chrismon: "Wer in den Wald geht, ist netter zu den Leuten", haben Sie mal gesagt. Wie meinen Sie das?
Manfred Spitzer: Dieser Gedanke geht auf Immanuel Kant zurück, der meinte, dass wir uns beim Anblick der Natur – Sternenhimmel, Wald, Wasserfälle, Meer, weites Land, Berge, Täler – als Teil eines größeren Zusammenhangs erleben. Dabei wird uns bewusst, wie winzig klein wir einerseits sind, doch zugleich auch riesengroß. Kant vermutete, dass uns dieses Gefühl dazu bringt, uns mitmenschlicher zu verhalten.
Und hat Kant recht gehabt?
Ja. Amerikanische Psychologen von der Universität Rochester beispielsweise fanden heraus, dass Naturerleben unseren Egoismus schrumpfen lässt, als würde unser Ego angesichts von Bergen und Tälern, Bäumen und Flüssen kleiner. Damit legen die Daten auch nahe, dass wir in dem Maße, wie wir unsere Verbindung mit der Natur verlieren, auch unsere Verbindung zu anderen Menschen verlieren. Und das stimmt nachdenklich!
Es heißt, der Wald macht uns auch gesünder und glücklicher.
Die Japaner sprechen schon lange von "Waldbaden", womit sie etwas Ähnliches meinen wie wir beim Verwenden des Wortes "Sonnenbaden": Man umgibt sich – wie in einem Bad im Wasser – vollständig mit etwas, das uns guttut. Japanische Untersuchungen bestätigen ganz klar, dass sich Blutdruck und Pulsfrequenz normalisieren, Angst und Stress abnehmen, die Konzentrationsfähigkeit steigt. Das lässt sich auch auf den Wald in Mitteleuropa oder in den USA übertragen.
Welchen Einfluss hat die Farbe Grün?
Mehr Kreativität! Im Vergleich zur Farbe Rot, die unsere Genauigkeit erhöht, weil wir "enger" oder "kleinteiliger" denken, bewirken die Farben Grün und Blau, dass wir "weiter" bzw. "offener" denken und uns daher mehr einfällt. Überhaupt die Farben: Warum eigentlich wollen die Menschen nicht ins Gelbe oder Rote, Graue oder Violette fahren, sondern immer ins Blaue, was für Himmel und Wasser steht, oder eben ins Grüne? Für Jahrhunderttausende lebten unsere Vorfahren in und mit der Natur. Bäume spendeten Schatten und man war sicher, wenn man hinaufkletterte. Und konnte weiter sehen und damit Gefahren früher erkennen.
Der ideale Wald für die körperliche und seelische Gesundheit ist . . .
. . . der, den ich in weniger als einem halben Kilometer von meiner Wohnung aus fußläufig oder mit dem Fahrrad leicht erreichen kann.
Und wenn ich aber mitten in der Stadt wohne?
Ein paar Bäume in der Straße und nicht allzu weit entfernte Parkflächen wirken sich positiv auf die Lebensqualität und sogar die Gesundheit aus.
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