Empty-Nest-Syndrom
Wenn das Kind auszieht
Klar haben wir als Eltern die Kinder zur Unabhängigkeit ­erzogen. Aber nach dem letzten gemeinsamen Kochen fehlt der Mutter der Appetit
Wenn das Kind auszieht
Für beide Seiten nicht immer ganz einfach - Auszug aus dem Elternhaus
miodrag ignjatovic/Getty Images
25.04.2025
3Min

Eigentlich ist alles so wie immer. Die Nudeln kochen vor sich hin, während ich Auberginen und Zucchini für die Soße schneide. Mein Sohn findet, ich schneide viel zu große Stücke, ich sage, dann soll er es doch selbst machen. Er ­möchte noch einen ordentlichen Klacks Butter in der Soße haben, ich antworte wie immer: "Ist doch schon viel Olivenöl dabei." Seit Jahren führen wir diese Diskussionen und einigen uns dann irgendwo in der Mitte. Kein großer, nur ein halber Klacks Butter, eine Nachbesserung des Gemüses, ein Zweitschnitt, den er mit einem scharfen Messer ausführt. Am Ende sagt er: "Siehst du, so klein muss das für Pastasoßen sein." Ich nicke und denke wie immer, er übertreibt, ich selbst bin beim Kochen weniger akribisch, halte es mit Laissez-faire.

Und doch ist dieses Mal alles anders. Weil ich weiß, dass Sebastian in zwei Tagen ausziehen wird und mein Herz sich anfühlt wie eingeschnürt. Weil ich jetzt schon diesen ­eingespielten Diskussionen, die zu unserem Alltag gehören, nachtrauere. Manchmal mussten wir auch beide lachen, wenn wir wieder einmal über das Maß der Bebutterung einer Soße diskutiert haben. Ein Lachen, das ausdrückt: Wir wissen beide, dass es hier im Grunde um Peanuts geht, aber es wäre doch schrecklich, wenn wir die Diskussion nicht führen, an dieser Tradition nicht fest­halten würden. Routinen verbinden.

Vom Kopf her ist mir klar, dass alles gut ist. Mein Sohn, mein ­einziger Sohn, zieht mit einem Kumpel zusammen, den ich mag, der in Ordnung ist. ­Sebastian ist 24, und es ist an der Zeit. Vor fünf Jahren ­haben sich mein Ex-Mann und ich getrennt, seitdem leben mein Sohn und ich zu zweit in der Wohnung, jeder hat sein Ding gemacht, aber gelegentlich haben wir zusammen gekocht, einen Film geschaut. Wir hatten eine lange gute Zeit, wofür ich dankbar bin. Eines dieser Geschenke, die einem das Leben gelegentlich macht.

Sebastian hat den Tisch gedeckt und, wie immer, das viel zu grelle Oberlicht an­geschaltet, das ich sofort herunterdimme. Männer können kein Licht, warum ist das so? Ein ­ewiges Rätsel. Die Pasta ist al dente, wie es sich gehört, die Soße gelungen. Sebastian erzählt von seinem neuen Zimmer, wo das Bett stehen wird, der neue Schreibtisch, die Playstation. Ich bemühe mich, fröhlich zu wirken. Ringe mit mir, ob ich "authentisch" sein, ihm meine Traurigkeit doch zeigen soll. Aber ich lasse es sein, weil ich ihn nicht be­lasten will. Er langt kräftig zu, isst noch einen zweiten Teller, ich habe wenig ­Appetit, rede mich raus, ich hätte am Nachmittag schon ein großes Stück Kuchen ge­gessen. Er strahlt Zuversicht und Zukunft aus, ich spiele Ver­stecken mit meiner Beklommenheit. Er geht, ich bleibe.

Abschied von der gemeinsamen Zeit

Ich weiß, dass ich nicht die Einzige bin. Dass Millionen Eltern das Gleiche durchmachen, dass es der Lauf der Welt ist, man loslassen muss und so weiter und so bla. Was man sich halt unter Eltern so sagt, Gemeinplätze, um die Gefühle unter Verschluss zu halten und sich als resiliente Mutter zu geben, die auch diesen Einschnitt souverän meistert. "Ein Tränchen habe ich schon vergossen, aber das gehört halt dazu", erzählte mir neulich eine andere Mutter und Leidensgenossin. Um dann mit der beliebten Beschwichtigungsformel zu schließen, jederzeit einsetzbar wie ein Universalreiniger: "Alles gut!" Wenn es so einfach wäre.

Mein Sohn wird in Hamburg bleiben, wo er arbeitet, er wird auch wieder zum Essen kommen. Das ist tatsächlich gut. Aber dann ist er Besuch, er wird an der Tür klingeln, anstatt polternd aus seinem verschärft unaufgeräumten Zimmer zu kommen und zu fragen, wann wir anfangen wollen zu kochen. Und ob ich auch genug Parmesan gekauft habe.

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Mittlerweile sind wir bei unserem aufwands­armen Nachtisch angelangt: Schoko­kugeln, zartbitter, wie ich sie liebe. Mein Sohn mag lieber Vollmilch, aber heute sagt er generös: "Weil du es bist." Dann steht er auf, um noch eine Umzugskiste zu packen. "Kann ich dir helfen?", frage ich wenig entschlossen. "Lass mal", meint er, "vielleicht kannst du dafür die Küche aufräumen?" Fast hätte ich gesagt: "Wie immer." Aber heute bin ich froh, dass ich dabei allein sein kann.

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