Nach den Predigten sprach Martin Luther King mit Studierenden der Ost-Berliner Humboldt-Universität.
ELAB
Martin Luther King
Ein doppeltes Halleluja
Wenn die Gegenwart düster erscheint, hilft manchmal ein Blick in die Vergangenheit: Vor 60 Jahren predigte Martin Luther King in Ost-Berlin – und überraschte alle
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
13.09.2024
3Min

An diesem Freitag vor 60 Jahren hielt Martin Luther King eine Predigt in Ost-Berlin, die alle überraschte – nicht zuletzt die kommunistische Obrigkeit und deren Geheimdienst.

Genauer gesagt, er hielt sie zwei Mal hintereinander: in St. Marien am Alexanderplatz und dann in St. Sophien hinter dem Hackeschen Markt. So richtig abgesprochen war das nicht.

Nach seiner Ankunft am 12. September 1964 auf dem Flughafen Tempelhof hatte der Bürgerrechtspastor in West-Berlin allerlei offizielle Termine absolviert. Er besuchte aber auch einen jungen Mann, dem gerade, schwer verletzt, die Flucht in den Westen gelungen war.

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Am 13. September betrat er, ohne offizielle Einladung, über den Checkpoint Charlie Ost-Berlin. Um 20 Uhr feierte er in St. Marien einen Gottesdienst vor 1500 Menschen und dann noch einmal um 22 Uhr in der Nachbarkirche. Um 23 Uhr ging es wieder zurück nach West-Berlin.

Auf einer gut gepflegten Website kann man alles Wissenswerte über diesen Besuch und diese Predigt lesen. Ich zitiere hier nur einige Sätze, die mich besonders angesprochen haben. Weil aus ihnen eine christliche Menschenfreundlichkeit spricht. Die Lust an der Freiheit. Die Kraft, Grenzen zu überwinden. Das Charisma, Ost und West zu verbinden

Meine lieben christlichen Freunde aus Ost-Berlin!

Ich freue mich, Ihnen Grüße von Ihren christlichen Brüdern und Schwestern in West-Berlin zu überbringen. Natürlich überbringe ich Ihnen auch Grüße von Ihren christlichen Brüdern und Schwestern in den Vereinigten Staaten. In Wirklichkeit sind wir alle eins in Christus Jesus, denn in Christus gibt es keinen Osten, keinen Westen, keinen Norden, keinen Süden, sondern eine große Gemeinschaft der Liebe in der ganzen weiten Welt.

Wie Sie wissen, findet in den Vereinigten Staaten von Amerika eine große soziale Revolution statt, nämlich der Kampf zur Befreiung von etwa zwanzig Millionen "Negroes" aus der langen Nacht der Rassentrennung und Diskriminierung. Wir haben versucht, unseren Kampf für die Freiheit in den Vereinigten Staaten auf der Grundlage christlicher Prinzipien zu führen. Deshalb kämpfen wir mit Gewaltlosigkeit und Liebe als den grundlegenden Elementen unseres Kampfes. Ich möchte sagen, dass es in der Tat eine Ehre ist, in dieser Stadt zu sein, die als Symbol für die Spaltung der Menschen auf der Erde steht. Denn hier sind auf beiden Seiten der Mauer Kinder Gottes, und keine von Menschen errichtete Barriere kann diese Tatsache auslöschen.

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Die Evangelien sprechen direkt und in Gleichnissen über die Verantwortung, die wir ungeachtet der Unterschiede von Ethnie und Nation füreinander haben. Und so fällt es uns nicht schwer, noch einen Schritt weiterzugehen und anzunehmen, dass überall dort, wo Versöhnung stattfindet, wo Menschen die trennenden Mauern der Feindschaft niederreißen, die sie von ihren Brüdern trennen, dort Christus seinen Dienst der Versöhnung fortsetzt und seine Verheißung erfüllt: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.

Martin Luther King beendete seine Predigt, wie er es als afroamerikanische Baptist gewohnt war: mit einem kräftigen, doppelten "Hallelujah, Hallelujah". Das war für die ostdeutschen Protestanten etwas Neues. Ach, ich hätte es gern gehört.

Kolumne

Johann Hinrich Claussen

Auch das Überflüssige ist lebens­notwendig: Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen reist durch die Weiten von Kunst und Kultur