Kind sucht Ostereier in einem blühenden Kirschbaum
Kind sucht Ostereier in einem blühenden Kirschbaum
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Musste es wirklich abgerissen werden?
Ostern – die Erinnerung daran hängt für mich untrennbar mit der Schokoeiersuche im Garten meiner Kindheit zusammen. Später dann kamen wir mit unseren eigenen Kindern. Nun ist das Haus abgerissen. Traurig.
Tim Wegner
13.04.2022

Es war immer ein besonderer Spaß. Meine Mutter versteckte die Ostereier an den unmöglichsten Stellen. Tief verbuddelt in der Sandkiste, in einer fest verschlossenen Plastiktüte im Goldfisch-Teich, unter der Kühlerhaube ihres Autos oder, siehe Bild, ganz oben in den Ästen des Kirschblütenbaumes, der fast immer pünktlich zu Ostern voll erblühte.

Das Haus und die Ostererinnerungen – beides gehört fest zusammen.

Meine Eltern hatten sich das Haus Ende der 1950er Jahre selbst erbaut. Täglich waren sie damals zur Baustelle gefahren. Jeden Maurer kannten sie mit Namen, jede Kleinigkeit im Haus hatte mein Vater mitgeplant. Sie waren unendlich stolz auf die charmante Villa mit dem schönen Garten.

Das Haus war das Zentrum unseres Familienlebens

Jahrzehntelang war dieses Haus das Zentrum unseres Familienlebens. Erst für uns als Kinder, dann für uns mit unseren Kindern. Zu Ostern trafen sich alle Enkel im Garten und es begann eine wilde, fröhliche und lustige Eiersuche vom Keller bis zum Dachboden, vom Rosenbeet bis zur Tannenspitze. Dann starb erst mein Vater, dann meine Mutter. Kein Kind wollte und konnte einziehen, also verkauften wir Haus und Grundstück.

Diese traurigen Mauern anzusehen, war kaum zum Aushalten

Drei Jahre geschah nichts. Ich konnte gut zum Grab meiner Eltern fahren, doch diese traurigen Mauern, den verwahrlosten Garten und die verrammelten Fenster zu sehen, das war kaum zum Aushalten.

Das Haus war ein typisches Baubeispiel der Epoche, ein Zeichen von geglücktem Wohlstand, nicht protzig, aber gediegen. Weiße Ziegel, blaue Holzläden, eine „Blumenbank“ für die Geranien und direkter Gartenzugang aus allen Schlafzimmern.

Sicher, Neubesitzer hätten investieren müssen. Im ausgebauten Dachboden fehlte ein WC, die Einbauküche war bestimmt 30 Jahre alt, die Fenster duff, die Dachziegel vermoost.

Ob die Delfter Kacheln erhalten wurden?

Doch ich bin mir sicher, die Mauern und der Dachstuhl des Hauses hätten noch Generationen gehalten. Als das Haus abgerissen wurde, schickten mir eine Freundin traurige Fotos riesiger Ziegelstein-Haufen im Garten. Dazwischen Parkett, Teile der massiven Holztüren, Dachbohlen. Was wohl aus den von meiner Mutter liebevoll gepflegten Solinger-Bodenfliesen geworden ist? Was aus den Delfter Kacheln von der Blumenbank? Ich hoffe, zumindest die sind irgendwie weiter verwendet worden.

Längst ist erwiesen, dass wir durch Abriss und den dadurch entstehenden Bauschutt unseren ökologischen Fußabdruck um gewaltige Beträge erhöhen. Wer dagegen erhält und dadurch graue, oder wie es Reiner Nagel von der Stiftung Baukultur in einem Interview hier im Blog sagte, „goldene“ Energie aktiviert, betreibt aktiven Umweltschutz.

Meine Heimatstadt tut gerade mal wieder viel, um ihren schlechten Ruf als „Freie und Abrissstadt Hamburg“ zu vertiefen. Fleißig wurde und wird abgerissen, von dem eigentlich unter Denkmalschutz gestellten City-Hof bis zum Deutschlandhaus in der Hamburger Innenstadt verschwinden wichtige Bauzeugen zeitgeschichtlicher Epochen. Eine traurige Übersicht über die Verluste gibt es beim Hamburger Denkmalverein.

Auf meinem Elterngrundstück entsteht nach vielen Jahren des Stillstandes jetzt ein neues Einfamilienhaus: größer, breiter, moderner ausgestattet, aber ums so vieles langweiliger als die weiße Villa mit Charakter und Seele.

Wie schön wäre es gewesen, wenn in die alten Mauern wieder neues Leben gezogen wäre. Vielleicht sogar mit Kindern. Gerne wäre ich in den kommenden Feiertagen vorbei geradelt und hätte ihnen beim Ostereiersuchen zugeschaut.

PS: Wie es anders gehen kann, hat meine Kollegin Ursula Ott in ihrer Geschichte zu ihrem Elternhaus aufgeschrieben.

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Kolumne

Dorothea Heintze

Wohnen wollen wir alle. Bitte bezahlbar. Mit Familie, allein oder in größerer Gemeinschaft. Doch wo gibt es gute Beispiele, herausragende Architekturen, eine zukunftsorientierte Planung? Was muss sich baupolitisch ändern? Wohnlage-Autorin Dorothea Heintze lebt in einer Baugemeinschaft in Hamburg und weiß: Das eigene Wohnglück zu finden, ist gar nicht so einfach. Alle zwei Wochen.