Alten-WG in Bonn. Bewohner auf der Treppe
Roland Thierfelder (oben) mit Ursula und Gerhard Nourney vor ihrem Haus in Bonn
Privat
Senioren-Wohngemeinschaft
"Wir haben alle drei was davon"
Ulrike und Gerhard Nourney leben mit ihrem Freund Roland Thierfelder in einer WG in Bonn. Als sie zusammenzogen, waren sie längst im Rentenalter. Das Modell könnte zur Nachahmung einladen
Tim Wegner
06.03.2025
5Min

Und warum genau sind die drei nun zusammengezogen? Wegen des Krieges in der Ukraine, sagt Roland Thierfelder: "In meiner Wohnung lebt jetzt eine ukrainische Familie. Und das ist großartig."

Ulrike Nourney, von allen Ulle genannt, stimmt in Teilen zu. Das sei der Anlass gewesen. Doch tatsächlich ging es um etwas ganz Anderes: "Der Roland war unglaublich einsam nach dem Tod seiner Frau. Wir hatten hier Platz. Also, warum nicht zusammenziehen?"

Ehemann Gerhard Nourney fasst zusammen: "Es war eine Mischung aus mehreren Gründen. Aber das Wichtigste ist ja: Es hat uns allen dreien geholfen."

Eine Wohngemeinschaft in Bonn. Eigentlich nichts Besonders. Doch in diesem Fall waren die zwei Bewohner und die eine Bewohnerin schon älter, als sie zusammengezogen sind: Roland und Gerhard, Jahrgang 1943; Ulle ist fünf Jahre jünger. Die drei hatten vorher nie in einer WG gewohnt (nur Gerhard mal im Studentenwohnheim), und sie alle hatten bis dahin ein eher bürgerliches Leben gelebt: mit Kindern und nach deren Auszug in Einfamilienhäusern beziehungsweiser einer Eigentumswohnung - dass sie mal in einer Wohngemeinschaft leben würden, kam ihnen nie in den Sinn. Nun bewohnt Roland Thierfelder seit 2022 das ehemalige Gästezimmer im dritten Stock des Wohnhauses in Bonn. Corona war damals gerade vorbei.

Roland Thierfelder und das Ehepaar Nourney sind seit vielen Jahren befreundet. Die Männer sind Juristen und haben sich vor gut 40 Jahren kennengelernt. 2020 musste Rolands Frau Almut ins Heim, Alzheimer. Er besuchte sie, so oft es ging. Es war eine traurige und anstrengende Zeit, ein Lichtblick war der Sonntagabend. Da gab es bei den Nourneys ein gemeinsames Essen, ein Schlückchen Wein, hinterher schauten sie zusammen Tatort. Danach ging Roland wieder nach Hause in die leere und für eine Person zu große Wohnung. Ja, er hat Kinder und Enkel, aber: "Im Alltag war ich einsam, sehr einsam."

Der Krieg in der Ukraine brach aus - und immer mehr Geflüchtete suchten Wohnraum, auch in Bonn. Eines Sonntagabends entstand die Idee: Roland zieht zu den Nourneys; seine Wohnung wird frei für eine ukrainische Familie.

Gerhard liest gern Zeitung, Ulle und Roland reden lieber über Bücher

Gesagt, geplant, getan. Von der Idee bis zur Umsetzung vergingen nur wenige Wochen. Die Stadt Bonn war (und ist) froh über jede freie Wohnung, organisiert die Verwaltung, den Einzug, zahlt Miete und ist Ansprechpartnerin bei Problemen. Vier Kinder und ihre Eltern aus der Ukraine leben seit dieser Zeit in Rolands alter 4-Zimmer-Wohnung. Er besucht sie jeden Sonntag, sie mögen und schätzen sich. Dann geht er "nach Hause" in die neue Heimat, schaut mit den Nourneys Tatort - und zum Schlafen steigt er die Treppen hoch in den dritten Stock.

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Das Gespräch erinnert mich an meine eigene Geschichte. Nach dem Tod meines Vaters lebte meine Mutter noch viele Jahre lang in ihrem Haus. Nur wenige hunderte Meter entfernt wohnte ihre beste Freundin. Auch Witwe, auch allein mit Villa und Garten. Beide waren in den Siebzigern, beide total fit. Ich habe meiner Mutter gefragt: Warum zieht ihr nicht zusammen?

Ich hätte ihr auch eine Reise zum Mond vorschlagen können, so absurd fand sie diese Idee. Als wir eine Baugemeinschaft gründeten, sprach ich das Thema noch mal an: Verkauf Dein Haus, zieh mit uns in eine Wohnung neben uns. Erst fand sie die Idee ganz gut, doch dann gab es einen Entrüstungssturm in der Familie und im Freundeskreis. "Einen alten Baum verpflanzt man nicht", hörte ich von allen Seiten.

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Roland, Ulle und Gerhard sind "alte Bäume", als sie den Umzug wagen. Vieles hat ihre Entscheidung erleichtert. Roland konnte seine Wohnung behalten, im schlimmsten Fall gibt es einen Weg zurück. Alle drei kennen sich und ihre kleinen Macken; alle drei sind finanziell gut situiert und haben sich pragmatisch auf einen Zuschuss zu den Haus- und Lebensmittelkosten geeinigt, die Roland monatlich überweist. Die Hausarbeit erledigen zwei Putzhilfen, es gibt genügend Platz und alle drei sind noch fit, körperlich wie geistig.

Das sind natürlich besonders glückliche Umstände. Ich kenne viele Senioren und Seniorinnen, bei denen all das möglich wäre, die jedoch, wie meine Mutter und ihre Freundin, diese Chance nie ergreifen würden. Auch Ulle wurde noch nie auf ihr Modell angesprochen. Sie findet das schade, mehr Menschen könnten das doch zumindest versuchen. In ihrer Nachbarschaft leben fünf alte Damen, alle verwitwet, allein im großen Haus. Einsamkeit, das sagen alle drei, sei ein riesiges Problem ihrer Generation.

Glückstreffer hin oder her - damit es funktioniert, müssen alle drei Zugeständnisse machen. Roland sagt: Das hat nur geklappt, weil ich mich den beiden und ihrem Lebensrhythmus angepasst habe. Umgekehrt mussten auch Ulle und Gerhard akzeptieren, dass da jetzt jemand anderes bei ihnen zu Hause lebte - und Wünsche äußerte. So zum Beispiel nach einem Jahr die, dass Ulle aus ihrem niedlichen Kleinkind-Enkel-Zimmer im dritten Stock ein Gästezimmer für alle machte. Apropos Kinder und Enkel: In beiden Familien (Nourneys: vier Kinder, neun Enkel; Roland zwei Kinder, vier Enkel) sind die Jungen stolz auf Eltern und Großeltern und finden die WG "cool".

Gerhard Nourney war Diplomat. Alle drei Jahre zog die Familie um, ein Wechsel der eigenen vier Wänden ist er gewohnt. Für ihn war die Entscheidung, mit Freund Roland zusammenzuziehen, vor allem eine "pragmatische". Alle drei machen sich keine Illusionen: Das Ganze funktioniere nur so lange, wie sie "fit" seien. Ulle hat sich sicherheitshalber auf ein paar Wartelisten in Altersheimen in der Stadt setzen lassen. Vielleicht, so überlegen sie zusammen, könnte man im Fall der Fälle auch eine Pflegekraft engagieren? Oben im Gästezimmer gäbe es Platz.

Doch jetzt ist erstmal alles gut. Sie genießen, was noch geht. An diesem Abend ist Roland zum Fußballgucken mit einem anderen Freund verabredet; das runde Leder ist nix für Ulle und Gerhard. Dafür hat Ulle mit Roland endlich einen Gesprächspartner für ihre Buchleidenschaft gefunden; außerdem könne er perfekt Karotten schnippeln, sagt Ulla, die in der Regel kocht. Gerhard ist erst im Mai in der Küche wieder gefragt: Keiner schäle besser Spargel als er. Wie sagen es die drei so schön: eine Win-Win-Situation.

PS: Die Idee, über die drei zu schreiben, kam übrigens von Ulle per Leserbrief: "Alters WG? Geht doch!" hatte sie uns angeschrieben. Wenn Ihr, wenn Sie, gute Beispiele kennen - immer gern schicken!

PS 2: Die Wohnlage pausiert und ist im April wieder da.

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Kolumne

Dorothea Heintze

Wohnen wollen wir alle. Bitte bezahlbar. Mit Familie, allein oder in größerer Gemeinschaft. Doch wo gibt es gute Beispiele, herausragende Architekturen, eine zukunftsorientierte Planung? Was muss sich baupolitisch ändern? Wohnlage-Autorin Dorothea Heintze lebt in einer Baugemeinschaft in Hamburg und weiß: Das eigene Wohnglück zu finden, ist gar nicht so einfach. Alle zwei Wochen.