Für Klima und Schöpfung: junge Christen beim Kirchentag 2023 in Nürnberg
Daniel Karmann/dpa/picture alliance
Kirche und Politik
"Jetzt müssen die Jungen übernehmen"
Die Theologin Margot Käßmann hofft, dass sich die Kirche mehr gegen die Aufrüstung stellt. Und erklärt, warum sich besonders die junge Generation politisch engagieren muss. Ein Interview zum Kirchentag
Lena Uphoff
30.04.2025
6Min

chrismon: Mit Ihrem neuen Buch werben Sie für den evangelischen Kirchentag. Das ist auch nötig, denn 2023 kamen viel weniger Besucherinnen und Besucher als erwartet.

Margot Käßmann: Wenn man zurückblickt, gab es bei den Besucherzahlen seit 1949 schon immer Schwankungen. 1954 kamen in Leipzig 650.000 Menschen zur Schlussversammlung. 1973 in Düsseldorf waren es nur 7500 Dauerteilnehmende. Zwar sinkt die Zahl der Kirchenmitglieder in Deutschland, aber ich wünsche mir, dass auch dieses Mal wieder viele Tausend Menschen kommen und diese besondere Stimmung, diese Spiritualität und die vielen Diskussionen erleben. Um dann selbst für den Kirchentag zu werben. Das ermutigt ja auch für das Gemeindeleben vor Ort, in dem es zurzeit nicht immer leicht ist.

Julia Baumgart

Margot Käßmann

Margot Käßmann, Jahrgang 1958, studierte Theologie. Nach ihrer Promotion und der Tätigkeit als Pfarrerin und später als Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages war sie Landesbischöfin der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers. Von 2009 bis 2010 war sie Vorsitzende des Rates der EKD.

Der Kirchentag gibt der AfD keine Bühne. Kann die Veranstaltung rechte Christen bekehren?

Ich denke, auf dem Kirchentag können Menschen eine Haltung entwickeln, und zwar von der Bibel her. Wenn da noch mal klar wird: Gott hat den Menschen zum eigenen Bilde geschaffen, und zwar jeden Menschen, nicht nach Nation oder Herkunft gestaffelt, ist das eine Einsicht, die Beteiligte mitnehmen. Und dann lassen sie sich nicht so leicht in die Fänge dieses Geredes von Bio-Deutsch und Nationalismus bringen.

Aber gegenwärtig gewinnen evangelikale und rechte Christen immer stärker an Einfluss, wie man etwa in den USA sieht.

Da würde ich gern dagegenhalten und sagen, Christentum ist nicht national gebunden, sondern wir sehen uns über diese nationalen Grenzen hinweg als Schwestern und Brüder. Und das ist auch schon immer eine Botschaft des Kirchentages gewesen. Zudem: Wir dürfen die Bibel kritisch lesen. Martin Luther lag immer daran, dass alle selbst mitdenken können!

Lesetipp: Kreuzzug von rechts - das Weltbild des AfD-Abgeordneten Maximilian Krah

Was sind für Sie persönlich Highlights beim Kirchentag 2025?

Ein Highlight sind für mich tatsächlich die Bibelarbeiten, bei denen wir uns ganz ausführlich einzelnen Bibelstellen widmen und sie diskutieren. Ich finde das immer wieder spannend, wie viel uns die Bibel heute zu sagen hat. Das glauben ja viele Menschen gar nicht mehr und sie kennen auch biblische Texte gar nicht. Ich sitze gerade an der Bibelarbeit, die ich selbst zu halten habe. Das ist immer wieder eine spannende Erfahrung. Dann freue ich mich einfach auch auf dieses Gemeinschaftsgefühl. Das haben Kirchentage immer ausgedrückt. Wir werden auch ein Friedenszentrum gestalten. Darauf freue ich mich auch, weil sich die Friedensbewegten in den Kirchen so gegenseitig ermutigen können, auch stark und wachsam zu bleiben.

Mit welcher Bibelstelle setzen Sie sich auseinander?

Die Bibelstellen werden vom Kirchentag vorgegeben. Für den Samstag, an dem ich dran bin, ist es Matthäus 28,1–10. Es geht um die Auferstehung Jesu – zentral für unseren Glauben, aber eine Herausforderung in der Exegese.

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Auf dem Kirchentag geht es auch um die Sängerin Taylor Swift …

Da wird ein Gottesdienst mit den Songs von Taylor Swift angeboten. Aber damit kenne ich mich nicht so gut aus, dafür bin ich zu alt, denke ich. Jede Generation hat ihre Musik. Bei mir war das Gospel. Das war damals das Neue.

Sie haben in Ihrem Buch geschrieben, Ihr aktueller Lieblingssong sei "Es ist an der Zeit" von Hannes Wader, ein altes Lied der Friedensbewegung. Warum gerade das?

Ich bin schon immer in der Friedensbewegung aktiv gewesen, solange ich denken kann. Und ich finde dieses Lied von Hannes Wader so anrührend. Es geht um einen toten jungen Soldaten im Ersten Weltkrieg. Wer mal in Verdun war und diese Schlachtfelder gesehen hat, begreift das im wahrsten Sinne des Wortes. Die Frage, wofür stirbt dieser junge Mann, darum geht es ja im Lied. Da heißt es: "Auch dich haben sie schon genauso belogen, so wie sie es mit uns heute immer noch tun."

Das klingt heute ganz schön verschwörungstheoretisch …

Ist es nicht. Diejenigen, die die Kriege anzetteln, haben immer Machtinteressen. Und es sterben dafür in der Regel junge Männer. Durch Flugzeuge, Raketen und Drohnen werden heute aber auch immer häufiger Zivilistinnen und Zivilisten getötet, völlig unbeteiligte Menschen. Sie werden für die Interessen der Mächtigen geopfert.

Wie erleben Sie als Pazifistin die Debatte um Kriegstüchtigkeit in der evangelischen Community?

In unserer Kirche waren Pazifistinnen und Pazifisten schon immer eine Minderheit, wenn wir ehrlich sind. Wir werden als naiv betrachtet. Es irritiert mich allerdings, dass die Stimme zum Frieden, für Waffenstillstand und gegen diese ewige Debatte um Waffenlieferungen an die Ukraine in unserer Kirche derzeit so leise ist. Statt von Kriegstüchtigkeit zu reden, sollten wir uns mehr für Friedensfähigkeit starkmachen!

Wie stellen Sie sich diese Friedensfähigkeit angesichts des russischen Angriffskrieges vor?

Die Kirchen haben für mich die Aufgabe, zum Frieden zu mahnen und auch immer wieder die Frage zu stellen, ob Waffenlieferungen die einzige Antwort auf den russischen Angriffskrieg sein können. Wenn ich mir die Lehre Jesu, etwa die Bergpredigt, anschaue, sehe ich das als eine Anleitung zum kreativen, aber gewaltfreien Widerstand. So wie es mein Vorbild Martin Luther King gesehen hat. Waffenlieferungen sind kein Weg zum Frieden, sondern treiben die Eskalationsspirale der Gewalt weiter an. Und an wen sollten wir noch alles Waffen liefern? An die Uiguren? An die Kurden? Es gibt ja viele, die für eine gerechte Sache kämpfen und das auch mit Waffen tun wollen. Nur sehe ich da die christliche Stimme als Mahnung, dass Waffen keine Lösung sind. Waffen schützen vielleicht Menschenleben, aber sie töten eben auch, dafür werden sie gebaut.

Lesetipp: Bischof Friedrich Kramer über Waffenlieferungen für die Ukraine

Das Motto des Kirchentages lautet "mutig, stark, beherzt". Muss die junge Generation mutiger werden, um was gegen Rechtsruck, Klimawandel und die Fehler der Boomer auszurichten?

Hier wird gern vergessen, dass viele Menschen aus meiner Boomer-Generation durchaus mutig waren und etwas riskiert haben. Wir sind gegen den Nato-Doppelbeschluss und gegen Atomkraft auf die Straße gegangen, daraus hat sich die Partei der Grünen gegründet. Und besonders mutig waren die Christinnen und Christen in der DDR, etwa, wenn sie sich konfirmieren ließen, den Aufnäher "Schwerter zu Pflugscharen" trugen oder den Kriegsdienst verweigerten. Damit riskierten sie, nicht zum Abitur oder zum Studium zugelassen zu werden. Ich denke, der Mut der Christen in der DDR war noch größer als der in der Bundesrepublik. Heute muss die junge Generation mutiger diesem Rechtsruck gegenüberstehen. Und deutlich machen, dass die Klimakatastrophe nicht einfach vorbei ist, auch wenn sie jetzt von der Politik ignoriert wurde, etwa im vergangenen Bundestagswahlkampf. Ich erwarte, dass sich die junge Generation klar engagiert, statt sich im stillen Kämmerlein vor das Smartphone zurückzuziehen. Die Jungen müssen jetzt übernehmen!

Margot Käßmann: Seid mutig und stark. bene, 128 Seiten, 14 Euro

Für welche politische Entscheidung braucht die junge Generation jetzt besonders viel Mut?

Bei der Rüstungsfrage. Auf einem Ostermarsch hat ein junger Gewerkschafter sehr klar gesagt, dass diese ganze Aufrüstung auf dem Rücken der jungen Leute ausgetragen wird. Diese Milliarden und Abermilliarden, die da ausgegeben werden sollen, fehlen ja mit Blick auf soziale Belange. Der Gewerkschafter sagte, wir sollten nicht Gewehre und Panzer produzieren, sondern unsere Zukunft gestalten, indem wir Bildung fördern und die Klimakatastrophe verhindern. Das hat mich sehr überzeugt. Investitionen in Rüstung sichern doch keine Zukunft. Das tun vertrauensbildende Maßnahmen, Diplomatie, Verträge, Kontakte der Zivilgesellschaften, auch der Kirchen.

Wann hat Sie mal der Mut verlassen?

Ich bin manchmal mutlos, wenn in Europa neue Grenzen errichtet werden und sich Nationalismus ausbreitet. Aber Christen haben geradezu eine Pflicht zu trotziger Hoffnung, schon vom Evangelium her.

Und in Ihrem Privatleben?

Meine Schwester ist letztes Jahr verstorben. Das hat mich sehr traurig gemacht. Aber meine Schwestern und ich haben Enkelkinder. Und wenn ich diese Kinder sehe, dann gibt es überhaupt keinen Grund zur Mutlosigkeit. Die Kinder dieser Welt machen mir Hoffnung, dass wir diese Erde zu einem besseren Ort machen können.

Infobox

Der Evangelische Kirchentag 2025 findet vom 30. April bis 4. Mai in Hannover statt. Das Programm und weitere Infos unter kirchentag.de

Termine mit Margot Käßmann auf dem Kirchentag in Hannover

Donnerstag, 1. Mai:
17:30-18:00 Uhr beim "Roten Sofa" auf der Bühne im Messepark, ET33
20:00-22:00 Uhr: "Mehr als Ja und Amen". Ein Abend mit Texten von Margot Käßmann und Musik von Clemens Bittlinger, Messehalle 14/15, CA73

Freitag, 2. Mai:
14:00-16:00 Uhr: Vortrag "Mutig, stark, beherzt für Frieden eintreten in Zeiten der Militarisierung" im Cinemaxx am Hauptbahnhof, Großer Saal
20:00 Uhr: "Entrüstet euch!" Lesung und Musik im Ökumenischen Friedenszentrum, in den ver.di-Höfen, Goseriede 10, etwa 700 Meter vom Hauptbahnhof entfernt

Samstag, 3. Mai:
09:30-10:30 Uhr: Bibelarbeit in Messehalle 4, KA47
11:00-12:00 Uhr: Signierstunde in der Kirchentagsbuchhandlung beim bene!-Verlag, Halle 17, Nordostecke

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