Integration von Flüchtlingen
Wir haben’s geschafft, oder?
Die Kleinstadt Altena nahm 2015 mehr Flüchtlinge auf, als sie musste. Wie ist die Meinung dazu zehn Jahre danach? chrismon hat sich umgehört
Humam Al Gburi aus dem Irak mit seiner "Omi" Uschi Panke – sie half ihm damals, nun hilft er ihr
Victoria Jung
Privat
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13.08.2025
12Min

"Deutschland ist ein starkes Land. Wir schaffen das." Es ist Ende August 2015, als Bundeskanzlerin Angela ­Merkel ­diesen historischen Satz auf einer Pressekonferenz in ­Berlin sagt. Dass Deutschland es schafft, die ­geflüchteten Menschen aufzunehmen. Dass Deutschland die ­Inte­gra­tion schafft, das Zusammenleben. Ehrenamtliche Initiativen entstehen. Essen und Kleider werden verteilt, Spenden gesammelt, Sprachkurse organisiert. Deutschland entwickelt die Willkommenskultur.

Rund 900 000 Flüchtlinge kommen 2015 ins Land, ­eine absolute Rekordzahl. Auch der Kleinstadt Altena im Sauerland wird ein Kontingent zugewiesen: Der Ort hat knapp 17 000 Einwohner, entsprechend soll er nach dem ­bundesweit geltenden Königsteiner Schlüssel 270 Geflüchtete aufnehmen. Doch Altena nimmt freiwillig noch ­weitere 102 Menschen auf. Bürgermeister Andreas ­Hollstein (CDU) sieht die Zuwanderung als Chance, neue Einwohner und Einwohnerinnen zu gewinnen.

In ­Altena stehen zehn ­Prozent der Wohnungen leer, das ist die höchste ­Leerstandsquote in Nordrhein-West­falen. Für sein Integrationskonzept unter dem Motto "Vom ­Flüchtling zum Mitbürger" wird Altena 2017 den ­Nationalen ­Integrationspreis erhalten.

2024 kommen deutlich weniger Flüchtlinge nach Deutschland, 2024 wurden bundesweit rund 250 000 Asylanträge gestellt. Die Willkommenskultur ist hierzulande zehn Jahre später nur noch vereinzelt zu spüren, und Zuwanderung gilt den meisten Menschen nicht als Chance, sondern als etwas Problematisches, kaum zu Bewältigendes. Doch wie sieht die Realität aus? Was sagen die Menschen in Altena heute: Haben wir es geschafft?

Altena liegt an der Lenne, oben die Burg mit Jugendherberge, dazwischen ein "Erlebnisaufzug". "Wir haben es geschafft", findet Altenas Integrationsbeauftragte Anette Wesemann


Nebel verdeckt den Blick auf die Burg aus dem 12. Jahrhundert und den Wald ringsum. Es ist ein regnerischer Nachmittag im späten Frühling, als Anette Wesemann in Altena das Repaircafé betritt. Einmal im Monat reparieren hier Ehrenamtliche die defekten elektrischen Geräte ihrer Mitmenschen. Anette Wesemann hat diese Veranstaltung mit ins Leben gerufen. Sie organisiert auch die örtliche Kleiderkammer ehrenamtlich mit und engagiert sich bei der Tafel. Neben ihrem Job als Integrationsbeauftragte der Stadt Altena.

Es war ein intensiver, aufregender Tag, erinnert sich Wesemann, als damals die 102 zusätzlichen Flüchtlinge mit Bussen in Altena ankamen. Sie hat die Menschen im Gemeindehaus mit Kaffee und Kuchen empfangen und Paare verbunden: Jeder geflüchteten Person stellte die Stadt einen Menschen aus Altena als Kümmerer zur Seite. Danach kam die Verteilung in die Wohnungen. Abends war sie noch unterwegs, um Bettwäsche zu verteilen.

Das Aufnahmesystem funktioniert heute besser

Das Schönste an ihrer Arbeit sei es, sagt Anette ­Wesemann, mitzuerleben, wenn zugewanderte Menschen hier ihren Platz in der Gesellschaft finden. So wie ihre Kollegin im Integrationsbüro, die 2015 aus Syrien nach Deutschland kam und seit 2020 an ihrer Seite arbeitet.

Im Vergleich zu 2015 reagiert das deutsche Aufnahme­system heute insgesamt schneller, sagt Wesemann. Die Sprachkurse etwa, die sie 2015 mit Ehrenamtlichen ­organisiert hat, sind heute nicht mehr nötig, weil der Staat sie anbietet. Dennoch sieht sie Handlungsbedarf: "Wir müssen mehr in die Integration investieren", sagt sie, "vor allem mit den jungen, allein reisenden Männern müssen wir viel mehr arbeiten, wenn wir wollen, dass sie später etwas Wertvolles für die Gesellschaft leisten." Es ­brauche mehr Leute, die Geflüchtete unterstützen, auch mehr ­Profis aus der Sozialarbeit.

Im Vergleich zu 2015 ist die Stimmung gegenüber ­Geflüchteten heute schlechter, so ihr Eindruck. Es ärgert sie, dass die hier lebenden Menschen nicht sehen, wie gut es ihnen geht. "Natürlich ist das System nicht perfekt, aber unser Sozialstaat funktioniert", sagt sie. "Wir haben es geschafft. Und wir schaffen es immer noch. Wir sind durchaus in der Lage, geflüchtete Menschen aufzunehmen."

Humam Al Gburi kam 2015 als junger Flüchtling nach Altena. Impression mit Katze

Einer der jungen, allein reisenden Männer von damals ist Humam Al Gburi. Heute sitzt er am Wohnzimmertisch seiner Wohnung am Stadtrand und erzählt von seiner Kindheit im Krieg, von seiner Flucht aus dem Irak. Als junger Mann verließ er seine Heimat und kam über die Türkei und das Mittelmeer nach Europa. In München beantragte er Asyl, in Altena landete er schließlich als einer von 102 weiteren Geflüchteten, die 2015 mit drei Bussen auf einen Schlag in die Stadt kamen.

Mögen Sie den Wald? Das habe ihn eine Frau im ­Gemeindehaus gefragt, als er nach Altena kam, erzählt Al Gburi. Die Wohngemeinschaft, in der er untergebracht wurde, lag am südlichen Rand von Altena, nur wenige Meter vom Wald entfernt. Jetzt wohnt er in einer Pa­rallel­straße, zusammen mit seiner Freundin. "Ich mag den Wald", sagt er.

Erst später konnte er Worte für sein Trauma finden

Die Frau im Gemeindehaus war seine Kümmerin. Sie stammte aus dem Sudan und sprach Arabisch, sie habe gut zu ihm gepasst, sagt Al Gburi. Er musste Deutsch ­lernen. Später erst konnte er Worte finden für seine traumatischen Erlebnisse. "Ich hatte alles im Kopf", sagt er, "den Krieg, den Weg, den Schmerz."

Zusammen mit der Kümmerin hat er auch seine ­deutsche "Omi" kennengelernt. So nennt er die 85-jährige Frau, die er als seine Familie hier ansieht. Sie hat ihm geholfen, Deutsch zu üben, die Menschen hierzulande zu verstehen – und einen Beruf zu erlernen, an den er vorher gar nicht gedacht hatte: Pflegefachmann. Eigentlich wollte er Mechatroniker werden. Aber die Omi hat ihn beeinflusst. Sie war bis zu ihrer Rente ­Intensivkrankenschwester.

Mittlerweile ist Al Gburi 34 und fertig mit der Ausbildung. Heute hat er sich freigenommen, um sein neues ­Auto abzuholen – einen SUV von Volkswagen. Bisher ist er mit einem alten Kia gefahren, aber er liebe deutsche Autos und habe ein neues, zuverlässiges haben wollen, sagt er. Er will pünktlich zur Arbeit kommen, seine Arbeitsstelle liegt außerhalb.

In der Ausbildung lernte er seine Freundin kennen, sie kommt aus Vietnam. Während Al Gburi irregulär eingereist ist, hat sie in ihrer Heimat einen Vertrag bei einer Vermittlungsagentur unterschrieben und ein Flugticket nach Deutschland bekommen. Heute üben sie denselben Beruf beim selben Träger aus, kümmern sich in ­Schichten von acht bis zwölf Stunden um das Wohlergehen ­anderer. Doch die öffentliche Meinung sortiert sie in zwei ­verschiedene Kategorien ein: Er wird als Problem gesehen, sie als Lösung – er steht für das Problem der irregulären ­Zuwanderung; sie für die Lösung des Fachkräftemangels.

Wenn er an seine Zukunft denkt, möchte Al Gburi mit seiner Freundin in eine Großstadt ziehen, vielleicht nach Hamburg, sagt er. Und dann Kinder haben. Aber noch nicht jetzt, jetzt braucht seine Omi Hilfe, sie ist alt und oft krank. "Sie hat sich um mich gekümmert, nun kümmere ich mich um sie."

Man muss den Menschen ein Stück Leben geben, sagt Kai Spelsberg, Leiter der freiwilligen Feuerwehr. Im Familienbetrieb von Fabian Schmidt arbeiten seit Jahrzehnten Menschen aus anderen Ländern – wie Ayham Taimouk rechts neben ihm. Aber es sollte schneller gehen mit der Arbeitserlaubnis, findet der Firmenchef

Al Gburi mischt die bildhafte Sprache seiner Heimat gern mit deutschen Redewendungen wie "Der Ton macht die Musik". Er sei in Deutschland angekommen, sagt er, "das sieht man doch". Seine Papiere sagen etwas anderes: "Aufenthaltserlaubnis, § 25 b, Absatz 1, Satz 1". Auf Deutsch: zweijährige Aufenthaltserlaubnis für einen geduldeten Ausländer, der sich in die Lebensverhältnisse in Deutschland integriert.

Ebenso alt wie Al Gburi, der damalige Flüchtling, ist einer, der damals Helfer war: Kai Spelsberg, Leiter der ­Freiwilligen Feuerwehr Altena. An diesem Nachmittag parkt er das Feuerwehrauto mit den Blaulichtern auf dem Dach und dem Stadtwappen an der Seite vor der Wache. ­Spelsberg war schon mit zwölf Jahren in der ­Jugendfeuerwehr, auch sein Vater war schon bei der Feuerwehr. Familiensache. Natürlich war Spelsberg auch dabei, als 2015 die Geflüchteten nach Altena kamen.

Damals half die Feuerwehr

Die Feuerwehr mit ihren rund 200 Mitgliedern ist ­eine Institution in Altena, die gut zusammenhält – ohne Nachwuchsprobleme, auch wenn die Stadt schrumpft, sagt Spelsberg. So habe er damals mit den anderen Feuerwehrleuten beim Aufbau der Unterkünfte geholfen, Betten ­geschleppt und Matratzen.

Was meint er, haben wir es geschafft? "Nicht ganz", sagt Spelsberg. Er findet es gut, wie sie es in Altena gemacht haben: die Flüchtlinge dezentral unterzubringen statt in großen Aufnahmelagern. Ihnen Menschen an die Seite zu stellen, die sich um ihr Ankommen in der Stadt kümmern. Aber nicht alle Kommunen hätten ­genügend Wohnraum, so sein Eindruck aus den Fernsehnachrichten, wo er Bilder von großen Hallen sieht. "Man muss den Menschen ein Stück Leben geben. Das geht nicht in einer Turnhalle mit 60 Betten. Und wenn die Leute nur in der Turnhalle sitzen und nicht arbeiten dürfen, ­funktioniert Integration nicht."

Ja, es dürfte gern schneller gehen mit Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis, findet auch Fabian Schmidt. Er sitzt in seinem Büro im zweiten Stock der ­Firma Lüling. Schmidt, Mitte 40, leitet das Stahldrahtwerk seit 2011. Er hat schon einige Erfahrung mit der deutschen Bürokratie. In dem Familienunternehmen arbeiten seit Jahrzehnten Menschen aus anderen Ländern. Am Anfang waren es die sogenannten Gastarbeiter, sie kamen aus ­Italien, ­Griechenland, der Türkei. Dann aus Bosnien, Polen, Serbien. 13 verschiedene Nationalitäten hat er in seinem Betrieb. 150 Leute beschäftigt er insgesamt.

Lesetipp: Dokus über Geflüchtete: Wie geht es euch?

Das Motto des Familienunternehmens lautet: "Wir denken Draht weiter." Bis in die 70er Jahre galt Altena als Zentrum der Drahtindustrie, heute gibt es nur noch wenige Drahtwerke wie Lüling. Das Unternehmen feiert in diesem Jahr sein 168-jähriges Jubiläum. Lüling liefert ­Spezialdrähte vor allem an die Automobilindustrie, zum Beispiel für ­Bremsen oder Airbagsysteme.

Von den Geflüchteten, die 2015 nach Altena ­gekommen waren, haben einige bei Lüling ein Einstiegsqualifizierungs­jahr absolviert. Ein Jahr, in dem die Menschen schon ­arbeiten, vor allem aber schauen, ob ihnen die Arbeit liegt, in dem sie Geld verdienen, aber ohne den Druck ­einer Ausbildung, ohne Prüfungen. Am Ende haben drei Männer aus Syrien die anschließende Fachausbildung ­abgeschlossen, erzählt er.

Zuwanderung ist das Thema der Zukunft

Zu den damaligen Worten von Ex-Kanzlerin ­Angela ­Merkel sagt Firmenchef Fabian Schmidt: "Es war die ­richtige Entscheidung, Flüchtlinge aufzunehmen. Wir haben es geschafft, wenn auch nicht überall ­hundertprozentig." Es sei nicht nur eine Frage der Menschlichkeit, das Asylrecht anzuerkennen, für ihn sei Zuwanderung neben der ­Automatisierung der Arbeit das Thema der Zukunft. "Wir ­brauchen Arbeitskräfte für unsere Wertschöpfung, die ­unser aller Wohlstand erhält."

Der heutige Bürgermeister Uwe Kober sieht das ähnlich: Er brauche neue Einwohner und Einwohnerinnen, um die Lebensqualität der Stadt zu erhalten, sagt er in einem Telefonat aus seinem Büro im Altenaer Rathaus.

Kober, Mitglied der CDU, will bei der nächsten Kommunal­wahl im September nicht mehr als Bürgermeister von Altena kandidieren. Es sind schwierige Jahre gewesen. Aber die Probleme hätten nichts mit den Geflüchteten zu tun gehabt, sagt Kober, sondern mit der Corona-Krise, der Flutkatastrophe von 2021 und dann im selben Jahr mit der Brückensperrung der Autobahn 45 bei Lüdenscheid. Seitdem herrsche in Altena und Umgebung Verkehrs­chaos, sagt Kober. Und das größte Problem der Stadt ist immer noch: Altena ist pleite, seit Jahren. Das liege vor allem an der fehlenden Finanzierung von oben, sagt Kober. Und: "Die Kosten für den Haushalt bleiben gleich, aber die ­Einwohnerzahl sinkt und damit auch die Einnahmen."

In dieser Stadt läuft einiges schief, sagt Nilüfer ­Seker

"In dieser Stadt läuft einiges schief", sagt Nilüfer ­Seker. Ihr Eiscafé Nostalgie liegt in der Hauptstraße Altenas ­direkt gegenüber dem Erlebnisaufzug, der die Besucher und Besucherinnen vom Zentrum hinauf zur Burg bringen soll. Eine Attraktion für Touristen. Wenn es denn welche gibt.

Nilüfer Seker steht an diesem Samstag kurz nach 13 Uhr vor dem Café und raucht mit ihren Kundinnen eine Zigarette in der Sonne. Vor wenigen Minuten hat sie geöffnet, fünf Frauen sitzen bereits an den Tischen im ­Außenbereich des Eiscafés.

Bei der Kommunalwahl im September wird sie auf der Liste der SPD kandidieren. "Ich will in den Rat." Sie möchte parteilos bleiben, Politik interessiert sie eigentlich nicht, aber sie will etwas bewegen: den Einzelhandel unterstützen, gegen die Bürokratie, gegen erdrückende Vorschriften. Die Innenstadt wiederbeleben. Denn links und rechts von Sekers Café reihen sich leere Ladenlokale aneinander, an den Schaufenstern kleben Schilder: "Ab sofort zu vermieten".

Nilüfer Seker, 45 Jahre alt, ist in Altena geboren, ihre Eltern waren Anfang der 70er Jahre aus der Türkei eingewandert. Als sie 15 Jahre war, hat sie mit ihrer Familie den türkischen Pass abgegeben und den deutschen bekommen. Sekers Eltern hatten einen Gemüseladen am Busbahnhof, erzählt sie, der heute noch von Verwandten weitergeführt wird. Ihre sechs Schwestern sind alle weggezogen, sie ist in der Stadt geblieben, hat mehrere Läden betrieben. Das Nostalgie-Café, 2015 eröffnet, musste sie wegen der Flutkatastrophe 2021 schließen, seit 2022 läuft der Laden wieder.

Was denkt sie über die Integration der Geflüchteten? ­Haben wir es geschafft? "Leider nein", sagt sie. Natürlich solle man Menschen in Not aufnehmen. Damals, 2015, seien die Geflüchteten willkommen gewesen, jetzt sei die Stimmung in der Stadt anders. Sie findet es nicht ­richtig, dass Geflüchtete und Asylberechtigte in Deutschland leben und Geld bekommen, ohne zu arbeiten. "Uns hat keiner was geschenkt", sagt Seker mit Blick auf ihre ­Familiengeschichte, "wir mussten für unser Geld arbeiten."

"Uns hat keiner was geschenkt, wir mussten für unser Geld arbeiten", sagt Eiscafé-Besitzerin Nilüfer Seker, hier mit ihrem Mann Hüseyin

Ihr Mann zum Beispiel, der gerade hinter der Theke des Cafés steht, habe 36 Jahre lang Vollzeit in der Automobilindustrie gearbeitet, bei einer Firma in der Nähe von ­Altena, die den Standort im vergangenen Sommer geschlossen hat. Ihr Mann sei ohne Abfindung in die Arbeitslosigkeit geschickt worden, sagt sie.

Die AFD ist zweitstärkste Kraft in Altena geworden

Dass die Leute in Altena bei der Bundestagswahl die AfD zur zweitstärksten Partei gewählt haben, bezeichnet Seker als Frustreaktion. Diesen Frust müsse man ernst nehmen, aber die Migrationspolitik der AfD findet sie ­realitätsfremd: "Wenn alle Ausländer weg wären, wer würde dann hier arbeiten? Deutschland ginge es nicht besser." Dann würde zum Beispiel Samar Wahbi Alzahabi ­fehlen. Die trinkt an einem Nachmittag in ihrer Wohnung in Altena-Zentrum einen Kaffee, der nach Kardamom ­duftet. Wahbi Alzahabi, heute 51 Jahre alt, hat 40 Jahre lang in Syrien gelebt.

In Damaskus lebte sie zusammen mit ihrem Mann und ihrem Sohn. "Der Krieg ging über unsere Köpfe." Ihr Sohn, damals zehn, habe oft vor Angst gezittert. Ihr Mann ­habe sich zuerst nach Deutschland aufgemacht, sie sei mit ­ihrem Sohn nachgekommen, 2015, mit dem Flugzeug aus dem ­Libanon nach Frankfurt. ­Familienzusammenführung heißt das, wenn anerkannte Schutzbedürftige ihre Ehepartner und Kinder herholen dürfen. Das erspart ihnen das Geld für Schleuser und die Traumata der irregulären Mi­gra­tions­rou­ten. Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD sieht diese Möglichkeit nicht mehr vor.

In Syrien war Wahbi Alzahabi Lehrerin, in Deutschland absolviert sie gerade eine Ausbildung zur Betreuungs­assistentin. Sie wird dann zum Beispiel alte Menschen in ihrem Alltag begleiten, ihnen Gesellschaft leisten. ­Wahbi Alzahabi wirkt energisch, scherzt und lacht, über ihren neuen Beruf sagt sie: "Ich helfe Menschen, glücklich zu sein." Jeden Tag von 8 bis 13 Uhr hat sie Unterricht. ­Heute Abend wird sie noch ihre Notizen durchgehen, das ­Gelernte für eine Prüfung wiederholen.

Der Anfang in Altena war schwer. Aber Nachbarinnen hätten ihr beim Ankommen geholfen. Auch wenn sie sich mit wenigen Worten und vielen Gesten ­verständigen mussten. Sie habe sich willkommen gefühlt. Wahbi ­Alzahabi bekam noch einen Sohn mit ihrem Mann, danach trennten sie sich. Heute lebt sie allein mit ihren zwei Söhnen, 20 und sechs Jahre alt. Beide sind auf dem Papier Deutsche. Sie hingegen hat einen syrischen Pass und eine deutsche Aufenthaltserlaubnis – als Sorgeberechtigte für ihren minderjährigen Sohn.

Samar Wahbi Alzahabi wird als Betreuungsassistentin bald alte Menschen unterstützen: "Ich helfe Menschen, glücklich zu sein". Malerei von einem Geflüchteten im Büro der Integrationsbeauftragte Anette Wesemann im Rathaus Altena

Jedes Jahr muss sie die Aufenthaltserlaubnis ­verlängern lassen, dafür muss sie sich um die Gültigkeit ihres ­syrischen Passes kümmern. Verschiedene Behörden in verschiedenen Städten, Warteschlangen, Kosten. Aktuell lebt sie als alleinerziehende Mutter noch von ­Sozialleistungen des Jobcenters – nach Abzug von Miete und Nebenkos­ten wie Strom blieben ihr und ihren Kindern etwa 600 Euro im Monat, sagt Wahbi Alzahabi. Auch wenn sich die Lage in Syrien verbessern sollte, will sie nicht zurück, sagt sie. Sie hat für ihre Söhne ein neues Leben in Sicherheit aufgebaut, in Altena.

Lesetipp: Wie funktioniert Integration?

Gern würde sie deutsche Staatsbürgerin werden. ­Inzwischen beherrscht sie die deutsche Sprache auf dem Niveau B 2 – sie kann sich also fließend auf Deutsch verständigen, auch komplexe Texte verstehen. Neben der Ausbildung und den Aufgaben einer alleinerziehenden Mutter hilft Wahbi Alzahabi anderen Migrantinnen und Migranten in Altena. Bei Terminen im Jobcenter oder beim Arzt übersetzt sie vom Deutschen ins Arabische. ­Ehrenamtlich engagiert sie sich auch bei der Tafel und in der Kleiderkammer. "Ich habe viel Hilfe bekommen", sagt sie, "ich möchte etwas zurückgeben."

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