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Patrick, es gibt gut 16 Millionen Ein- und Zweifamilienhäuser in Deutschland. Bis 2045 sollen sie alle klimaneutral sein, das ist das Ziel der Wärmewende. Wie kommen wir voran?
Patrick Zimmermann: Viel, wirklich viel zu langsam. Die Sanierungsrate liegt bei ca. 0, 7 Prozent pro Jahr. Und damit liegen wir weit unter dem "Soll": das ist mindestens drei bis viermal so hoch.
Warum dauert es so lange?
Weil klassische Sanierungen viel zu umständlich und komplex sind. Im Grunde werden jedes Mal "Prototypen" gebaut, es gibt viele Einzellösungen, es ist wenig standardisiert und die Handwerksbetriebe reden oft nicht miteinander.
Was ändert sich durch den Sanierungssprint?
Der Hauptunterschied liegt in der sehr straffen Planung. Es gib einen bis auf die Stunde genau ausgearbeiteten Bauzeitenplan, der genau vorgibt, welche Arbeiten, zum Beispiel die Installation der Solaranlage, an welchem Tag zu welcher Uhrzeit gemacht werden. Diesen Zeitplan kennen alle: Bauherrinnen, Handwerksbetriebe, Zulieferer. Alle können sich danach einrichten.
Nur 22 Tage? Die Komplettsanierung eines klassischen Einfamilienhauses vom Keller bis zum Dachboden? Kaum vorstellbar.
Es geht. Wir haben in unserem Projekt zwei Pilotbaustellen begleitet, und es hat geklappt. Es gibt eine schöne NDR-Doku, in der das gut nachvollziehbar gezeigt wird. Mittlerweile sind auch weitere Baustellen angelaufen.
Was ist das größte Learning aus den Pilotprojekten?
Dass es so schnell und effizient gehen kann. Es ist spannend zu sehen, wie unglaublich effizient und gut ganz verschiedene Gewerke, auf einer ja eher kleinen Fläche, miteinander kooperieren und dadurch Synergien schaffen. Alle, die mitgemacht haben, würden den Sanierungssprint nochmals durchführen und weiterempfehlen. Und manchmal sind es die kleinen Dinge, die einen großen Effekt haben: Bei den Pilotprojekten wurde immer ein gemeinsames Mittagessen organisiert und von den Bauherr*innen bezahlt. Das kostet in Summe wenige tausend Euro für so viele Menschen jeden Tag. Aber alle haben erzählt, dass es jeden Cent wert war, weil ein belebender Teamspirit entstand, der das hohe Tempo und die hohe Qualität überhaupt möglich machten.
In anderen Arbeitsbereichen, zum Beispiel in der Automobilindustrie ist das ja eigentlich längst selbstverständlich, dass alle ganz eng kooperieren – beim Handwerk eher nicht?
Ja, beim traditionellen Handwerk ist "Lean Managemant" oft noch ein Fremdwort, was ich schade finde, denn ich glaube, darin steckt großes Potential.
Zum Beispiel?
Auf den Pilotbaustellen waren viele junge und kreative Menschen zeitgleich an einem Ort, ob Tischlerin oder Solartechniker*innen. Die haben sich oft gegenseitig angeregt und Ideen ausgetauscht. Sie alle wollen und können etwas zur Wärmewende direkt beitragen, das befeuert. Ich könnte mir gut vorstellen, dass junge Menschen sich von der Idee inspirieren lassen und dass der Ansatz ein Baustein im Kampf gegen den Fachkräftemangel sein könnte.
Patrick Zimmermann
Ihr habt das Projekt wissenschaftlich begleitet, doch erfunden hat es ein einzelner Mensch, der Ingenieur Ronald Meyer. In den Pilotprojekten war er der "Sanierungscoach". Warum braucht es das?
Ohne diese "Rolle" würde der Sprint nicht funktionieren. Der Sanierungscoach koordiniert,vermittelt und orchestriert wie ein Dirigent ein Orchester. Er oder sie überwacht den Zeitplan und hat den Überblick. Jetzt, bei den ersten Pilotprojekten in Landau und Hamburg, war Ronald Meyer täglich dabei. Später, so können wir uns das vorstellen, wenn sich die Firmen vor Ort eingespielt haben, dann ist das so nicht mehr nötig.
Wie geht es weiter?
Damit der Ansatz einen Beitrag leisten kann, die Sanierungsquote zu steigern, muss er schnell in die Breite gebracht werden. Engagierte Unternehmen können hier eine Vorreiterrolle einnehmen und weitere Pilotprojekte umsetzen. Gleichzeitig kann die Politik unterstützen, zum Beispiel durch eine zentral begleitende Marktentwicklungsstelle, die Einführung einer Zusatzqualifikation für Sanierungscoaches und angepasste Förderprogramme sowie Genehmigungsprozesse. Wenn das alles kommt, und genau dafür haben wir die Studien angefertigt, dann schaue ich sehr optimistisch in die Zukunft.
Ich hab ein Haus aus den 1980er Jahren. Alles funktioniert noch gut. Warum sollte ich jetzt sanieren?
Weil fossile Energien, wie Öl und Gas, immer teurer und Erneuerbare immer günstiger werden. Wenn ich mein Haus enkeltauglich, behaglich machen und einen Wertverlust vermeiden will, dann sollte ich baldmöglichst sanieren.
Und die Kosten – ist der Sprint nicht viel viel teurer als eine klassische Sanierung
Nein. Bei einer im Umfang vergleichbaren klassischen Sanierung inklusive Wohnraumerweiterung und Innenraummodernisierungsmaßnahmen gehen wir von 2450 bis 3650 Euro pro qm aus. Der Sprint liegt im Schnitt bei 2580 Euro. Perspektivisch können die Kosten sogar durch Skaleneffekten noch um bis zu 30 Prozent sinken..
Lesetipp: Viele Menschen wünschen sich besseren Klimaschutz
Wenn das alles so toll funkioniert und gar nicht so viel teurer ist – warum machen es dann nicht alle?
Wir sind am Anfang. Die Pilotprojekte sind gerade durch. Aber die Nachfrage steigt schnell. Wir bekommen jetzt schon regelmäßig Anfragen, wann und wie Hausbesitzer sich wo melden können. Ich finde, das ist ein großartiges Zeichen, dass viele Menschen sanieren wollen, wenn es einfacher und schneller möglich ist.
Info: Was wird gemacht beim Sprint?
Standardmäßig wird das Dach mit 24 cm, die Außenwände mit 16 cm und die Kellerdecke 10 cm gedämmt und dreifach verglaste Fenster eingebaut. Falls kein Wärmenetz vorhanden ist, ist der Einbau einer Wärmepumpe vorgesehen. Auf dem Dach wird eine Photovoltaikanlage installiert. Art und Umfang der anderen Modernisierungs-Maßnahmen hängen von den funktionalen und ästhetischen Ansprüchen der Bauherrschaft ab. Weitere Infos
ifeu
Das ifeu forscht und berät weltweit zu wichtigen Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen für zahlreiche internationale und nationale Fördermittel- und Auftraggeber. Es zählt mit über 40-jähriger Erfahrung zu den bedeutenden ökologisch ausgerichteten, unabhängigen und gemeinnützigen Forschungsinstituten in Deutschland. An den Standorten Heidelberg und Berlin sind rund 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Natur-, Ingenieurs- und Gesellschaftswissenschaften beschäftigt.