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chrismon: Sie haben in vielen Ländern der Welt gewohnt. Wo haben Sie Beispiele für "Gutes Wohnen" entdeckt - in Japan vielleicht?
Doris Dörrie: Nein, auf keinen Fall. Japanische Wohnverhältnisse sind in der Regel gruselig, weil die Wohnungen winzig sind, alle in die großen Städte wollen, es dort kaum Wohnungen gibt und Millionen Menschen täglich stundenlang pendeln. Das trifft vor allem Frauen, denn Kinder zu haben und einen Beruf auszuüben, ist so fast unmöglich.
Ich kenne einige Menschen, die bauen sich Papierschrank-Wände in ihre Wohnung und lassen sie nach Feng-Shui-Kriterien gestalten, weil sie "japanisch wohnen" so toll finden. Sind das Klischees?
Natürlich gibt es diese traditionellen und wirklich wunderschön gestalteten Wohnungen immer noch. Mit Reismatten ausgelegt, mit ganz wenig Möbeln eingerichtet und verschiebbaren Wänden aus Papier, Shoji, in denen sogar der Blick aus dem Fenster so geplant ist, dass es eine Freude für das Auge ist. Aber die finden sich hauptsächlich auf dem Land, wo eben keiner mehr leben will. Trotzdem bleibt die klassische japanische Architektur vorbildhaft, wo man die Schiebetüren öffnet und plötzlich ist ein Raum doppelt so groß oder eben auch kleiner, je nach Bedarf …
Im Fachjargon nennt man das "zuschaltbare" Räume …
Das ist wirklich ein Modell für die Zukunft. Räume sollten sich anpassen an die Lebensverhältnisse. Wir brauchen viel mehr Häuser und Wohnungen, in denen dieses modulare Wohnen möglich wird, durch eine andere Planung und Architektur.
In Ihrem Buch fordern Sie eine Wohnrevolution, weil so viele Menschen andere Wohnmöglichkeiten suchen. Warum gibt es die nicht endlich?
Doris Dörrie
Vielleicht sind wir zu ungeduldig? Ich glaube, dass ein großer Teil dieser Wünsche nach neuem und anderem Wohnen mit uns Frauen zu tun hat. Aber wir Frauen können erst seit kurzem wirklich mitbestimmen. Virginia Wolfs "A Room of One’s Own" erschien vor knapp hundert Jahren. Und es hat noch mal Jahrzehnte gedauert, bis Frauen wie ich allein und unabhängig von einem männlichen Versorger bestimmen können, wie wir wohnen.
Ist alleine wohnen ein Wert für sich?
Früher konnten Frauen nur alleine wohnen, wenn sie Witwen waren – im Kloster zum Beispiel; und das war ja auch nicht richtig alleine. So gesehen ist es ein Fortschritt. Andererseits vereinsamen viele Frauen - und natürlich auch Männer- heute in ihren Single-Wohnungen.
In meiner Heimatstadt Hamburg ist mittlerweile jeder zweite Haushalt ein Single-Haushalt …
Bei uns in München sind es 40 Prozent. Auch eine viel zu große Zahl. Und digitale Kommunikation hilft da auch nicht. Ein Klick und weg ist der Typ, der mich nervt. Wer gemeinschaftlich wohnt, muss Streit aushalten: Schon wieder hat XY den Mülleimer nicht runtergebracht. Und dann wird diskutiert.
Verlernen wir gerade das Gemeinschaftliche?
Ich fürchte ja. Viele haben Angst vor Konflikten, weil sie nicht mehr gelernt haben, damit umzugehen. Und gerade Frauen denken beim Wort Gemeinschaft - ich denke, mit Recht - ganz schnell wieder an "Versorgung". Also etwas, dem sie gerade entkommen sind, weil sie endlich selbst entscheiden konnten, wie sie leben.
Wir wollen selbstständig und allein wohnen und leiden dann unter Einsamkeit?
Noch nie in der Geschichte der Menschheit waren so viele Menschen allein und so viel zu Haus. Ich glaube, dass wir jetzt an einem Kipppunkt stehen und viele wieder in die Gemeinschaft wollen. Doch trauen wir uns das noch zu? Die reale Begegnung? Die Konflikte?
Es gibt den Traum vom Mehrgenerationenhaus, in dem erst die Alten die Kinder der Jungen versorgen, dann später diese Jungen die hilfsbedürftigen Alten.
Ich bin gespannt, wie das funktionieren kann, denn welch junger Mensch möchte sich auf Jahrzehnte verpflichten, um später mich als hilfsbedürftigen Menschen zu versorgen? Dann auch noch festgenagelt an einem Ort – nein, auf keinen Fall hätte ich mich als junger Mensch verbindlich auf so etwas eingelassen.
Haben Sie eine Vorstellung davon, wie Sie leben werden, wenn Sie alt oder hilfsbedürftig sind?
Ich habe zum Glück drei Schwestern, und wir drei haben schon manches Mal zusammen herumfantasiert, dass wir im Alter wieder zusammenziehen könnten. Aber das ist alles sehr unkonkret, weil wir zum Glück noch alle unsere Partner haben. Und wer weiß, was noch alles passiert.
Was brauchen Sie, um sich "zu Hause" zu fühlen?
Ganz bestimmt nicht das eine Haus oder die eine Wohnung. Ich bin skeptisch, wenn Menschen sich mit einem Eigenheim ihren Lebenstraum verwirklichen wollen. So ein Haus ist ein festes Konzept. Es ist starr und kann sich nicht verändern, wenn ich mich verändere. Als ich in Amerika war, habe ich mir aus Spaß Häuser angesehen, die zum Verkauf standen. Das waren riesige Häuser, und ich habe mich dann immer gefragt: Was haben die Leute da drin gemacht? Das frage ich mich bei uns auch, wenn ich in Deutschland durch diese riesigen Eigenheimsiedlungen fahre: Was machen die Menschen da?
Als Sie als junge Frau mit Ihrer Tochter schwanger waren, kauften Sie sich mit Ihrem Mann einen alten Bauernhof und erfüllten sich einen Traum. Hat der gehalten?
Nein, eben nicht. Im Winter war ich mit dem Baby allein dort, weil mein Mann in der Stadt arbeitete. Es war kalt und einsam und dunkel. Das Haus passte nicht mehr zu meinem Leben. Es konnte und kann sich nicht anpassen. Trotzdem ist es immer noch wunderschön. Ich bin gerne da, aber ich muss es auch immer wieder verlassen können. Ich brauche die Mobilität …
Gibt es etwas, was Sie immer dabeihaben, wenn Sie temporär irgendwo wohnen?
Mh, nö, eigentlich nicht. Doch eines. Ein Tuch! Wenn ich in ein hässliches Hotelzimmer komme, oder irgendwo anders wohne, wo es ungemütlich oder schmuddelig ist, dann hefte ich es mit Heftzwecken an die Wand und schon fühle ich mich zu Hause. Und ich habe immer einen Stift dabei. Und Papier. Zum Schreiben.