Das Wort - Margot Käßmann
Ahok
Margot Käßmann über die Kunst der Sorglosigkeit
Klar muss man vorsorgen!
Klar muss man vorsorgen! Aber schnell sind alle Pläne dahin - und dann? Braucht man Gottvertrauen, sagt Margot Käßmann
Evelyn Dragan
11.11.2019
3Min
"Darum sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie ­säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie? Wer ist aber ­unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?"
Bibelstellen
Bibelbuch
Kapitel / Verse
6,25-27

Es gab Zeiten, da fand ich diese Aussage von Jesus ärgerlich: "Darum sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie ­säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie? Wer ist aber ­unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?" (Matthäus 6,25 ff.)

So ein alleinstehender Mann ohne Verpflichtungen, der mit Freundinnen und Freunden umherzieht, mal hier, mal da unterkommt, der hat gut reden. Von wegen nicht sorgen! Klar musst du dich sorgen: um die Kinder, um Wohnung und Nahrung, um die nächste Predigt, um die Gesundheit. Es wäre doch auch absolut fahrlässig, nicht vorzusorgen, etwa für die Rente. Du brauchst eine Kranken-, Haftpflicht- und Hausratversicherung für alle Fälle.

Evelyn Dragan

Dr. Margot Käßmann

Die Theologin Margot ­Käßmann, 61, 
war bis 2010 ­Bischöfin der ­Hannoverschen Landeskirche 
und EKD-Rats­vorsitzende – 
und bis 2018 
auch chrismon-
Herausgeberin.

Wie sollte unser Leben funktionieren, wenn wir nicht planen? Wir hatten in der Familie einen riesigen Kalender an der Wand, um alle sechs Personen mit ihren Terminen zu koordinieren und nichts zu vergessen. Und in meiner Zeit als Landesbischöfin war der Kalender manchmal auf zwei volle Jahre hinaus ausgefüllt. Aber dann hat es mich zwei Mal im Leben völlig aus der Planung geworfen. Ein Mal durch Krankheit, ein Mal durch Rücktritt. Von einer Stunde auf die andere hat sich alles verändert, alle Pläne für morgen und übermorgen waren null und nichtig.

Das geht jedem Menschen so, der zum Arzt geht. ­Eigentlich erwarten wir, dass gesagt wird: Alles in Ordnung. Wenn aber nicht alles in Ordnung ist, etwa ­eine Krebsdiagnose erfolgt, ist schlagartig alles anders. Von nun an bist du nicht mehr Herrin des Verfahrens, ­sondern die Voruntersuchungen, die Vorgaben der Ärzte, die OP-Pläne des Krankenhauses bestimmen dein Leben. Deine ganze Sorgerei ist irrelevant, infrage gestellt.

Es könnte sein, dass alles ganz anders kommt

Ähnlich ist das bei einer radikalen beruflichen Veränderung. Bei mir war sie gut abgesichert, andere stürzen plötzlich in Arbeitslosigkeit. Dann sind alle Sicherheiten von jetzt auf gleich über den Haufen geworfen. Vielleicht lässt sich in der Folge das Haus nicht mehr abbezahlen, oder die Ehe gerät ins Wanken.

Ich denke, darum geht es Jesus: Klar planen Menschen, es wäre unvernünftig, das nicht zu tun. Aber wir sollten den kleinen inneren Vorbehalt nicht vergessen: Es könnte sein, dass alles ganz anders kommt. Und dann brauche ich Halt. In so einer existenziellen Situation hilft der Kalender nicht weiter und auch nicht die Versicherung. Da bin ich angewiesen darauf, dass mir Kraft geschenkt wird. Und die kann ich im Glauben, im Gottvertrauen finden.

Solches Gottvertrauen brauchen wir bei allem, was nicht planbar ist im Leben. Ja, wir sollen uns hier und heute klar engagieren, damit die Erde nicht zerstört wird. Aber die ­Sorge, die ich jetzt wieder höre, in diese Welt könne man doch keine Kinder gebären, zeigt wenig Vertrauen.

Und noch ein Aspekt ist mir wichtig: Wer diesen ­kleinen inneren Widerhaken im Hinterkopf behält, dass alles auch ganz anders kommen könnte als geplant, lebt bewusster und dankbarer für das, was ist. Sieht die Lilien auf dem Felde. Verschiebt das gute Leben, die Freude an den kleinen Dingen nicht auf später, sondern ist offen und achtsam dafür.

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Viel zu oft habe ich Menschen sagen hören: Wenn ich in Pension gehe, dann nehme ich mir Zeit für die Familie. Aber vielleicht braucht dich die Familie jetzt! Oder: Wenn ich diese Stressphase hinter mir habe, lasse ich die Seele mal richtig baumeln. Aber vielleicht braucht die Seele jetzt Ruhe von der Rastlosigkeit.

Heute wird oft Entschleunigung angepriesen. Die können wir jeden Sonntag in einem Gottesdienst finden. Oder beim Anblick von Lilien, einem See, von Vögeln, spielenden Kindern. Und wenn wir das tun, kann sich manches Sorgen und Planen relativieren. Sorgt nicht, 
das heißt auch: Lebt jetzt bewusst.

Bibelzitat

"Darum sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie ­säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie? Wer ist aber ­unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?"

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