Aufräumen
Es geht nie um Dinge, sondern um Geschichten
Kleider, Lampen, Bücher, der hölzerne Kerzenständer - manches davon ist längst Ballast. Das muss weg! Doch Ausmisten ist nicht einfach. Aber es befreit. Ein Crashkurs mit der Aufräumspezialistin Birgit Medele
Ausmisten, Ballast abwerfen - so macht man es richtig
Brauchen wir das wirklich alles?
Katrin Binner
Tim Wegner
08.10.2012
13Min

chrismon: Wieso soll ich überhaupt ausmisten?

Birgit Medele: Weil das befreit. Man hat mehr Zeit, es läuft viel mehr von selber. Wer außen Ordnung schafft, bekommt auch im Inneren Ordnung und Klarheit. Mit Aufräumen schafft man sich eine Startrampe, um loszufliegen.

Losfliegen? Es geht doch nur um Dinge...

Es geht nie um Dinge. Es geht um die Geschichten, die sie erzählen, um Erinnerungen, Zukunftspläne... Gegenstände sind die Requisiten im Theater unseres Lebens. Wenn wir die Lebensbühne nie abräumen, sind wir dazu verurteilt, alte Vorstellungen zu wiederholen.

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Birgit Medele

Buchtipp: Birgit Medele schrieb das Buch "Leben statt kleben". Mit ihrer Agentur "Unbeschwert leben" bietet sie Menschen ihre Hilfe an, Dinge, Gedanken und Gefühle loszulassen, die zu Ballast geworden sind.

Gegenstände sind still, wie sollen die denn stören?

Gegenstände verlangen meine Aufmerksamkeit: Trag mich zurück an meinen Platz, nutz mich, lies mich!

Woran merke ich, dass ich zu viel Zeug habe?

Wenn man sehr viel Zeit damit verbringt, das alles zu verwalten. Oder wenn einem der Platz ausgeht. Es gibt ja Leute, die haben ihren Kram schön in Kisten mit Labels drauf, aber dann müssen sie immer noch ein Regal aufstellen. Egal, wo wir das deponieren, es hängt an uns dran, ist Ballast.

Was genau ist Ballast?

Alles, was man nicht benutzt oder was man nicht wirklich mag. Auf einer tieferen Ebene gehört auch alles Unerledigte dazu: der unfertige Strickpulli, ungelesene Zeitschriften, Bücher aus einem abgebrochenen Studium.

Wie haben Sie Ihr Talent fürs Aufräumen entdeckt?

Ein Einschnitt war, als meine jüngere Schwester mit 28 Jahren starb. Sie war Buchhändlerin, sie hat Bücher geliebt, sie hatte wunderschöne Bücher. Da war überhaupt kein Drandenken, dass meine Mutter irgendwas anfassen kann. Mir fiel das nicht schwer. Ich sagte: Es wäre sicher in ihrem Sinn, wenn die Bücher nicht verstauben, sondern anderen Menschen Freude machen. Viele Bücher kamen in Büchereien und die schönsten in ein Zimmer, wo sich Freundinnen und andere Besucher was aussuchen konnten. Damals wurde mir klar, dass ich etwas kann, was andere nicht können. Okay, sagte ich mir, dann bin ich eben ein lebendes Klischee: die Deutsche, die Organisationskurse anbietet!

Eigentlich hatten Sie Kunst studiert.

Ja, weil mein Herzensanliegen immer schon war, Leute zu inspirieren. Ich habe Konzeptkunst gemacht. Irgendwann sah ich ein: Damit bringe ich nur recht wenigen Leuten Freude ins Leben. Die wichtigste Qualifikation für meinen neuen Job war für mich dann aber, selber Kinder zu haben. Denn wenn ich als Kinderlose Leuten etwas vom Aufräumen erzähle und es sind Mütter dabei, kann ich sofort ein­packen. Da nimmt mich niemand ernst.

Psychotherapie: Schriftsteller Jakob Hein über multiple Krisen

Und, gibt’s bei Ihnen einen Elektrozaun zwischen Kinder- und Wohnzimmer?

Ja, genau und überall Verbotsschilder! Nein, natürlich haben unsere Kinder jeg­liche Freiheit. Aber unser Haus besteht nicht nur aus Kinderzimmern. Besucher sagen immer: Hier ist aber viel Platz! Unser Haus ist nicht besonders groß, aber es gibt eben keine Sideboards, keine Vitrinen, Kommoden, Bücherregale.

Wie, Sie haben keine Bücher?

Ich hatte mal sehr viele Bücher, mittler­weile habe ich nur noch zwei Regalfächer, mit Büchern, die mich aktuell bereichern.

Und was ist mit Spielzeug?

Ich habe nicht jeden Teddybär behalten, den meine Kinder seit ihrer Geburt be­kommen haben. Die Spielsachen sind im Schrank unter der Treppe, und die Kinder genießen, dass sie wissen, wo was ist, wo sie sich was holen können. Es sind ja nicht nur die Eltern überfordert mit der Verwaltung, wenn sich Legosteine mit Bauklötzen und Puzzleteilen vermischt haben. Aber am liebsten spielen meine Kinder und auch Besuchskinder mit dem Sofa, sie ­bauen aus den Polsterteilen Häuser oder ziehen die Decke über die Stühle.

Leitfragen: Brauch ich das noch? Macht es mich glücklich?

Was machen Sie mit der Flut an Spielzeuggeschenken, die ins Haus schwappt?

Ich frag die Kinder! Ich habe mal mit einer Familie gearbeitet, wo es Hunderte von Stofftieren und Büchern gab. Als ich mit den Kindern anfing auszusortieren, die waren fünf und acht, sagten die ganz klar: Ach nee, mit dem Stofftier spiele ich nicht. Da mischte sich die Mutter ein: Aber, das hat dir doch die Tante...! Und das haben wir damals bei dem Ausflug gekauft! ­Eigentlich hatte die Mutter das Problem.

"Den ganzen Keller? Schafft kein Mensch!"

Na gut, ich fang an mit Aussortieren – aber das geht erst, wenn ich mal ein ganzes verregnetes Wochenende habe.

Genau: "Dann mach ich den Keller am ­Wochenende." Sie werden scheitern. Der ganze Keller – das ist viel zu groß, das schafft kein Mensch. Wir unterschätzen die Macht der Gegenstände. Sie werden ins Erinnerungsmeer stürzen und untergehen. Und dann schnell alles wieder wegpacken.

Was wäre ein guter Anfang?

Zehn Minuten. Oder ein einziger Ordner. Man kann mit dem Leichtesten anfangen oder mit dem, was am meisten ärgert. Klassiker sind: unter der Spüle oder der Papierkram auf dem Esstisch. Ich schaue mir zehn Bücher durch. Niemals das ganze ­Bücherregal auf einmal. Das geht nur, wenn man mit jemandem zusammenarbeitet.

Wie helfen Sie bei der Bücherwand?

Eine Klientin hatte ein riesiges Bücher­regal, und sie wollte alle Bücher behalten. Ich sagte: Ja. Denn ein Organizer lässt ­immer die Klienten entscheiden. Ich sagte: Wenn Sie hier so viele Schätze stehen haben, sollten wir das organisieren, damit Sie, wenn Sie einen Gedichtband lesen wollen, den sofort finden. Die Familie war umgezogen und hatte die Bücher aus den Kisten so in die Regale gestellt. Dann nahm sie ein Buch nach dem anderen in die Hand und sagte: ein Geschenk, weg damit. Es folgten Bücher, die sie nicht mehr interessierten oder die sie noch nie interessiert hatten, die ein totaler Fehlkauf waren oder wo das Thema schon ums Eck war. Am Ende konnten stapelweise Bücher gehen.

So einfach war das?

Nicht bei allen Büchern. Ein schwieriges Thema war, dass sie Jura studiert hatte, letztlich, weil die Eltern das wollten. Sie hatte die fetten Juraschinken noch rum­stehen. Da sagte sie: Ja, das habe ich mal gemacht, da kann ich jetzt drum trauern, dass es nicht zu einer Karriere als erfolgreiche Anwältin geführt hat – aber das wollte ich ja sowieso nie. Da haben wir ­tonnenweise Erleichterung geschaffen.

Aber vielleicht machen die Bücher meine Identität aus. Oder die Filmsammlung. So was zeigt, wie aufgeschlossen ich bin, wie fantasievoll...

Andere schätzen uns doch nicht wegen ­unseres Krams! Wir sind nicht, was wir haben. Wir sind, was wir sind: ein Puzzle aus Erfahrungen. Schauen Sie, wie viele Bücher Sie freudvoll in Ihr Leben integrieren können. Das mögen 550 für Sie sein und fünf für jemand anderen.

Vielleicht erst mal alte Zeitungen wegwerfen – wäre das ein einfacher Anfang?

Dachte ich immer. Und dann hatte ich mit diesen Mittdreißigern zu tun, die hatten ein Baby bekommen, aber in der Wohnung war kein Platz, weil sie sich nicht von alten Zeitungen trennen konnten – denn da könnte ja noch etwas drinstehen, was wichtig ist oder inspirierend. Sie flogen diese Zeitungen sogar in den Urlaub als teures Übergepäck mit, damit sie sie da durchsehen können, weil sie da ja Zeit ­haben. Haben sie natürlich nicht gemacht.

"Manchmal hilft nur die 'Dilemmakiste'"

Wahnsinn!

Papier ist für alle Menschen eine Herausforderung. Papier sammelt sich überall. Weil es oft mit Handlungsbedarf verbunden ist: Ich muss da anrufen, ich muss die Steuer machen... Oder man denkt: Wenn ich jetzt diesen Packen Papier loslasse, habe ich keinen Zugang mehr zu dieser Information. Und für viele Leute ist Internet kein Argument. Aber dann sollte man sich die Papierinformationen so erhalten, dass sie wirklich zugänglich sind und nicht irgendwo verborgen in einem Stapel.

Jetzt fang ich an. Soll ich mir noch drei Kisten hinstellen?

Kisten oder Tüten: für Müll/Recycling, für Weiterverschenken/Verkaufen, für ­Erledigen. Und eine Transitbox. In die kommt alles Verirrte, denn wir tragen den Korkenzieher nicht gleich in die Küche zurück – um dort nur schnell einen Kaffee zu machen und damit aus dem Rhythmus zu kommen.

Aufzeichnung des chrismon-Webinars: Was brauche ich, um zufrieden zu sein?

Was ist, wenn ich mich für keine Kiste entscheiden kann?

Da hilft die Dilemmakiste. Die Urteils­findung passiert dann wie von selbst. Wenn wir das Objekt nach zwei Stunden rauskramen und tränenüberströmt rufen: Wie konnte ich nur ohne dich leben? – klarer Fall. Wenn wir uns nach zwei Wochen nicht mehr erinnern können, was in dieser Kiste ist, hat es sich von selbst entschieden.

Wenn es so einfach wäre! An manchem hängt man, weil es aus einer aufregenden Zeit stammt – Landkarten von Reisen, Material aus der Zeit als Umweltaktivistin oder Elternbeirat.

Specken Sie solche Sammlungen doch auf ein "Best of" ab. Aus sieben mach drei, aus drei mach eins – schon ist Platz für Neues.

Angenommen, ich selbst kann gut aus­misten, aber bei den alten Eltern wird die Wohnung voll und voller...

Das ist dann eben so. Dinge sind ein ­Kokon, ein Schutzpolster. Es funktioniert jedenfalls überhaupt nicht, bei jemand anderem gegen dessen Willen aufzuräumen. Das gibt nur Streit. Und bald sieht es wieder so aus. Wenn die Person allerdings möchte, dass Sie ihr helfen, predigen Sie nicht, ­sondern stellen Sie Fragen.

Wie soll ich denn fragen, wenn jemand alte "Apotheken-Umschauen" hortet, um sie irgendwann noch zu lesen, also nie?

Nehmen Sie zusammen ein Ding nach dem anderen hoch und fragen Sie: Brauchst du das? Dann sagt die Person wahrscheinlich: Ja. Dann fragen Sie: Für was? Warum?

Wie warum! Weil ich die Infos über all die Krankheiten noch mal brauchen könnte!

Dann hangeln Sie sich als Übung doch mal an der Angstkette entlang: Was wäre, wenn die "Apotheken-Umschau" geht? Ich habe die Information nicht mehr, ich werde sie nie mehr von irgendjemandem wiederbekommen, keiner wird mir helfen, keiner mir irgendwas raten können. Ich werde alles verlieren. Verhungern. Sterben. Da müssen die Leute selbst lachen.

Was machen Sie genau, wenn Sie bei ­Klienten sind?

Ich bringe zusätzliche Energie rein, Dis­ziplin und Konzentration. Vor allem halte ich den Himmel davon ab, dass er auf uns einstürzt. Ich saß mal neben einer Klientin, die alle Geburtstagskarten ihres Lebens aufgehoben hatte. Ich hielt die hoch und fragte: Ja? Nein? Sie sagte immer Nein. Auf einmal schaute sie mich an und sagte: "Wissen Sie, was Sie hier tun? Sie halten meine Hand." Genau das ist es. Ich stehe beim Umgang mit den Gefühlen bei, die aus den Flaschen steigen. Es kann ­passieren, dass Leute anfangen zu weinen.

Wenn das so traurig ist, dann lass ich doch besser alles so, wie es ist.

Auf Dauer macht der Stillstand aber kribbelig, weil es bei den meisten von uns die eine oder andere Baustelle gibt, wo wir ein bisschen Veränderung begrüßen würden.

Ja, schon, aber die inneren Widerstände! Nehmen wir den Fonduetopf und die ­vielen Weingläser – platzraubend. Aber ich möchte doch mal eine größere Ein­ladung machen...

Wen laden Sie ein und wann machen Sie das? Setzen Sie sich ein Zeitlimit. Wenn ich bis dahin die große Einladung nicht ausgesprochen habe, dann will ich sie ­vielleicht gar nicht. Und wenn doch: Dann leihe ich mir eben den Fonduetopf beim Nachbarn. Ich arbeitete mal mit einem jungen Paar, gerade Eltern geworden, aber die Küche, wo eigentlich ein Flaschen­sterilisierer und der ganze Kram fürs Baby ­stehen sollte, war blockiert von Hochzeitsgeschenken und Silberteilen für "die Dinnerparty", von der sie dauernd redeten. Mit dem kleinen Kind wird das aber sowieso erst mal nichts mit der Dinner­party.

Da kann sich doch Erleichterung ausbreiten. Endlich Platz für was Neues!

Viele Dinge zu haben gibt aber auch ein Gefühl von Sicherheit.

Das ist ein Missverständnis. Sicherheit liegt nie in Dingen. Sie liegt in der Gewissheit, mit allem umgehen zu können, was das Leben einem auftischt.

Und was ist mit dem inneren Widerstand "das war aber so teuer"?

Leider lässt sich der Fehlkauf nicht damit ungeschehen machen, dass man das Ding behält. Ich kann es verschenken oder verkaufen. Verkaufen kostet aber auch viel Zeit und Energie. Ich persönlich verschenke lieber. Ich stelle auch öfter was vors Haus. Zum Beispiel, als wir Kinder bekamen, meine sehr große, geliebte ­Zimmerpalme. Ich hängte ihr ein Schild um: Bitte nimm mich mit. Kurz darauf kam ein junges Paar, ich stand gerade am Fenster, wir winkten einander zu. Alle glücklich.

"Erinnerung verlieren geht gar nicht"

Jetzt hab ich ein paar einfache Dinge aussortiert, was wäre der nächste Schwierigkeitsgrad?

Fotos, damit haben alle Leute Probleme.

Wenn man Fotos wegwirft, verliert man die Erinnerung.

Erinnerung verlieren geht gar nicht. Auch hier die Gretchenfrage: Trägt dieses Bild zu meiner Lebensfreude bei, bedeutet es mir etwas? Wenn nein, was hat es dann hier zu suchen?

Darf man Geschenke wegwerfen oder weitergeben?

Ja! Meine Schwiegermutter, eine wunderbare Frau, schenkt mir gern Kitschkeramik zum Aufhängen: geht gar nicht! Ich nehme die Essenz des Geschenks – die Liebe, die Aufmerksamkeit – und bedanke mich herzlich dafür, aber das Symbol für die ­Liebe muss ich deshalb nicht ein Leben lang behalten.

Und was ist mit ererbten Dingen?

Schwierig. Als meine Schwester gestorben ist, bin ich zum ersten Mal im Leben mit Übergepäck geflogen. Aber man kann ­später ja auch wieder abbauen. Wir ver­letzen das Andenken an Verstorbene nicht, wenn wir ihre Dinge weiterziehen lassen.

Lesen Sie hier: Seelenruhe – warum wir beten

Noch ein Problemfeld: Kleiderschrank.

Das Einzige, was in den Kleiderschrank reingehört, ist das, was passt und worin wir uns gut fühlen.

Also nur noch Lieblingsstücke?

Genau. Wir tragen ohnehin 80 Prozent der Zeit nur 20 Prozent unserer Garderobe. Sprich: Das meiste ziehen wir nicht an, weil wir es nicht mögen. Oder weil es "zu schön" ist und auf den "besonderen Anlass" wartet. Das ist dasselbe wie mit den Kristallgläsern: Die rühren wir nicht an, trinken stattdessen aus Senfgläsern. Schluss mit dem Schonen! Alles Unbenutzte ist ungelebtes Leben.

Aber nicht mehr passende Erinnerungsklamotten darf ich behalten, oder?

Wenn Ihnen was Freude macht, natürlich, dann ist es ja auch keine Belastung. Aber warum muss es im Kleiderschrank hängen? Oder Sie machen ein Foto davon, ein alter Trick.

Dann gibt es noch die Kleider, wo man sagt: Die zieh ich an, wenn ich wieder schlanker bin.

Und solange teilen wir unserem wunderbaren Körper und uns selbst mit: "So wie du bist, akzeptiere ich dich nicht." Sich um ein paar Zentimeter an Bauch oder Po zu sorgen, heißt, das Geschenk des Lebens zu verkennen.

Nun hat man den eigenen Kram re­duziert – aber was ist mit dem Jugend­zimmer des Sohnes, muss man das erhalten?

Ein großes Thema. In vielen Familien bleibt das Zimmer so. Dann ist die Frage: Warum? Kommt das Kind noch manchmal zurück und schläft da wirklich? Dann ist kein Handlungsbedarf. Oder hat das Kind eine eigene Wohnung und überhaupt kein Interesse am Kinderzimmer, aber die ­Eltern könne noch nicht ganz loslassen? Wenn ich in den Kursen frage, wann das Sammeln angefangen hat, sagen viele: als die Kinder weg waren.

Das umgekehrte Problem: Erwachsene Kinder...

...missbrauchen ihre Eltern als Ablage. Sehe ich oft. Das Kind hat eine winzige Wohnung und sagt: Ach, Mama, das alte Schlagzeug kann doch bei euch... Da ­müssen die Eltern Grenzen setzen. Denn das Kind, das jetzt 35 ist, umschifft eine Entscheidung: Bin ich jetzt Schlagzeuger, will ich immer noch Rockstar werden? Ich sage nichts bei ein paar Kisten, aber oft ist es ein Lebensraum, den die Eltern gut für sich nutzen könnten.

Müssen auch alte Menschen ausmisten?

Nö. Dann muss es halt die nächste Gene­ration machen. Schnippisch gesagt: Eine Möglichkeit von Aufräumen ist Sterben, denn dann machen’s die anderen. Aber dann habe ich kein Mitspracherecht mehr: Was kommt wohin? Und warum die Nachfahren mit meinem Kram belasten, wenn die schon mit ihrer Trauer zu kämpfen ­haben?

"Leute sammeln immer eine Essenz"

Was ist mit Sammlungen?

Sammlungen sind immer ein Platzhalter für einen nichtmateriellen Wunsch. Ich sammelte mit Mitte 20 Vinylplatten, ich hatte bestimmt 400, teuer gekauft in irgendwelchen abgefahrenen Läden, denn ich war DJ. Also, war ich nicht, ich habe einmal pro Jahr in irgendeinem Café ­einen halben Nachmittag zusammen mit einem richtigen DJ drei Platten auf den Teller gelegt – aber ich fühlte mich als DJ. Erst im Nachhinein weiß ich, was ich da gesammelt habe: Kreativität und vielleicht noch Trendy-Sein. Leute sammeln immer eine Essenz, mit Flugzeugmodellen zum Beispiel Freiheit, Schnelligkeit. Wenn man das weiß, kann man die Sammlung vielleicht ein bisschen zurückschneiden. Muss man aber nicht, wenn die Sammlung ins Leben integriert ist und man sich dran freut.

Aber ob eine Sammlung ins Leben integriert ist, ist Ansichtssache. Mein Lebensgefährte sammelt Kabel...

Das sagt jede Frau: Mein Mann hortet ­Kabel und elektronische Spielereien. Und die Männer sagen: Wie viele Schuhe und Handtaschen meine Frau hat, das ist ja Wahnsinn! Oder der eine ist der Typ "Was sollen wir mit dem Krampf", und der an­dere gerät in Panik und erklärt: "Sag mal, spinnst du, das brauchen wir doch noch."

Und jetzt? Man kann sich ja kaum noch rühren im Keller...

Die schlechte Nachricht ist: Man kann nicht entscheiden, was für jemand anderen wichtig ist. Schon gar nicht darf man heimlich etwas wegwerfen, was einem nicht gehört. Herumnörgeln bringt gar nichts, da verbarrikadiert sich der andere nur noch mehr. Einfach den anderen in Ruhe lassen, bei sich selber anfangen. Die gute Nachricht: Das wirkt ansteckend, es springt immer was über, immer!

Und was passiert, wenn die Schränke leer sind – außer, dass die Schränke leer sind?

Wenn Sie nicht mehr rumräumen und rumsuchen, werden Sie zurückgeworfen auf die ganz großen Fragen. Warum bin ich hier? Wohin geht meine Reise momentan? Sie werden sehen: Sie machen sich auf einen Weg.

Infobox

Buchtipp: Birgit Medele schrieb das Buch "Leben statt kleben". Mit ihrer Agentur "Unbeschwert leben" bietet sie Menschen ihre Hilfe an, Dinge, Gedanken und Gefühle loszulassen, die zu Ballast geworden sind.

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Sehr geehrte Frau Medele, sehr geehrte Frau Horch,
wir sind schon lange überzeugte chrismon-Leser, unzählig viele und gute Artikel waren
darin zu lesen....
Heute früh legte mir (der eigentlich gut ausmistenden Frau) mein Mann etwas schmunzelnd den aktuellen November-Artikel auf den Tisch:" Nun kannst Du lesen, wie es geht"!
Ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Zeilen, da ich mich gerade hinsichtlich des Alters
und einer vielleicht damit verbundenen Wohnraum-Veränderung mit diesem Thema
beschäftige. Durch jahrelange Ehrenamtsarbeit wurden viele Dinge einfach abgelegt,
dieses Aufräumen ist nun sowieso dran....
Beim Lesen merkte ich aber, daß mich ganz andere Dinge bei dem Thema beschäftigen:
Ich will mich von dem Ballast meines Lebens befreien! Die ganzen Gegenstände im Theater meines Lebens fangen im Laufe der Zeit an mich zu erdrücken, vieles gehört nach 65 Jahren nicht mehr in meine jetzige Welt. Die wirklich wichtigen Erinnerungen habe ich in
meinem Herzen und in den verbleibenden (immer noch nicht) wenigen Dingen.
Dazu gehört nun allerdings auch der chrismon-Artikel, den ich in meinem Familien-
und Bekantenkreis verteilen werde!!!

Ich werde mich also von den Requisiten meiner Lebensbühne trennen...
Ein wunderbarer Gedanke! Danke!
Mit einem herzlichen Gruß
Ilse Armonat

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Liebe Chrismon-Redaktion,
vielen Dank für den beflügelnden Artikel. Er wurde mir von einer Freundin empfohlen - und ich habe ihn gleich an eine Freundin weitergeleitet. Es ist herrlich befreiend zu Lesen, dass Wegwerfen "erlaubt", ja, sogar wichtig ist.
Herrlich, die Transit-Box und die Dilemma-Kiste.
Ich werde es sofort ausprobieren.
Herzlich! Ihre Leserin

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Es gibt ja viele Artikel zu diesem Thema, aber dieser ist der intelligenteste und motivierenste, den ich gelesen habe. Klar und strukturiert, man ahnt es und hat es auch anschaulich vor Augen, wie es in den eigenen 4 Wänden zukünftig aussehen könnte. Dennoch bleibt die Furcht: Werde ich mich erinnern, ohne dass die Dinge um mich herum mir Impulse senden? Wer bin ich ohne die Dinge, die mich umgeben? Reichen Fotos davon aus? Was mache ich dann mit den vielen Fotos?
Dennoch in 14 Tagen geht es los: schön diszipliniert und strukturiert getaktet. Die Freundin hilft, alleine verirre ich mich wirklich wieder in den Erinnerungen.
Vielen Dank schon mal!

Und wie und wo hebe ich mir diesen Artikel jetzt am besten auf? (Kleiner Scherz.) Danke für die vielen praktischen und auch mentalen Anregungen! Tut gut, macht Mut - nämlich anzufangen.

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Vor schon einigen Jahren bin ich auf das Buch «Simlfy Your Life» von Werner Tiki Küstenmacher gestoßen. Ich habe es mit großer Begeisterung gelesen. Es war für mich der Anstoß, endlich Sachen aufzuräumen. Ein weiterer Anstoß war das Buch «Getting Things Done» von David Allen. Eine wichtige Konsequenz aus allem war, daß ich mein Leben aufgeschrieben habe und jetzt Tagebuch schreibe. Ein Computer ist da eine große Hilfe, weil man einfach ergänzen kann. Es hilft einem, mit Vergangenem abzuschließen, weil man es aufgeschrieben hat, und die Reflexion des eigenen Handelns ist besser als jede Psychotherapie. Wichtig finde ich aber, manches gar nicht so weit kommen zu lassen. Man sollte sich vor einem Kauf immer fragen, ob der wirklich nötig ist. Meistens kauft man viele Sachen, die man hinterher nicht wirklich braucht, vor dem Kauf der Sachen, die man später vermißt, schreckt man aber zurück. Genauso sollte man sein Beziehungsnetz entwirren. Ein Umzug ist übrigens eine großartige Chance endlich auszumisten.

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Dieser Artikel hat mich in so vielen Punkten berührt, am inspirierensten finde ich die Aussage von Frau Medele: " Sicherheit liegt nie in Dingen. Sie liegt in der Gewissheit, mit allem umgehen zu können, was das Leben einem auftischt."
Dafür ein großes Dankeschön.

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Sehr geehrte Frau Medele
Danke für ihre guten Tipps zum Ausmisten oder lieber Ausräumen. Mein Problem ( und vielleicht anderer Menschen auch) ist jedoch, das ich nur kaputte Gegenstände "ausmisten" kann.
Etwas voll funktionsfähiges, wie getragene Kleidung, einmal gelesene Bücher, Kinderspielzeug für das die Kinder zu alt geworden sind mag ich nicht in den Müll werfen. Bei Flohmärkten beobachte ich, das mehr als die Hälfte der Sachen nicht weggehen und Diskussionen ob das vormalige Lieblingskleid meiner Tochter, welches ich für 50 € gekauft habe nun statt 3€ doch für 1 € verkauft wird, möchte ich nicht führen.
Eine Zeitlang habe ich für jedes neue Teil in meinem Kleiderschrank zwei Teile aussortiert, welches ich als Mann eher schaffe, als meine Frau. Aber die große Frage ist für mich, wohin mit meinem Ballast, das er anderswo noch weiter genutzt werden kann ?