Wohnglück - So viel Platz! So viel zu tun!
Julia Pfaller
Gut wohnen auf dem Stadtgut Blankenfelde in Pankow
So viel Platz! So viel zu tun!
Ein altes Rittergut und viele Bewohner*innen, die mit anpacken: das Stadtgut Blankenfelde in Berlin. Freie Wohnungen gibts gerade nicht – aber Ideen zum Nachmachen.
Tim Wegner
Moritz Kipphardt
25.05.2021
4Min

chrismon: Volker, als junge Familie wohntet ihr in einem Hausprojekt in Kreuzberg. Vor fast zehn Jahren zogt ihr raus an den Stadtrand aufs Stadtgut Blankenfelde. Wolltet ihr schon immer aufs Land?

Volker Langner: Im Gegenteil, wir sind eigentlich Stadtmenschen. Doch bei uns in der Haus-Community in Kreuzberg war alles so homogen. Wir waren die Einzigen mit Kindern und es gab keine wirklichen Alten.

Und das ist auf Blankenfelde anders?

Absolut. Ich weiß noch genau, wie ich 2008 das erste Mal hier war. Den Verein gab es da schon vier Jahre, und ich ­hatte gleich ein stundenlanges Gespräch mit einer der Gründerinnen. Die waren alle älter als ich, aber wollten es echt noch mal wissen und hatten Visionen. Ich war fasziniert.

privat

Volker Langner

Volker Langner, Jahrgang 1957, lebt mit ­seiner Frau auf dem Stadtgut Blankenfelde im ­Norden Berlins. Ganz ­früher einmal Rittergut, war die Anlage zu DDR-Zeiten ein Land­wirtschafts­betrieb und ­verfiel nach der Wende. Heute wohnen hier knapp 100 Menschen, ­organisiert in einem ­Verein und einer Genossenschaft.
Moritz Kipphardt

Julia Pfaller

Schon seit ihrer Jugend träumt die Illustratorin Juliane Pfaller davon, eine Bauernhof-Kommune auf dem Land zu gründen, da hat ihr natürlich das Bebildern der diesmaligen Wohnglück-Folge besonders viel Freude bereitet. Im Stadtgut Blankenfelde würde sie glatt einziehen wollen!

Eure Kinder sind mittlerweile erwachsen. Wurden die Visionen Realität?

Ein großer Teil. Wir betreiben Natur- und Umweltschutz und haben das Stadtgut-Ensemble erhalten. Wir haben Räume an Tagesgruppen von Menschen mit psychischen Erkrankungen vermietet, organisieren eine eigene kleine Lebensmittelkooperative und unser Café Traktorista. Wir haben Tiere, Streuobstwiesen, einen alten Park, Gärten und wirklich viele Kinder.

Und die Gründer:innen?

Die leben fast alle noch hier, einige von ihnen in einer WG im Kurhaus.

Kurhaus?

Das Gut hat eine bunte Geschichte. Es war mal Lungen­sanatorium, hinten im Garten steht noch eine Liege­halle. Zu DDR-Zeiten war das Kurhaus dann ein Lehrlings­wohnheim. Gregor Gysi hat als Schüler hier Rinderwirt gelernt.

Auf mich wirkt das wie ein ­Paradies. Wie habt ihr das alles bezahlt?

Der Verein hat sich damals gegründet, um dieses Gut in seiner Ursprünglichkeit der Immobilien­spekulation zu ent­reißen. Ohne diese Idee stünde hier heute vielleicht ein Super­markt oder ein Golfhotel. Wir ­waren überzeugt, dass man mit so einem Ansatz – gemeinschaftlich organisiertes, preiswertes Wohnen und Erhalt eines Kulturdenkmals – sehr leicht an große Summen von Fördergeldern kommt.

"Wir haben verseuchte Böden und giftige Bausubstanzen entsorgt"

Hat das geklappt?

Ein bisschen schon, doch insgesamt ­weniger als erhofft. Das war die vielleicht wichtigste Lehre in den Anfangsjahren: So großartig unsere Gruppe war; Sanierung, Finanzierung und auch der Betrieb eines solchen Riesenprojekts kann man nicht im Ehrenamt wuppen. Es mussten Profis her. Die haben wir Gott sei Dank in der SelbstBau-Genossenschaft in Berlin-­Pankow gefunden. Eine wirklich tolle Partnerin, ohne die es nicht ginge.

Wie finanziert ihr den laufenden Betrieb? Die Wohnungen in den drei ­Häusern sind sehr unterschiedlich. Zahlt ihr alle das Gleiche?

Ja, die 6,50 Euro kalt pro Quadratmeter dienen zur Ab­bezahlung der Bankkredite. Außerdem gibt es wie bei ­jeder Genossenschaft die Pflichtanteile pro Quadrat­meter. Das sind bei uns 300 Euro.

Lesetipp: Der Wohnraum ist da, wir müssen ihn nur sinnvoll nutzen

In den ersten Jahren habt ihr gemeinsam die völlig ­ma­roden Gebäude gesichert.

Eine ereignisreiche Zeit. Wir haben die zahlreichen umwelt­schädlichen Altlasten, wie verseuchte Böden und giftige Bausubstanzen, entsorgt; abends gab es Lagerfeuer und die Kinder haben auf dem Heuboden oder im Bauwagen geschlafen. Zusammen etwas so Großes anpacken macht trotz der vielen Arbeit euphorisch.

Und heute?

Ich finde, es funktioniert immer noch sehr gut. Wir sind knapp 100 Leute in 33 Wohnungen. Es gibt wenig ­Fluktuation und der Verein organisiert das Alltagsleben. Wir haben viele AGs, ob fürs Café oder die Tiere, und treffen uns monatlich im Plenum. Zurzeit natürlich nur digital.

Du selbst bist für die Landschafts­pflege verantwortlich, du kümmerst dich um die historische Ausstellung im Café und schenkst dort Kaffee aus. Liegt die viele Arbeit in ­wenigen Händen?

Nein, wir haben die Aufgaben gut verteilt, im Vorstand rotieren wir. Jeder sollte mal die Verantwortung über­nehmen. Aber klar – manchmal fliegen auch die Fetzen.

Warum zum Beispiel?

Wegen der Tierhaltung. Wer etwa Schafe hält, will vielleicht auch schlachten und die Wolle nutzen. Andere möchten Kaninchen oder Hühner züchten. Wer konsequent vegan lebt oder auf artgerechte Tierhaltung achtet, lehnt das vielleicht ab. Darüber müssen wir als Gruppe streiten und Lösungen finden.

Blankenfelde liegt in der ehemaligen DDR, du selbst kommst aus dem ­Wes­ten. Merkt man noch Unterschiede?

Komisch, viele westdeutsche ­Besucher fragen das. Hier hat ungefähr die ­ Hälfte eine Ost- beziehungsweise West­vergangenheit, aber das spielt für mich keine Rolle mehr.

Und was habt ihr noch vor?

Ach endlos. Das Gelände ist 53 000 Quadratmeter groß. ­Gerade haben wir in der Scheune eine Gemeinschaftssauna gebaut. Als Nächstes renovieren wir vielleicht die ­alte Remise. Das Leben hier ist abwechslungsreich. Und jetzt in der Corona-Zeit genießen wir den vielen Platz. ­Natürlich halten wir uns an die Hygieneregeln, aber die Kinder ­können herumtoben.

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Sehr geehrte Damen und Herren,
Sie schreiben auf S. 32 über ein Wohnprojekt im Rittergut Blankenfelde mit vielen Bewohnerinnen. Natürlich denke ich dabei an ein Frauenprojekt. Um so größer ist die Überraschung, dass erstes Herr Langner als Bewohner erwähnt wird . Muss ich das verstehen?
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Kussatz

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Hallo Herr Kussatz, danke für den Hinweis; sehr aufmerksam verfolgt

Natürlich kann man sich darüber wundern.

Ich hab mich jahrzehntelang darüber gewundert, dass in Titelzeilen z.B. "Bewohner" stand, und als Interviewpartnerin dann eine Frau auftauchte. Dies ist jetzt mal eine Perspektivenwechsel .

Bestet Gruß und noch mal Danke für die Anmerkung, bleiben Sie uns gewogen.

Dorothea Heintze