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Nargis Vodud:
"In Kyjiw hatte ich alles: ein neues Haus im Grünen, Freunde, Arbeit, interessante Studien, Hunde, fast tägliche Spaziergänge von 12 000 Schritten durch die Straßen oder Parks und eine Leidenschaft für die Fotografie verschiedener Alltagsmomente. Ich war wirklich glücklich. Täglich.
Mit Beginn des großen Krieges beschloss ich, nirgendwohin zu gehen und bis zum Ende zu Hause zu bleiben - selbst wenn unser Haus zerstört worden wäre. Doch am zehnten Kriegstag, als wir bereits seit vier Tagen ohne Strom, Wasser, Kommunikation waren und die Explosionen immer näher rückten, hatte ich das Gefühl, dass ich die Sicherheit meiner Tochter nicht garantieren konnte. Ich würde es mir später nie verzeihen, wenn ich die Gelegenheit wegzufahren, jetzt nicht genutzt hätte. Die Entscheidung fiel spontan und emotional.
Alle um uns herum sagten: Geh jetzt, sonst ist es zu spät.
Es war mir wichtig, jemanden im Ausland zu haben, der mir nahesteht, und ich hatte bereits eine enge Freundin in Deutschland. Also reisten wir mit meiner Tochter zu ihrem Wohnort. Gemeinsam mit uns wurden dort andere Familien aus der Ukraine aufgenommen. Ich beschloss, schon dort, an einem sicheren und ruhigen Ort darüber nachzudenken, was als nächstes zu tun ist.
Schwierige Bürokratie
Ehrlich gesagt gefiel mir hier in den ersten Monaten fast nichts. Die Bürokratie war unglaublich kompliziert. Ich konnte nicht verstehen, warum was wie angeordnet wurde und was ich tun sollte. Es ist schwierig, wenn man kein Deutsch kann, und trotzdem ständig Briefe schreiben und dann warten muss, bis das Problem gelöst ist.
Es heißt: Eine sehr lange Zeit in Dunkelheit zu warten. Und das Gefühl der Schwebe wurde immer bedrückender.
Es war auch sehr schwierig, eine Wohnung zu finden. Ich suchte gleichzeitig in mehreren Städten. Am Ende haben mir Freunde geholfen, mit denen wir damals zusammenlebten. Ich war hilflos und fühlte mich wie ein Kind, das noch einmal laufen und sprechen lernen musste.
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Aber natürlich gab es auch schöne Momente. Ich lenkte mich mit kleinen Ausflügen in umliegende Städte ab und versuchte, meine Fähigkeit, Schönheit zu sehen, nicht zu verlieren. Ich bin viel gelaufen und habe Fotos gemacht. Es war meine ganz persönliche Form der Meditation. Deutschland erwies sich als unglaublich vielfältiges, schönes und erstaunliches Land. Zuvor war ich schon mehrere Male in diesem Land, aber so viel Schönheit hatte ich noch nicht gesehen. Hier gibt es alles: von kleinen Märchenstädten bis hin zu modernen Metropolen.
Ich habe versucht herauszufinden, was ich in Deutschland lernen und als Erfahrung in die Ukraine einbringen kann. Ich dachte über verschiedene Projektideen nach, um die Aufmerksamkeit der Deutschen auf die Bedeutung der Unterstützung der Ukraine zu lenken, fand aber keine Kraft, diese umzusetzen.
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Plötzlich hatte ich das starke Gefühl, dass ich nur in meinem Heimatland am nützlichsten für mein Land sein könnte. Ich hatte eine wahnsinnige Angst, dass ich nach Kyjiw zurückkehren würde und meine Erfahrungen sich zu sehr von denen unterscheiden würden, die dort den Krieg erlebten. Ich hatte Angst, dass ich das Zusammengehörigkeitsgefühl mit meinen Landsleuten verlieren würde.
Ich bin von Beruf Psychologin und hatte vor dem Krieg viele Kunden und eine berufliche Ausbildung, die sich nicht mit einem sechsstündigen Deutschkurs pro Tag vereinbaren lässt. Daher sah ich für mich keine Möglichkeit, mich vollständig in Deutschland zu integrieren, ohne meine berufliche Tätigkeit für eine Weile aufzugeben. Schließlich kann man nur etwas Sinnvolles tun, wenn man sich unterstützt und inspiriert fühlt.
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Es wurde für mich entscheidend zu verstehen, dass der Krieg nicht bald enden wird und ich eine Entscheidung treffen musste. Ich musste Verantwortung übernehmen und eine Strategie für die kommenden Jahre wählen.
Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder in Deutschland bleiben, aktiv die Sprache lernen, den Beruf erneut wechseln, den Bildungsweg meiner Tochter nach europäischen Standards und einem Programm verfolgen, das sich deutlich von unserem unterscheidet. Oder – zurückkehren und mein Leben in der Ukraine weiter aufbauen, im Bewusstsein aller Risiken.
Nach einem Jahr in Deutschland kehrten wir in die Ukraine zurück. Ich werde den Menschen, die mir selbstlos geholfen haben und Teil meines Lebens geworden sind, für immer dankbar sein. Ihre Menschlichkeit, Unterstützung und Fürsorge haben mir geholfen, die richtige Entscheidung zu treffen. Auch für die finanzielle Unterstützung des Landes bin ich unendlich dankbar. Ohne sie hätten wir all diese Monate nicht überlebt.
Man kann viel von den Deutschen lernen. Zum Beispiel, Vorsicht gegenüber den Grenzen anderer Menschen zu haben; es gibt ein hohes Maß an Erziehung und Zurückhaltung, eine große Toleranz gegenüber jeder Andersartigkeit. Diese "Lebens-Erfahrungen" in Deutschland waren für mich von unschätzbarem Wert. Denn die inneren Veränderungen, die stattgefunden haben (wie die Akzeptanz meiner Verletzlichkeit, meiner Verwirrung und die Erkenntnis, dass es eben unbedingt notwendig war, Hilfe anzunehmen), wären ohne diese Erfahrung nicht möglich gewesen.