"Musik atmet in uns, solange wir leben, und klingt über Berge bis in die Ewigkeit. Im Gedenken an unsere verstorbenen Musikfreunde. Musikkapelle Silz 2016." Dies las ich bei meiner letzten Skitour Anfang Februar dieses Jahres auf einer am Gipfelkreuz angebrachten Metallplatte. Für mich war es nicht überraschend, ausgerechnet am Gipfel eines Berges solch eine spirituell-andächtige Inschrift zu lesen. Sie vereint Zeitlichkeit und Ewigkeit, Sterblichkeit und Unsterblichkeit, Physik und Metaphysik. Und diese Inschrift rief in mir Erlebnisse hervor, die ich einst selbst beim Bergsteigen erfahren durfte, Erlebnisse, die das sportliche Unterwegssein überstiegen und ins Unendliche, in die "Ewigkeit" ausgriffen. Man empfindet dann nicht mehr eine Trennung von Gegenwart und Zukunft, von Ich und Welt, sondern Einheit, man empfindet einen Augenblick höchsten Glückes.
Dieses Eins-Sein wurde mir plötzlich und auf geradezu mystische Weise deutlich, als ich einmal mit Skiern in den Schweizer Bergen unterwegs war und für längere Zeit am Fuße des legendären Piz Palü stand. Bedingt durch den sich neigenden Tag musste ich schließlich mit folgender Empfindung Abschied nehmen:
Noch einmal emporblicken, noch einmal die Atmosphäre dieses Ortes einatmen, einsaugen, einfühlen. Ich schaue den Berg an, und der Berg mich; ich atme den Berg ein, und er mich. Wir haben den Blick, wir haben den Atem getauscht.
Der Bergsteiger pflegt ein geradezu mystisch-erotisches Verhältnis zur Berg-Welt, erotisch freilich nicht im reduziert-sexuellen Sinne verstanden, sondern im ursprünglich griechisch-platonischen Sinn des Wortes: als ein liebendes Streben nach Höherem, ja nach dem Höchsten. Der Geist, der eine gewisse Leere in sich verspürt und damit innewird, dass ihm etwas fehlt, gewinnt durch den Anblick der Berg-Welt einen An- und Auftrieb. Die Berge verweisen ihn auf etwas Umfassendes, Über-Subjektives, ohne dieses Subjektive doch verleugnen zu müssen.
4 Wochen gratis testen, danach mit 10 € guten Journalismus und gute Projekte unterstützen.
Vierwöchentlich kündbar.
Günther Seubold: Bergsteigen. Eine Philosophie des Lebens, Tyrolia Verlag, Innsbruck 2025.