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Die Schriftgelehrten bringen eine Frau zu Jesus, die beim Ehebruch ertappt wurde, so erzählt es das Johannesevangelium. Sie sagen, Mose habe geboten, Ehebrecherinnen zu steinigen. Und sie fragen Jesus, was er dazu zu sagen habe.
Petra Bahr
"Aber Jesus bückte sich nieder und schrieb mit dem Finger auf die Erde" (Johannes 8,6). Das klingt beschaulich, aber er sitzt nicht gemütlich mit den Freundinnen und Freunden am See. Ich stelle mir vor, dass um ihn herum eine große Traube von Menschen steht. Eben hat er noch heilige Schriften ausgelegt, hat Finger in die Lücken zwischen den Worten gelegt, offenbar so mitreißend, dass die Leute massenweise zugehört haben. Dann kommen die neunmalklugen Provokateure und stellen ihre Fragen. Spannung liegt in der Luft. Der Blutdruck steigt.
Was wird Jesus sagen, was tun? Wird er wie ein geschickter Religionspolitiker über vermintes theologisches Gelände springen oder wie ein Prophet ein Donnerwetter ablassen? Purer Stress muss das gewesen sein.
Aber Jesus geht in die Hocke und malt in den Sand. Was schreibt er auf den vergänglichen Untergrund? Alle gucken erwartungsvoll, mit bösem oder gespanntem Grundton. Und Jesus zeichnet in aller Seelenruhe Arabesken oder Mondgesichter, schreibt, zieht Linien, durchkreuzt Kreise oder Herzen. Punkt, Punkt, Komma, Strich . . . ein leichter Wind ist über die Fläche gestoben. Der Text, die Muster längst vergangen. Geblieben ist diese Szene.
Jesus nimmt sich einen Freiraum, wo keiner ist. Was macht er wohl, während die Finger durch tausend zerriebene Steinchen streichen? Luft holen? Den Atem anhalten? Um Sätze ringen? Himmlischen Beistand suchen? Oder die Gegner düpieren, weil er eine Pause macht, wo eigentlich gar keine im Skript steht? Jesus macht das ständig: sich rausziehen. Auf Hügel, in die Wüste, auf ein Boot. Er nimmt sich Freiräume, die nichts mit Lust auf Faulheit, Erschöpfung oder Lustlosigkeit zu tun haben, sondern mit Vergewisserung.
Zögern, zaudern, einer spannungsreichen Situation den Rücken kehren, in die Knie gehen, sich besinnen, beten, zur Ruhe kommen – das ist, wie Jesu Malaktion zeigt, nichts für Feiglinge. Die eigenen Reflexe unterbinden, sofort zu antworten, und stattdessen der Ratlosigkeit Raum geben – das ist keine Flucht, das ist eine große Kraftanstrengung. Mitten in einer Krise die Chuzpe zu haben, sich der Lösung erst einmal zu verweigern, das ist mutig und frech und frei.
Es ist jeden Tag so viel zu tun, da ist kein Platz für Freiräume, wenn ich mir keine nehme. Das Glockenläuten um zwölf. Kurz innehalten, beten, aus dem Fenster gucken. Momente für Dankbarkeit oder für die Kraft, die höher ist als alle Vernunft. Mehr Zeit, um mit anderen zu fragen: Warum tun wir, was wir tun? Geht das auch anders? Kann ich das auch lassen? Welche Tradition ist kostbar, und sind wir nur zu faul für Neues?
Freiräume sind Ritzen des Heiligen Geistes. Viel Platz braucht er oft gar nicht. Aber im Vakuum versiegelter Termin-, Struktur- und Arbeitspläne hat er wenig Chancen. Einfach mal in die Knie gehen und in den Sand malen. Gerade dann, wenn der Druck der Ereignisse keine Zeit lässt für Besinnung. Neue Ideen, neue Zuversicht und Fantasie kommen aus dem Zögern und der Ruhe, auch wenn es die Ruhe vor dem Sturm ist. Freiräume suchen, um die offenen Fragen auszuhalten, die Traurigkeit, aber auch das Glück über Gelungenes.
Jesus malte in den Sand. Ich möchte mich dazusetzen. Und mit den Fingern Linien ziehen ins Ungewisse: wenn ich mich für unersetzlich halte. Wenn ich glaube, keine Zeit zu haben. Ich will in den Sand malen, wenn mir jemand sagt: "Das haben wir hier immer schon so gemacht." Ich möchte mit anderen zusammen in den Sand malen, wenn wieder einmal die Traurigkeit über eine kleiner werdende Kirche die geistliche Fantasie und das Gehaltensein in Christus verdrängt. Ein Fleckchen Sand findet sich immer.
"Aber Jesus bückte sich nieder und schrieb mit dem Finger auf die Erde."
Moses & Jesus
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Moses versuchte mit seinen Methoden den Mensch zum Wesen für "wie im Himmel all so auf Erden" zu formen, Jesus mit den seinen / ganz konsequenten der Liebe und der Vergebung - Matthäus 5,17-20