Freundschaft am Arbeitsplatz
Meine Kollegin, meine Freundin?
Gute Stimmung am Arbeitsplatz ist etwas Tolles. Aber sollte man sich mit den anderen im Team richtig anfreunden? Unsere Autorin versucht es und hat bei Experten nachgefragt
Wie viel Nähe ist gut im Job?
margie/Photocase
Annette Etges
20.12.2024
6Min

Sind Sie Single und für den Job in eine fremde Stadt gezogen, in der Sie keine Freunde haben? Dann kennen Sie vielleicht dieses nagende Gefühl: die Angst vor dem Wochenende. Mich hat sie monatelang geplagt, als ich für eine neue Stelle umgezogen bin. Ich bin einem Sportverein beigetreten, habe mich auf Dating-Apps und in Nachbarschaftsgruppen angemeldet. Gebracht hat alles nichts - außer ein paar Verabredungen zum Spazierengehen. Aber auch da war kaum jemand mit Freundschaftspotenzial dabei. Ich war viele Wochenenden allein.

Die Leute, die ich wirklich sympathisch fand und bis heute finde, waren meine Kolleg*innen. "Das ist verständlich", sagt Wolfgang Krüger. Er ist Psychotherapeut und berät, forscht und schreibt zum Thema Freundschaften. "Freundschaften unter Kollegen sind vor allem dann beliebt, wenn der Beruf Herzensangelegenheit ist, also mehr als nur Geld verdienen", sagt er. In diesem Fall teilten Kolleg*innen gemeinsame Werte und eine Erfahrungswelt. "Nur ein Schriftsteller weiß, wie es sich anfühlt, vor einem leeren Blatt zu sitzen. Es wird ihm guttun, mit anderen Schriftstellern über dieses Gefühl zu sprechen, weil sie ihn verstehen werden", sagt Wolfgang Krüger.

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Nun bin ich keine Schriftstellerin, aber auch ich habe das Gefühl, dass die Leute im Büro mich oft besser verstehen als die, die ich außerhalb der Arbeit neu kennenlerne. Trotzdem habe ich mich anfangs nicht getraut, Kolleg*innen auf ein Feierabendbier einzuladen. Ich war die Neue, wollte mich nicht aufdrängen, aber vielmehr hatte ich Angst: Was, wenn ich zu viel Privates erzähle und sie mich damit in die Pfanne hauen? Waren diese Sorgen übertrieben?

Grundsätzlich, sagt Freundschaftsexperte Krüger, könnten Berufsfreundschaften etwas Großartiges sein. Sie spenden Kraft, gerade dann, wenn der Beruf unter die Haut geht. Aber es sei ratsam, sich mit den Freundschaften am Arbeitsplatz Zeit zu lassen. Wolfgang Krüger: "Beschnuppern Sie sich zuerst, gönnen Sie sich eine Testphase und hören Sie auf Ihr Bauchgefühl. Ist mir der andere ehrlich sympathisch, wie reagiert er auf meine Fragen, wie finde ich seine Antworten, fühle ich mich verstanden und erzählt mein Gegenüber auch von sich? Haben wir einen ähnlichen Humor?"

Diese Fragen könne man erst nach vielen Treffen beantworten. Der Psychologe rät bei neuen Freundschaften zu einigen Monaten Testphase – bei Kolleg*innen gerne noch länger als bei Freundschaften außerhalb der Arbeit. Sich bis zu einem Jahr zu beschnuppern, sei völlig legitim. In dieser Zeit gilt: Erst mal über harmlose Themen sprechen, den nächsten Urlaub zum Beispiel, über Sport, Kochen oder andere Hobbys. "Sie müssen zuerst Gewissheit haben, bevor Sie Kollegen Intimes anvertrauen", mahnt Krüger. "Wägen Sie hier gut ab!"

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Der Freundschaftsexperte rät mir, im Kopf vorher durchzuspielen, ob die Geschichten, die ich bei einem Feierabendbier erzähle, mir später schaden könnten. Die Grenze der Intimität sollte ich bei den Themen setzen, die Kolleg*innen ausnutzen und gegen mich verwenden könnten, wenn sich beispielsweise beide auf dieselbe interne Stelle, ein neues Projekt oder den Chefposten bewerben.

Um solchen Konflikten vorzubeugen, rät Wolfgang Krüger: "Befreunden Sie sich lieber nicht mit Kollegen, mit denen Sie jeden Tag eng zusammenarbeiten und die in demselben Bereich Erfolge sehen wollen wie Sie. Versuchen Sie, zu enge Überschneidungen zu vermeiden." Freundschaften funktionierten auch im Alltag besser, wenn sie etwas Abstand zulassen, erklärt mir der Freundschaftsexperte. Es tue ihnen gut, wenn jeder seine Freiheiten hat, Stärken und Schwächen unterschiedlich verteilt sind und man sich nicht jeden Tag sieht.

Ich schlucke. Diese Regel befolge ich nicht. Inzwischen bin ich mit einigen Kolleginnen befreundet, eine sitzt im Büro direkt neben mir. Ich sehe sie oft und erzähle ihr viel – zu viel? Wir reden über unsere Eltern und Partner, über unsere Wünsche für die Zukunft und die Pläne fürs Wochenende. Manchmal tuscheln wir im Büro.

Tuscheln? "Auch das kann Ursache von Konflikten sein", warnt Sabine Hommelhoff. Sie forscht an der Universität Erlangen-Nürnberg unter anderem zu Freundschaften am Arbeitsplatz. "Es gibt Studien aus den USA und Großbritannien, die verdeutlichen, dass man die Rolle der Umstehenden immer mitbeachten muss. Kollegen, die nicht zum Freundeskreis gehören, können sich durch so ein Verhalten ausgeschlossen oder unfair behandelt fühlen", sagt Hommelhoff.

Auch für die Freunde selbst kann es zur Belastung werden, wenn private Themen am Arbeitsplatz überhandnehmen. Sabine Hommelhoff: "Nehmen Sie an, dass Sie beruflich grade sehr viel um die Ohren haben, aber eine befreundete Kollegin möchte bei der ausgedehnten Mittagspause lange über familiäre Probleme sprechen. Die Forschung zeigt, dass solche Rollenkonflikte weitere Probleme nach sich ziehen könnten. Die Betroffenen fühlen sich erschöpfter, was wiederum zu sinkender Arbeitsleistung und unhöflichem Verhalten anderen gegenüber führen kann."

Für Wolfgang Krüger gibt es in diesen Fällen, wenn die Freundschaft im Job zur Belastung wird, nur eine Möglichkeit: "Runterfahren! Machen Sie aus der großen Freundschaft eine kleine."

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Die Freundschaft im Büro abflachen lassen, das kann dem Experten zufolge auch dann nötig sein, wenn die befreundete Kollegin oder der Kollege nach einer Beförderung plötzlich über einem steht. "Freundschaft ist eine gleichberechtigte Beziehung, die keine Macht verträgt", sagt Wolfgang Krüger. "Was, wenn die befreundete Chefin den Urlaub nicht genehmigt, nicht auf Gehaltswünsche eingeht oder einem Dinge nicht erzählt, weil sie nicht darüber reden darf?" Das führe zu Vertrauensbrüchen. Auch die Beziehung zu anderen Kolleg*innen könnte unter der Freundschaft zur Führungskraft leiden. "Sie werden Ihnen nicht mehr viel anvertrauen, weil sie immer Angst haben müssen, dass Sie die undichte Stelle sind", mahnt Krüger.

Im Job kann es allerdings noch schwieriger werden als im privaten Bereich, sich von Freund*innen zu trennen, bestätigt Wolfgang Krüger. Schließlich können wir den Kolleg*innen nur schwer aus dem Weg gehen, gerade wenn wir eng zusammenarbeiten.

Auch hier rät der Freundschaftsexperte zu strategischem Vorgehen: "Bedienen Sie weiterhin die Bedürfnisse des befreundeten Kollegen. Bleiben Sie freundlich, gehen Sie weiter Kaffee trinken, aber erzählen Sie nicht mehr alles. Wechseln Sie auf harmlosere Themen und lassen Sie die Zeitspannen zwischen den Café-Dates größer werden." Für Freundschaften im Büro, die man nicht mehr haben will, gilt demnach das Gleiche wie beim Anbandeln mit neuen, potenziellen Freunden: ausreichend Zeit lassen.

Ich möchte die Freundschaft mit meinen Kolleginnen nicht beenden, aber ich würde mir gerne weniger Gedanken machen. Bis heute hinterfrage ich jedes Wort, nachdem wir uns getroffen haben, und habe Sorge, dass etwas nach außen sickert. Das stresst! Freundschaftsforscherin Sabine Hommelhoff beruhigt mich: "Bei einer richtigen Freundin oder einem verschwiegenen und loyalen Kollegen weiß man auch private Informationen gut aufgehoben", sagt sie. Nur wer sich noch nicht sicher ist, ob er die Person schon als Freund oder Freundin bezeichnen und auf sie zählen kann, sollte noch aufpassen, wie viel er erzählt.

Aus eigener Erfahrung weiß ich: Die Kolleg*innen im Büroumfeld zu beobachten, kann helfen herauszufinden, wie vertrauenswürdig sie sind. Und auch Sabine Hommelhoff findet: "Wer erlebt, dass jemand bei der Arbeit schlecht über andere spricht, wird sicher gut daran tun, dieser Person gegenüber nicht zu viel Persönliches preiszugeben."

Bei all der Vorsicht, die geboten ist, sind sich die beiden Freundschaftsexperten einig: Freundschaften im Job sind Grund zur Freude. Denn erfüllende Beziehungen machen uns glücklicher. Trotzdem bringt es nichts, Druck aufzubauen. "Wenn bei der Arbeit keine tiefen Freundschaften entstehen, aber der Umgang allgemein freundlich und respektvoll ist, dann ist schon viel gewonnen", findet Sabine Hommelhoff.

Infobox

Tipps

Hier noch einige Tipps von Sabine Hommelhoff, wie man zu einer guten Stimmung am Arbeitsplatz beitragen kann, ohne sich gleich mit allen anzufreunden:

  • Auch in stressigen Situationen freundlich bleiben. Zeit für ein Dankeschön sollte immer drin sein.
  • Die Dinge mit Humor nehmen. Das bedeutet nicht, immer zwanghaft gut gelaunt zu sein. Aber wer eine positive Art und Grundeinstellung hat, steckt auch andere damit an.
  • Überarbeitung vermeiden. Wer total erschöpft ist, wird andere nicht unterstützen können und ist gereizter. So werden Konflikte wahrscheinlicher.
  • Einen Vertrauensvorschuss geben. Damit ist die innere Grundhaltung gemeint, dass die anderen bei der Arbeit ihre Sache schon gut machen werden und es gut mit einem meinen.
  • Schon im Bewerbungsprozess die Erwartungen abfragen. Wer Berufliches und Privates strikt trennen möchte, sollte dafür sorgen, nicht in Abteilungen zu geraten, in denen Arbeit und Privates häufig vermischt werden, beispielsweise weil regelmäßige Teamabende Pflicht sind.
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