Wohnlage Allmende Gruppe
Allmende
Wir bauen ein Haus
Badewannen? Eine pro Stockwerk reicht!
In Gundelfingen bei Freiburg baut sich die "Allmende" ihr Haus für eine gemeinsame Zukunft. Mit am wichtigsten: Eine gute Gruppe bilden. Folge 1 mit Tipps für gemeinschaftliches Bauen.
Tim Wegner
05.12.2022

Gemeinschaftlich zusammenleben, das wollen viele Menschen in diesem Land. Und so wundert es mich nicht, dass ich immer mal wieder Zuschriften von Menschen bekomme, die mir über "ihr" Wohnprojekt erzählen wollen.

Vor über einem Jahr tat dies auch Brigitte Fröschen und berichtete über "Allmende" in Gundelfingen/Freiburg. Vor einigen Wochen bekam ich wieder eine Nachricht von ihr: „Wir bauen.“

Ich wollte gerne mehr wissen, verabredete mich für ein Zoom zusammen mit ihr und Jennyfer Wolf aus dem Projekt. Wir redeten gut eine Stunde lang miteinander, tauschten Erfahrungen aus (ich wohne ja selbst auch in einer Baugemeinschaft) und ich schrieb mit.

Die wichtigste Botschaft: Krieg, Lieferprobleme, Inflation – die Gruppe baut. Am 17. September war Grundsteinlegung. Mittlerweile stehen die ersten Kellermauern, der Einzug ist für Mitte 2024 geplant.

Wer ist dabei? 
Insgesamt mittlerweile etwa 40 der später einmal 70 „Allmendianer*innen“ für 22 Wohnungen. Die Gruppe ist altersgemischt, Berufe unterschiedlich: Brigitte Fröschen, Krankenschwester, ist 62 Jahre alt und Single; Jennyfer Wolf, 42 Jahre und Mutter von drei Kindern (3,5 und 7 Jahre ist) ist Ärztin, Ehemann Eric, 38, ist Ingenieur. Die Gruppe wächst stetig. Es gibt eine „AG-Neue“ und einen standardisierten Prozess für die Aufnahme in die Gruppe. Wer mitmachen will, füllt einen Fragebogen aus, kann sich z.B. Beispiel auch mit einem kurzen Video bewerben. Die schon lange dabei sind, übernehmen eine „Patenschaft“ für die Neuen. Und dann geht es vor allem um aktive Mitarbeit: Einer kann Webseiten gestalten; die andere beantwortet Presseanfragen, wieder eine anderer ist Ansprechpartnerin für die Architekten. Einmal die Woche ist Plenum.

Ein schöner Zoomtalk war das mit Jennyfer Wolf und Brigitte Fröschen

 
Neben der gemeinsamen Arbeit bindet gemeinsam verbrachte Freizeit. Jeden Monat einen Wochenendausflug, etwa zweimal im Jahr ein gemeinsames Hüttenwochenende. Außerdem „leistet“ sich die Gruppe regelmäßig eine externe Supervision: „Das gute Zusammenwachsen kann nur jetzt erfolgen, nicht erst wenn wir da wohnen“, weiß Brigitte.

Was wird gebaut?
2300 qm Wohnfläche auf vier Stockwerken im Niedrigenergiestandard. Die Wohnungen werden im Verhältnis zu vergleichbaren Projekten klein sein. Die fünfköpfige Familie Wolf wird auf 96 qm wohnen. Brigitte Fröschen als Single hat ein Studio mit 35 qm für sich allein mit eigenem kleinen Bad und teilt sich die große Küche und einen Wohn-Essbereich mit einer anderen Ein- und einer Zweizimmerwohnung: "WG-De Luxe", freut sich Brigitte Fröschen auf das neue Leben, bei dem sie auch als älterer Single nicht mehr allein leben wird. Was die Allmende da macht, ist ein Trend in ganz Deutschland:  Clusterwohnungen aller Art werden immer beliebter.

Im ganzen Haus gibt es dazu viele weitere Gemeinschaftsflächen. Autos und Räder werden geteilt, Spielräume für die Kinder, gemeinschaftliche Grünflächen. Wenig Platz für den/die Einzelne. Viel Platz für alle. Die coolste Idee fand ich: Badewannen - Pro Stockwerk eine!

So wird das Haus mal aussehen

Woher kommt das Geld?
Die Finanzierung erfolgt nach dem Konzept des Mietshäuser Syndikats. Dazu habe ich schon mal eine Folge der Wohnlage geschrieben. Wie speziell die Allmende das im Einzelnen organisiert, ist hier auf der Webseite sehr gut nachzulesen, deshalb muss ich es nicht wiederholen.

Die Wohnungen werden teils sozial gefördert und teils frei finanziert, doch in der Architektur wird man diesen Unterschied später nicht sehen. Alle sollen „gleich gut“ wohnen können, berichtet Jennyfer Wolf, eine „Zweiklassenaufteilung“ soll es bei der Allmende weder nach außen noch nach innen geben. Zwischen ca. 9 und 14 Euro sollen die Wohnungen später pro qm kosten, doch auch hier hat sich die Gruppe noch etwas Besonderes ausgedacht: „Unser Mietenmodell ist solidarisch. Wer kann, zahlt mehr und übernimmt damit etwas von der Miete für die Menschen, die weniger haben.“ Schließlich heißt das Projekt nicht umsonst „Allmende“ (also „gemeinschaftliches Gut“): „Wenig Geld zu besitzen wird keine Barriere sein“, hatte mir Brigitte in ihrer ersten Mail geschrieben.

Besonders gefreut habe ich mich noch darüber: Schon über 300 Menschen haben der Allmende Direktkredite gegeben. Mal sind es 500 Euro, mal ein paar Tausend. Regelmäßig steht die Gruppe mit einem Infostand auf Wochenmärkten und wirbt ganz schlicht um Geld. Und obwohl Krieg herrscht und Inflation, merken Brigitte und Jennyfer an den Infoständen eine hohe Bereitschaft zur Unterstützung. „Der Wind hat sich gedreht“, erzählt Jennyfer, „ganz viele Menschen finden das toll, was wir machen und unterstützen uns als ein Modell.“

Die soziale Isolation sei eines der „Krebsgeschwüre“ der Gesellschaft. Und dazu zähle eben nicht nur die Vereinsamung im Alter, sondern auch die Reduzierung auf Eltern und Kinder im „Hamsterrad“ Kleinfamilie. In der Allmende wachsen die Kinder mit und in der Gruppe auf, berichtet Jennyfer: „Ein älteres Paar, das von außerhalb kommt, übernachtet an unseren Gruppenwochenende immer bei uns. Für die Kinder sind sie fast wie Großeltern.“

Und die Probleme? 
Natürlich gibt es sie, und zwar nicht nur direkt beim Bau. Schwierig ist es beispielweise, dass die Gruppe wirklich gemischt werde. Zurzeit kämen die meisten noch aus der „Freiburger Blase“. Damit es wirklich bunter wird, sollen hier später auch Menschen aus ganz anderen sozialen und gesellschaftlichen Hintergründen in der Allmende wohnen: für 4 Wohnungen hat die Gemeinde ein Benennungsrecht und diese Wohnungen werden ausschließlich an Menschen vergeben, die die Gemeinde Gundelfingen mit Wohnraum versorgen muss. Dies sind zum Beispiel Gefüchtete.

Und trotz Direktkrediten, auch aus der Bewohnerschaft, trotz Sozialwohnungs-Förderung: Die Gruppe braucht und sucht weiter finanzielle Unterstützung. Den aktuellen Stand der Dinge dokumentiert eine hübsche Visualisierung auf der Webseite. Also, wer vor Weihnachten noch was Gutes tun will...

Mehr Infos auch auf Facebook

Nachtrag: 
Ein paar Monate nach diesem Text war Jennyfer Wolf Gästin bei chrismon-live, unserem Webinar: 
Wie geht das, genossenschaftlich und preiswert wohnen? 

 

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Liest man gern und ist gespannt auf die Fortsetzung. Auch deshalb, weil viele dieser Ambitionen, wenn nicht gescheitert, dann aber nur mit rigorosen Hausordnungen erheblich verändert Bestand haben. Es wäre gut, 3 Jahre nach Bezug über die Nutzung, Erfahrungen und ggfls. Eigentumänderungen informiert zu werden. Denn viele dieser Projekte waren später kaum wieder zu erkennen, weil sich Ideale und Realitäten widersprachen.

Kolumne

Dorothea Heintze

Wohnen wollen wir alle. Bitte bezahlbar. Mit Familie, allein oder in größerer Gemeinschaft. Doch wo gibt es gute Beispiele, herausragende Architekturen, eine zukunftsorientierte Planung? Was muss sich baupolitisch ändern? Wohnlage-Autorin Dorothea Heintze lebt in einer Baugemeinschaft in Hamburg und weiß: Das eigene Wohnglück zu finden, ist gar nicht so einfach. Alle zwei Wochen.