Das Elternhaus ausräumen
Ach, da komm ich also her!
Die Mutter zieht ins betreute Wohnen, die Töchter räumen das Elternhaus aus. Sie finden kitschige Tassen, geliebte Spiele und unerledigte Aufträge
Elternhaus
Morgen schließen wir zum letzten mal die Haustür ab in unserem Elternhaus in dem wir 50 Jahre lang gewohnt haben
Eva Müller
Tim Wegner
Eva Mueller, Illustratorin, Elternhaus-Geschichte, Ursula Ott, c_04_19Michael Steinhauser
Aktualisiert am 02.05.2024
9Min

Mir ist kalt. Angeblich soll heute ein besonders sonniger Herbsttag sein, das haben wir im Autoradio gehört, als wir das letzte Mal mit Mutters Wagen in die alte Garageneinfahrt eingebogen sind. Sonne ist gut, sagt meine Mutter, dann kommen wir morgen gut durch auf der Autobahn nach Stuttgart. Dann sind wir vielleicht schneller als die Umzugsleute.

Aber ist wirklich alles gut? Morgen schließen wir zum letzten Mal die Haustür ab in unserem Elternhaus in Ravensburg, in dem wir 50 Jahre lang gewohnt haben. Das Haus ist verkauft, das Auto auch, es tritt morgen ­seine letzte Fahrt an. Meine Mutter hat sich mit 87 Jahren entschieden, noch mal ein neues ­Leben anzufangen. 200 Kilometer entfernt, in einem betreuten Wohnen in Stuttgart, in der Nähe der Töchter. Sehr lange haben wir ausgeräumt, sortiert, gepackt und geredet. Uns von Nachbarinnen verabschiedet, die es erst nicht glauben wollten – ein Haus verkaufen! In Oberschwaben! Uns dann Angst machten – einen alten Baum verpflanzt man nicht! Und dann doch heute Mittag diese Thermoskanne auf den Balkon stellten mit Kaffee. Und frisch gebackenen Apfelkuchen. "Ihr habt ja sicher schon alle Tassen eingepackt."

Lesen Sie hier, wie chrismon-Redakteur Nils Husmann das erste Weihnachten ohne Eltern verbracht hat

Ja. Wir haben alles eingepackt. Oder verschenkt. Oder weggeworfen. Und drum ist es kalt heute Abend, vor dem großen Umzugstag. Die Wände hallen, weil alle Teppiche fehlen und fast alle Möbel. Nur die eichene Schrankwand steht noch, die wollte keiner haben. Leer steht sie da, wie ein Gerippe. Da wo Papas ­Modellautos 50 Jahre lang im Regal standen, ist jetzt ein heller Abdruck im Holz. Wir ­sitzen auf der alten Campingmatratze, die uns die Nachbarin für die letzte Nacht geliehen hat, mir ist flau im Magen. "Ich mach dir eine Wärmflasche!", springt meine Mutter auf, aber gleich steht sie ratlos in der leeren Küche. Der Wasserkocher ist noch da, den kriegt morgen die Putzfrau. Aber die Wärmflasche ist verpackt, wer weiß in welcher Umzugskiste.

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Liebe Frau Ott,

Ihr Artikel in chrismon: "Ach, da komm ich her" hat mich sehr berührt und ich habe ihn mit großer Freude gelesen. Nun werde ich mir auch das Buch:
"Das Haus meiner Eltern..." besorgen und freue mich schon aufs Lesen.
Ich stecke in einer ähnlichen Lebenssituation und konnte vieles von dem, was sie beschreiben, wiedererkennen.
Die Schwere und Traurigkeit dieses Themas wird sogleich gelindert, wenn man erfährt, dass es vielen anderen Menschen ähnlich ergeht.

Vielen lieben Dank dafür!

Sie beschreiben in Ihrem Artikel kurz die Vergangenheit der Eltern und Großeltern in einem Land nach dem Krieg, was aufgebaut werden musste, und wo es wenig Zeit und Raum für Gefühle gab.
Dieses Thema beschäftigt mich seit längerem und ich wollte sie fragen, ob sie mir dazu ein Buch besonders empfehlen können?
Das wäre wunderbar.

Sehr geehrte Frau Armbrust,
ich weiß nicht, welches Buch Frau Ott empfehlen wird, aber ich habe sofort an das Buch von Sabine Bode - Die vergessene Generation - Piper Taschenbuch 4403 - gedacht. Das hat den Untertitel- Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen - und befasst sich mit dem genannten Thema.
Mir hat es geholfen, manches aus den 60er und 70er Jahren zu verstehen.

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Der Artikel las sich gut, das daraufhin erworbene Buch "Das Haus meiner Eltern hat 
viele Räume." war beim beruflichen Pendeln in der UBahn in einem Rutsch durchgelesen. Ich bin gerade in einer ähnlichen Situation, bei mir sind die Eltern beide verstorben und ich räume das Elternhaus aus.
Das Buch tröstete wie eine weiche Decke, unterstützt wie eine gute Freundin und öffnet den Kopf für frische neue Gedanken wie ein guter Text. Danke dafür. Das Lesen des Buchs während des Ausräumens hat richtig gut getan.

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Ich beziehe mich auf ihren Artikel, in dem Sie den Auszug Ihrer Mutter aus ihrem Haus beschreiben. Sie schreiben darin, dass Ihre Mutter den 8jährigen Hamid aus Syrien durch Hausaufgabenbetreuung unterstützt, so dass der Junge im Herbst aufs Gymnasium wechseln kann. Wie soll das gehen? Meines Wissens kommen Kinder in Deutschland mit 6 Jahren zur Schule. Hamid wäre demnach in der 3. Klasse. Ins Gymnasium wechseln Kinder nach der 4 Klasse und sind in der Regel 10 Jahre alt. Ist die Begeisterung mit Ihrer Mutter mit Ihnen durchgegangen, so dass Sie vergessen haben, nachzurechnen?

Antwort auf von Ingrid Schmid (nicht registriert)

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Liebe Frau Schmid,
danke, dass Sie so gut aufpassen. Es ist schon alles richtig – Hamid war in der 3., Klasse, als meine Mutter nach Stuttgart zog. Das ist ein Jahr her, steht ja auch im Artikel. Jetzt ist die Mutter prima angekommen, schon über ein Jahr im betreuten Wohnen, Hamid in der 4. KLasse und wechselt im Herbst 2019 aufs Gymnasium. Meine Mutter hofft , dass er trotzdem einmal die Woche zum Hausaufgaben machen kommt. IN der 5. Klasse, meint sie, kann sie gerade noch mit kommen.
Ursula Ott