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Oben auf dem Bild seht Ihr einen Auszug von der Webseite der Stadt Hamburg. Der Text beschreibt die Grundidee einer Baugemeinschaft in Hamburg. Baugemeinschaften werden in der Stadt in vielfältiger Weise gefördert.
Ich wohne in einer. Zusammen mit unseren Projektentwicklern hatten wir für ein zentral am Park gelegenes städtisches Grundstück den Zuschlag erhalten. Es gab Auflagen im Gegenzug für den begehrten Grund und Boden: Wir integrierten einen Kindergarten, wir verpflichteten uns zu einem Mobilitätskonzept, finanzierten neben unseren eigenen Wohnungen eine gemeinschaftliche Dachterrasse, einen Gemeinschaftsraum und wollten mit einem Café bei uns auch ins Quartier hinein wirken. Vor ein paar Jahren haben wir für all das sogar einen Preis im Baugemeinschaftswettbewerb von Hamburg gewonnen.
Der Weg dahin war hart. In zahllosen, oft bis in die Nacht andauernden Sitzungen, trafen wir uns. Wir wollten ja günstig bauen und machten vieles selbst, was sonst beim Planen und Bauen teuer bezahlt wird. Wir stockten unsere Kerngruppe um weitere Parteien auf. Es gab ein richtiges Casting. Die Wohnungen gingen weg wie warme Semmeln, die Gewerbeflächen boten wir an wie „Sauer Bier“. Wir sind eine sehr, sehr große Baugruppe, über 60 Parteien. Wir feierten ein rauschendes Richtfest – doch als wir einzogen, waren einige nicht dabei und vermieteten ihr Eigentum. Wir waren… erstaunt.
"Baugemeinschaft? Das höre ich zum ersten Mal"
Mittlerweile steigt die Zahl der vermieteten Wohnungen und mit jeder neuen Partei bröckelt der Gemeinschaftsgedanke. Einige der vermieteten Wohnungen werden zu Höchstpreisen bei Immonet und Co. angeboten, ihre Besitzer*innen werben dann mit der „wunderschönen Dachlandschaft“ – dass wir uns für die Gemeinschaftsflächen eine Nutzerordnung gegeben haben, dass die Bäume und Sträuche von unserer Dach-AG gepflegt werden und natürlich sowieso viel Ehrenamt für unsere Gemeinschaftseinrichtungen nötig ist, diese Info taucht nirgendwo auf. Neulich sprach ich mit einem dieser neuen Mieter: "Ihr seid eine Baugemeinschaft? Das höre ich zum ersten Mal."
"Das ist nicht akzeptabel"
Als ich mich darüber bei Angela Hansen beklage, ist auch sie betrübt. Wie so oft, wenn sie von derartigen Fällen hört. Seit 2008 leitet sie die Agentur für Baugemeinschaften in Hamburg. Die Agentur wurde gegründet, um gemeinschaftliches Wohnen in Hamburg zu fördern, ob nun im Eigentum, wie bei uns, oder auch als Genossenschaft mit Wohnungen zur Miete. Gerade, weil der Gemeinschaftsgedanke bei Eigentumsprojekten schwerer zu verankern ist, legt die Agentur den Schwerpunkt auf das genossenschaftliche Eigentum. Trotzdem will die Agentur auch Baugemeinschaften im Eigentum weiter fördern können, es ist ein wichtiger Baustein. Wie der Missbrauch zu verhindern sein könnte? Darüber grübelt Angela Hansen mit ihrem Team schon lange nach: „Wir sehen das Problem und suchen nach Lösungen. Denn so ein Umgang mit der Idee der Baugemeinschaften ist nicht akzeptabel.“
Sich einfach eine zweite Baugemeinschaftswohnung erschummeln
Während bei den Mietwohnungen Spekulationen und Weitervermietungen schwerer möglich sind, gibt es beim Eigentum kaum Möglichkeiten einzugreifen, selbst da wo es schon Regeln gibt. Eigentumswohnungen sind "heilig" - wer einmal eine hat, kann im Prinzip machen, was er will, auch wenn er gegen Auflagen verstößt. Wie lässt sich sinnvoll überprüfen, dass jemand jahrelang in einer Baugruppe sitzt, plant und mitredet und glaubhaft eine zweite Wohnung für die Mutter mitkauft – die „Mutter“ dann nie einzieht, es vielleicht auch nie wollte? Stattdessen wird die zweite Wohnung vermietet oder die beiden Wohnungen werden zusammengelegt zu einer großen. Auch das ein Problem: In Zeiten knapper werdender Ressourcen kann es nicht sein, dass es eine wie auch immer geartete staatliche Förderung für Luxuswohnen gibt.
Eine Bekannte von mir, die gerade mitten im anstrengenden Baugemeinschafts-Werdungs-Prozess steht, erzählte mir, dass sie neulich mal wieder von Leuten gehört habe, die selbst schon eine Wohnung besitzen, sich aber trotzdem irgendwie noch in eine weitere Baugemeinschaft hineingeschummelt hätten, obwohl das laut Kaufvertrag eigentlich nicht möglich war. Vielleich hat er die Wohnung auf den Namen der Frau gekauft? „Das ist ganz einfach ein Fördermittel-Missbrauch. Und ich würde mir wünschen, dass wir endlich etwas dagegen tun könnten.“
Über die schwarzen Schafe reden? Tut keiner gern
Diese Art von „Missbrauch“ von Fördermitteln ist ein bundesweites Problem. Fast alle Städte und Kommunen wollen gemeinschaftliche Wohnprojekte. Die Grundidee ist ja auch gut. Doch bei immer weiter steigenden Immobilienpreisen steigt auch die Gewinnspanne und damit Gewinnsucht und privates Spekulantentum. Und während große Immobilienfirmen kritisch von der Öffentlichkeit beäugt werden, sogar ihre Enteignung gefordert wird, gibt es kaum Berichte über all das, was im privaten Wohnungseigentum abläuft. Einige wenige Beispiele "schaffen" es in die Presse. Wer redet schon gern schlecht über sein eigenes Projekt? Auch ich tue mich schwer mit diesem Blogbeitrag. So viele liebe Menschen wohnen hier mit mir zusammen. Immer noch gibt es eine tolle Kerngruppe, die uns allen viel Spaß bringt. Muss ich wirklich über die „schwarzen Schafe“ öffentlich reden?
Ich telefoniere mit Birgit Kasper in Frankfurt. Sie leitet dort das Netzwerk für gemeinschaftliches Wohnen. (Für alle Menschen in und um Frankfurt: Die nächste Wohnbörse findet am 24.9. statt.)
Auch Birgit Kasper denkt schon lange darüber nach, wie sie mit ihren Kolleg*innen verhindern können, dass sich Einzelne in Eigentums-Baugruppen auf Kosten der Gemeinschaft bereichern. In verschiedenen Städten, so berichtet sie, werde zukünftig einfach gar kein Wohnen im Eigentum mehr gefördert; öffentliche Grundstücke würden nur noch im Erbbaurecht vergeben; es gäbe eine grundsätzliche qm-Zahl-Begrenzung pro Person oder eine Deckelung der Mieten bei Weitervermietung geförderter Grundstücke und Wohnungen.
Eine Idee: Für die Gemeinschaftswohnung zahlen alle
Und sie berichtet mir von einem findigen Best-Practice-Fall: Um gleich von vornherein auszuschließen, dass sich eigennützige Privatspekulanten in die Gruppe schummeln, wurde die Gästewohnung einer Baugruppe in Frankfurt anteilig auf alle acht Parteien im Projekt aufgeteilt; die Besitzverhältnisse wurden in der Teilungserklärung hinterlegt. Jedes neue Mitglied der Gruppe muss also auch diese zusätzlichen Anteile mit finanzieren – und das macht, so hofft die Gruppe, nur jemand, der auch Gemeinschaft sucht.
Ihr habt andere gute Ideen oder Beispiele? Immer her damit
Und noch ein PS: Direkt vor Redaktionsschluss haben wir sogar noch einen Preis erhalten: Für unsere schöne Dachlandschaft bei der Ausschreibung für Grüne Dächer in Hamburg. Ein schönes Zeichen dafür, dass unsere Gemeinschaft funktioniert, schwarze Schafe hin oder her...
Wohnlage - was tun gegen private Immobilienspekulation
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Liebe Frau Heintze,
als Rechtsanwältin und Projektberaterin kenne ich natürlich das Problem. Die neue WEG gibt viele Gestaltungsfreiheiten, die in der Teilungserklärung oder durch Beschlüsse genutzt werden können. Die Kostenbeteiligung an Gemeinschaftsräume ist "Standard". Ich baue immer die Möglichkeit ein, eine "Handkasse für Gemeinschaftsaktivitäten" als umlagefähige Nebenkosten zu beschließen. Auch "Arbeitsleistungen" kann man wunderbar beschließen > andernfalls wird ein Dienstleister beauftragt gegen umlagefähige Kosten. Das Pojekt muss für Spekulanten einfach unattraktiv werden.
Ich würde gerne den Bogen weiter spannen: auch Genossenschaften sind anfällig. Architekten und Projektenwickler gründen Genossenschaften, die ihnen Aufträge und Honorare bringen. Hier gibt es viele Versprechungen, um Genossen zu gewinnen, und viele enttäuschte Erwartungen.
Über gescheiterte Projekte, schwarze Schafe und typische Fehler wird viel zu selten gesprochen.
Fehlerkultur und Lernkultur sind offen zu diskutieren.
Herzliche Grüße
Angelika Majchrzak-Rummel
Gerne Beispiele
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Liebe Frau Majchrzak-Rummel, das finde ich sehr interessant. Mir geht es ja genau um Best-Practice Beispiele - allerdings bin ich mir immer noch nicht so ganz sicher, an welcher Stelle ganz oben (Bundesbauministerium?) man/wir sowohl die guten Ideen wie auch die Schwarzen-Schafe-Beispiele anbringen sollte - es gibt ja viele Bundesverbände, und gemeinwohlorientierte Stiftungen, die sich eigentlich genau darum kümmern, trotzdem kommt es zu so viel Missbrauch - oder sollte ich sagen: zu bewussten Betrug?
Gerade Leute, die jahrelang bei den Sitzungen der BGs mitmachen, wissen ganz genau, was sie tun, wenn sie nicht einziehen: preiswerten Wohnraum gewinnbringend weiter vermieten. Ich wohne in der HafenCity Hamburg, die immer wieder damit wirbt, sozialen Wohnraum zu schaffen. Das geschieht auch - aber der wirklich vielfach stattfindende Missbrauch (Betrug?) wird nirgendwo laut und deutlich thematisiert..
Danke für Ihre Meinung hier - wie bleiben in Kontakt
Herzliche Grüße Dorothea Heintze
Baugemeinschaften Betrug und Missbrauch
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Guten Tag,
es wird immer von Betrug und Missbrauch gesprochen, haben Sie aber vielleicht auch mal darüber nachgedacht, dass sich, gerade in der langen Planungs und Bauphase von bis zu zehn Jahren, sich Lebensumstände ändern können? Familien gehen auseinander? Menschen müssen aufgrund Jobverlust die Stadt wechseln, oder müssen ihre Eltern in einer anderen Stadt pflegen?! Es gibt so viele Gründe warum dann auch ein Mitglied einer Baugemeinschaft seine Wohnung verkaufen oder falls dies nicht möglich ist, vermieten muss.
Beste Grüße
Frau Bergers
Auszug oder Vermietung aus Baugemeinschaften grundsätzlich
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Liebe Frau Bergers, danke für Ihre Rückmeldung, genau dies sind die Diskussionen, die ich in Folge meiner Blogbeiträge gerne mit interessierten Menschen führen möchte.
Sie haben vollkommen Recht. Lebenssituationen ändern sich. Vielleicht betrifft es ja auch mal mich selbst? Die Frage ist: Werde ich dann bedenken, dass meine Wohnung mal gefördert wurde vom Staat, also von anderen Steuerzahler*innen? Oder werde ich das Maximum aus meinen Verkauf rausholen?
Da ich leider aus Erfahrungen gelernt habe, dass wir alle verführbar sind, wenn es um das eigene Wohlbefinden, also auch unser eigenes finanzielles Einkommen geht, bin ich der Meinung, dass es für dieses besondere Eigentum auch besondere Regelungen braucht - und zwar nicht nur für eine bestimmte Zeitspanne, sondern für immer an dieses Stück Grund und Boden gebunden.
Ich habe den Beitrag geschrieben, weil ich zuviele Menschen getroffen habe, die kein Bewusstsein für diese Besonderheit ihres Eigentums mehr haben. Sie haben es verdrängt, oder, sehr viel unangenehmer, sie wissen es ganz genau, und verhalten sich trotzdem, als hätten sie ihre Wohnung auf dem freien Markt erstanden. Haben sie nicht. Und da beginnt für mich der Missbrauch, oder härter, eben auch der Betrug.
In diesem Sinne mit den besten Grüßen
Dorothea Heintze