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Laut Statistik entscheiden sich immer mehr Ukrainer*innen für eine duale Ausbildung
Adrian/Pixabay
Arbeiten in Deutschland
Wir sind am liebsten selbständig
Immer mehr Geflüchtete aus der Ukraine verdienen ihren Lebensunterhalt in Deutschland. Trotz Sprachproblemen und bürokratischen Hindernissen. Eine Ermutigung
privat
27.11.2024
4Min

Für uns Ukrainer stellte sich die Integration in den deutschen Arbeitsmarkt als eine schwierige Aufgabe heraus. Erstens hatten die meisten von uns nicht vor, umzuziehen, und waren daher nicht darauf vorbereitet, im Ausland zu arbeiten. Zweitens ist die Tatsache, dass die Mehrheit der Ukrainer*innen die deutsche Sprache nicht beherrscht, eines der Hauptprobleme.

Nach Angaben des Ausländerzentralregisters (AZR) gibt es in Deutschland derzeit 1 215 048 Geflüchtete aus der Ukraine. Und davon sind gut 768 000 Menschen im erwerbsfähigen Alter, also zwischen 15 und 65 Jahren, fast zwei Drittel davon sind Frauen.

Lesetipp: Warum so viele Fachkräfte wieder in die Ukraine zurückkehren

Am 22. November hat der Bundestag beschlossen, die §24-Aufenthaltserlaubnis für Ukrainer*innen in Deutschland um ein weiteres Jahr (also bis zum 31. März 2026) zu verlängern. Für viele der Geflüchteten ist das dann das vierte Aufenthaltsjahr in Deutschland. Für diejenigen, die gleich zu Beginn des großen Krieges angekommen sind, reicht diese Zeit völlig aus, um sich mehr oder weniger auf Deutsch zu verständigen. Aber reicht das auch aus für eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt?

Für manche Berufe sind Sprachkenntnisse die wichtigste Voraussetzung. Natürlich im Journalismus, aber auch im Marketing, in sozialen Netzwerken, im juristischen Bereich, bei Lehrern und Dozenten usw. Ich selbst beispielsweise verfüge über 18 Jahre Erfahrung als Journalistin in meiner Muttersprache, und lerne nun seit insgesamt seit 8 Jahren Deutsch (ich habe von 2014 bis 2019 in Deutschland gelebt und bin 2022 zurückgekehrt). Aber trotzdem kann ich nicht mit deutschen Medienspezialisten mithalten. Aufgrund der Sprachbarriere waren viele Ukrainer*innen gezwungen, die Richtung ihrer beruflichen Tätigkeit radikal zu ändern und buchstäblich bei Null anzufangen.

Lesetipp: Wie kann ich nach zwei Jahren Krieg noch optimistisch bleiben

Duales Studium

Laut Statistik entscheiden sich immer mehr Ukrainer*innen für eine duale Ausbildung. So begannen im Jahr 2023 1.900 ukrainische Frauen und Männer eine Berufsausbildung in Deutschland im dualen System. Das sind 1000 mehr als im Jahr 2022.

TOP 10 der von Ukrainern gewählten Berufe – vor allem in den Bereichen Medizin, IT, Automobil, Gastronomie und Hotellerie, Finanzen:

▪️Zahnmedizinische/-r Fachangestellte/-r

▪️Fachinformatiker/-in

▪️Kraftfahrzeugmechatroniker/-in

▪️Koch/Köchin

▪️Steuerfachangestellte/-r

▪️Hotelfachmann/-fachfrau

▪️Kaufmann/Kauffrau für Büromanagement

▪️Elektroniker/-in

▪️Medizinische/-r Fachangestellte/-r

▪️Anlagenmechaniker/-in für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik.

Beliebt sind auch Bereiche wie Erzieherin und Friseurin. Für Ukrainer und Ukrainerinnen ist dies nicht nur eine Chance, einen neuen Beruf zu erlernen, sondern auch gleich im Rahmen praktischer Tätigkeiten die deutsche Sprache zu verbessern.

(Daten des Bundesinstituts für Berufsbildung)

Selbständigkeit

Die Deutsche Welle hat kürzlich Daten des Statistischen Amtes Berlin veröffentlicht. Von Januar 2022 bis Juli 2024 haben Ukrainer*innen allein in der deutschen Hauptstadt 1907 Unternehmen registriert. Allerdings ist nicht bekannt, wie viele von ihnen als Flüchtlinge nach §24 nach Deutschland kamen. Aus den Angaben des Amtes geht jedoch hervor, dass im Zeitraum von 2019 bis 2021, also vor dem großen Krieg, die Ukrainer*innen in Berlin viermal weniger Unternehmen registrierten. Wichtig ist auch, dass 2020 und das erste Halbjahr 2021 in Deutschland die Jahre der Pandemie und des Lockdowns waren.

Der Wunsch der Ukrainer, sich unternehmerisch zu betätigen, ist für mich persönlich vollkommen verständlich. Wir haben zu Hause nie nennenswerte finanzielle Unterstützung vom Staat erhalten und die Gehälter in öffentlichen Positionen sind sehr niedrig. Daher sind wir es gewohnt, unabhängig vom Staat zu sein und sich nur auf uns selbst zu verlassen.

Welche Geschäfte eröffnen Ukrainer*innen in Deutschland? Dabei handelt es sich häufig um Restaurants, Schönheitssalons, Kunstgalerien, Soziale Medien- und IT-Dienste, Fotostudios, Fotodienste usw. Das heißt, in den meisten Fällen sind dies die Bereiche, die kreatives Handeln und Flexibilität erfordern. 80 Prozent der Ukrainer*innen, die in Deutschland ihr Unternehmen gründen, waren auch in der Ukraine selbstständig.

Ja, ein Unternehmen zu besitzen ist eine ständige Herausforderung, erfordert Kreativität und den Kampf um Kunden. Der Gewinn in diesem Bereich hängt ausschließlich von der Person selbst und ihrem unternehmerischen Talent ab. Aber das macht den Ukrainern keine Angst. Im Gegenteil: Für sie ist es eine Art Komfortzone und eine Möglichkeit, sich auszudrücken. Denn in einem deutschsprachigen Büro können die meisten Ukrainer*innen aufgrund fehlender Sprachkenntnisse noch nicht als Profis in ihrem Fachgebiet mithalten.

Die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Menschen ist immer noch gering, aber sie steigt kontinuierlich, wie ich auf den Seiten des Mediendienst Integration nachlesen konnte: 265.800 waren es im Juli 2024, und das heißt, eine Beschäftigungsquote von 29,4 Prozent, hinzu kommen die Minijobs. Damit hat sich der Anteil der Ukrainer und Ukrainerinnen, die auf Lohnbasis arbeiten, in den Jahren seit Beginn des großen Krieges fast verdoppelt. Ich finde: Das ist eine gute Nachricht.

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Kolumne

Tamriko Sholi

Wer bin ich, wenn ich keine Heimatgefühle mehr habe? Was machen Krieg und Flüchtingsdasein mit mir? Darüber schreibt die ukrainisch-georgische Schriftstellerin Tamriko Sholi in Transitraum