Anfänge - Zuerst joggte sie nur 1000 Meter
Ina Grande: Der Sport ist meine Zeit für mich
Aaron Leithäuser
Erst übergewichtig, jetzt Triathlon-Läuferin
Zuerst joggte sie nur 1000 Meter
Lange hatte sie ihre Sorgen mit Essen kompensiert. Nach einem Gewichtsverlust begann sie mit Sport – und macht nun sogar ihren ersten Triathlon
Karina ScholzPrivat
Aktualisiert am 07.06.2024
4Min

Ina Grande, 43:

Wenn die Leute hören, dass ich Triathlon mache, gehen die meisten vom berühmten Extrem aus, dem Ironman: 3,8 Kilometer schwimmen, 180 Kilometer Rad fahren und 42 Kilometer Marathon laufen. Dabei gibt es den Sport in vielen Abstufungen. Im Mai machte ich meinen ersten Triathlon mit, die Sprintdistanz: Ich bin 500 Meter geschwommen, 20 Kilometer Rad gefahren und 5 Kilometer gelaufen. Das hat unglaublich viel Spaß gemacht. Auch zu spüren, wie viel Power in meinem Körper ist. Noch vor drei Jahren wäre das undenkbar gewesen, so übergewichtig war ich.

Eigentlich kam ich mit Triathlon schon in meiner ­Jugend in Berührung, mein Vater war Landestrainer. Ich probierte es aus, ließ es aber wieder sein. Als Erwachsene kompensierte ich die verschiedensten Sorgen mit Essen. In mir war aber immer die Vorstellung, dass ich gerne laufen möchte. Erst nachdem ich 30 Kilogramm abgenommen hatte, traute ich meinen Gelenken das Laufen zu. Vor zwei Jahren im Urlaub in Dänemark zog ich zum ersten Mal seit langer Zeit die Laufschuhe an und joggte knapp einen Kilometer, ganz langsam. Danach dachte ich: Das möchte ich öfter machen. So kam ich zum Laufen und merkte, dass ich noch einen Ausgleich brauche.

Ich war immer eine gute Schwimmerin gewesen, aber der hiesige Schwimmverein passte für mich nicht. Deshalb meldete ich mich beim Triathlonverein zum Schwimmen an. Eines Tages hing in der Halle eine Ausschreibung für das Anfängertraining, das Rookie-Programm. Eine Mitschwimmerin meinte zu mir: "Wollen wir uns das mal angucken?" Etwas zögerlich stimmte ich zu.

Lesen Sie dazu: In Freiberg in Sachsen setzen sich Läuferinnen und Läufer für Toleranz ein - nun wollen sie Obdachlosen in den USA helfen

Und kurz nach dem Entschluss zum Anfängertraining waren wir für unseren ersten Triathlon angemeldet. Da ­habe ich gedacht: Ich will das jetzt! Es war kurios. Denn auch früher schon hatte ich die Idee, wie ich mein Leben gestalten möchte, aber das war fernab von dem, wie mein Leben tatsächlich aussah. Dieses "Ich mach das jetzt!" konnte ich auch durch das hohe Gewicht lange nicht verwirklichen. Ich hab mich sehr geschämt.

Seitdem hat sich viel für mich geändert. Wenn mein ­Beruf, die Familie, der Alltag zu viel Druck aufbauen, dann weiß ich, der Sport ist meine Zeit für mich. Beim Laufen frühmorgens, wenn die Welt noch schläft, komme ich zur Ruhe. In meinem Kopf ist dann eine ­wohltuende Stille, keiner will was von mir. Dieses Geschenk ist so groß, dass ich einfach immer weitermache. Auch meine ­Tagesplanung hat sich verändert, ich verdaddel meine Zeit nicht mehr. Neben meiner Arbeit als Lehrerin an ­einer Berufsfachschule bin ich freie Supervisorin, Mutter eines Schulkindes und Ehefrau, und dennoch passen ­Schwimmen, Radfahren und Laufen in meinen Alltag.

Ich bin unfassbar dankbar dafür, was mein Körper leistet

Ich bin unfassbar dankbar dafür, was mein Körper leistet. Aber zu behaupten, dass ich im Reinen mit meinem Körper bin, wäre gelogen. Durch meine Gewichtsabnahme sind Hautfalten am Bauch übrig geblieben, die sieht man im engen Triathlonanzug deutlich. Das gefällt mir nicht. Zum Glück erlebe ich viel Herzlichkeit und Unterstützung in diesem Sport. Das hätte ich nicht erwartet. Immerhin geht man ja als Einzelkämpfer an den Start.

Im vergangenen Jahr warf mich eine Verletzung aus der Bahn, ich hatte viel trainiert und eine Entzündung am linken Knie bekommen. Mein Vater riet mir, auf Aqua­jogging umzusteigen. Es sah albern aus, aber ich zog es ein halbes Jahr lang durch. Seitdem höre ich viel besser auf meinen Körper. Inzwischen trainiere ich für den Triathlon in olympischer Distanz, also 1,5 Kilometer schwimmen, 40 Kilometer Rad fahren und 10 Kilometer laufen.

Anfangs hatte ich ein schlechtes Gewissen meiner ­Familie gegenüber, weil ich so oft weg bin. Inzwischen ändert sich das. Jetzt frage ich meinen Mann öfter mal: Ich habe am Wochenende einen langen Lauf geplant, wann passt es dir? Und was willst du machen?

Ich wünsche mir, dass mein Körper mich noch lange trägt. Mein Übergewicht zu verlieren war mir erst möglich, als ich gelernt habe, auch unangenehme Gefühle anzuschauen und sie loszulassen. Da hat sich ein Knoten gelöst und Platz gemacht für diese Freude, die ich jetzt am Triathlon habe. Wir können ganz viel schaffen, wenn wir eine Vision haben. Dazu will ich auch andere ermutigen.

Protokoll: Karina Scholz

chrismon Spendenabo doppeltgut
doppeltgut
Digitales Spendenabo abschließen und weiterlesen

4 Wochen gratis testen, danach mit 10 € guten Journalismus und gute Projekte unterstützen.
Vierwöchentlich kündbar.

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.