Hund um den Block.

Genau. Man weiß, dass es auch anstrengend wird. Man verlässt seine Komfortzone, ahnt aber schon die Freude danach, die Strecke geschafft zu haben – diese Selbstwirksamkeit, die wir dann spüren. Wandern, besonders das Fernwandern über mehrere Tage hinweg, hat eine ganz andere Dynamik. Dazu das Naturerlebnis. Wir fokussieren uns. Sind im Hier und Jetzt. Wir konzentrieren uns bei schwierigen Wegen auf die Strecke und können tagträumen, wenn es leichter wird. Dieses Zusammenspiel macht die Magie des Wanderns aus.

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Man kann ja allein oder mit mehreren Leuten zusammen wandern. Aber ich finde: Entweder ich wandere oder ich quassele mit Leuten. Gehört Stille zum Wandern?

Ich wandere meist allein, habe meinen eigenen Rhythmus und mag die Stille. Für mich ist Wandern bewegte Meditation. Andere fühlen sich allein unwohl und lieben das Gemeinsame. Ich will da nicht über Vorlieben urteilen.

Was bevorzugen Sie beim Wandern: die Berge oder die Ebene?

Die Küste. Ich liebe zum Beispiel den Fischerweg in Portugal. Das Auf und Ab dieses Küstenwanderwegs, immer begleitet von der Weite des Meeres. Herrlich!

Woran erkennen Sie Wanderanfänger auf Ihren Touren?

Am zu vollen und deshalb zu schwerem Rucksack. Die Leute packen immer zu viel ein. Weniger ist auch beim Wandern mehr!

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