Junge Frau läuft allein eine Straße entlang. Symbolfoto
Einsamkeit kann krank machen. Doch es ist schwierig, Freundschaften über die Distanz zu pflegen
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Einsamkeit
Ich bin allein
Das Schwierigste im Leben in einem anderen Land ist, dass man die Nähe zu lieben Menschen in der Heimat verliert. Und das ist mir passiert
Lena Uphoff
04.02.2025
4Min

Am 22. Februar 2022 war ich in Kyjiw. Am Abend rief mich eine beste Freundin an und wir verabredeten uns: "Wir sehen uns in zwei Tagen." Unser Treffen fand nicht statt, weil in der Ukraine am 24. Februar ein großer Krieg begann. Aus diesem Grund kehrte ich spontan nach Deutschland (wo ich schon früher mehrere Jahre gelebt hatte) zurück, und meine Freundin blieb in Kyjiw. Wir konnten uns erst drei Jahre später treffen – im Januar 2025.

Ich hatte mir unser Treffen schon oft vorgestellt: wie ich die Freundin, mit der ich seit der Schulzeit und über zwanzig Jahre lang befreundet bin, fest umarmen werde. Wie wir zuerst schweigen und weinen und dann bis zum Morgengrauen reden werden. Es ist das erste Mal, dass wir uns so lange nicht im realen Leben gesehen haben. Während meiner ersten Auswanderung nach Deutschland konnte ich es mir dank schneller und günstiger Flüge leisten, fast jedes Wochenende in die Ukraine zu fliegen.

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Seit meiner Rückkehr nach Deutschland im März 2022 war ich dort kein einziges Mal. Eine Reise in die Ukraine ist mittlerweile nicht nur gefährlich, sondern auch unglaublich lang: Eine direkte Busfahrt durch Polen dauert 32 bis 40 Stunden. Keiner von uns hatte damit gerechnet, dass der Krieg so lange dauern und der Himmel über der Ukraine geschlossen sein würde. Doch nun kam meine Freundin für eine Dienstreise nach Frankfurt. Emotionen überwältigten mich.

Allerdings kam alles anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Ja, wir haben uns umarmt und stundenlang ununterbrochen geredet. Ja, ich hatte das Gefühl, dass ich diese Freundin immer noch liebte und immer bereit war, ihr zu helfen. Es herrscht immer noch Wärme zwischen uns, aber es gibt nicht mehr die Nähe, die vorher war. Und das hat mich sehr traurig gemacht. Wie konnte das passieren, wo wir doch regelmäßig miteinander telefoniert haben und per Messenger kommunizierten?

Der Kommunikationswissenschaftler Jeffrey Hall hat herausgefunden, dass zwei Menschen 40 bis 60 Stunden zusammen brauchen, um eine gute Bekanntschaft aufzubauen; 80 bis 100 Stunden, um Freunde zu werden, und mehr als 200 Stunden müssen sie zusammen sein, um enge Freunde zu werden. Um eine enge Verbindung aufrechtzuerhalten werden, sollte man sich regelmäßig, am besten mehrmals im Monat, im realen Leben sehen und Gefühle und Gedanken austauschen.

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Wenn das nicht möglich ist, vergessen Freunde einander auf der physischen Ebene: Sie erinnern sich nicht so gut an den Geruch, die Mimik oder die Gestik des anderen. Das heißt, der Körper könnte diese Person bei einem Treffen ein Jahr später als Fremden wahrnehmen. Nach zwei Jahren ohne wirklichen Kontakt verlieren die Menschen allmählich die Erinnerung an gemeinsame Witze, Merkmale des gemeinsamen Zeitverbringens usw. Nach drei Jahren muss man einander wieder kennenlernen. Online-Kommunikation hilft, den Kontakt aufrechtzuerhalten, ist aber größtenteils eine Illusion von Nähe.

Nicht nur die Entfernung trennt Menschen, auch unterschiedliche Lebenserfahrungen tragen zur Distanz bei. Ich zum Beispiel lebe das Leben einer Migrantin in Deutschland und spreche jeden Tag eine Fremdsprache. Ich versuche, meinen Platz in einer neuen Kultur und Gesellschaft zu finden. Meine Freundin lebt in einem Land, in dem Krieg herrscht, nachts Explosionen zu hören sind und jeder Tag der letzte sein könnte. Wir haben völlig andere Ziele, andere innere und äußere Konflikte, andere Gesprächsthemen. Unser Kopf schmerzt jeden Tag durch den Ansturm völlig unterschiedlicher Probleme.

Das ist der Preis, den fast jeder Migrant und jede Migrantin zahlt. Daher fällt es vielen sehr schwer, sich für eine Auswanderung zu entscheiden - oder eben auch die Entscheidung treffen zurückzukehren.

Es gibt weltweite Studien, wie groß die Einsamkeit unter eingewanderten Menschen ist. Die höchste und niedrigste Prävalenz von Einsamkeit unter Migranten beträgt 50 Prozent in Deutschland und 10 Prozent in den USA.

Menschen mit Migrationshintergrund gelten aufgrund einer Reihe spezifischer Risikofaktoren, darunter eingeschränkte Sprachkenntnisse im Aufnahmeland, Diskriminierungserfahrungen, ein schwaches Zugehörigkeitsgefühl im Zielland und kulturelle Besonderheiten, häufig als anfälliger für Einsamkeit. Und: Migrant*innen leiden unter Einsamkeit nicht nur und nicht so sehr wegen des Mangels an Menschen in der Nähe, sondern wegen vieler Missverständnisse. Was erklärbar ist, da die Einheimischen und die Zugewanderten unterschiedliche Probleme, Ziele und Prioritäten haben. Dadurch verlieren Menschen wie ich zwangsläufig die Nähe zu Freunden und Verwandten aus dem Herkunftsland und haben zugleich Schwierigkeiten, neue Freunde und Freundinnen zu finden.

Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass langfristige Einsamkeit zu Bluthochdruck, Schlaganfall und Herzerkrankungen führt, das Risiko für Typ-2-Diabetes verdoppelt und das Demenzrisiko um 40 Prozent erhöht. Hinzu kommen Probleme beim Schlafen, Essen und sogar beim Temperaturempfinden: Einsame Menschen frieren schneller als andere. Infolgedessen haben chronisch einsame Menschen tendenziell ein um 83 Prozent höheres Sterberisiko als diejenigen, die sich weniger isoliert fühlen.

All das gilt natürlich nicht nur für Migranten. Es gibt aus verschiedenen Gründen viele einsame Menschen auf der Welt. Und wenn Sie eine Familie, Kinder oder Freunde haben und diese mit Ihnen in derselben Stadt (oder zumindest im selben Land) wohnen: Bitte schätzen Sie das! Denn das kann ich mit Zuversicht aus meinem eigenen Leben bestätigen: Die Möglichkeit, nahe stehende Menschen regelmäßig im wirklichen Leben zu sehen, macht uns gesünder und glücklicher.

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Kolumne

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