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Bitte die Schuhe ausziehen, und zwar nicht vor der Haustür der Wohnung im Treppenhaus, das kenne ich mittlerweile von vielen im Freundeskreis, sondern gleich unten, am Haupteingang des Hauses, in der Schuh- und Garderoben"schleuse", wie sie hier sagen: Ein großer Raum mit Holzbänken, Kleiderhaken und Fächern, ganz so, wie ich ihn noch von meinen Kindern aus der Kita kannte. Aber dies hier ist keine Kita, sondern ein Wohnhaus - für 70 Menschen in 22 Wohnungen: Familien, Singles, Alte und Junge, gut und weniger gut Verdienende, Studiernde, Rentner, Hausfrauen, alles dabei. Und alle ziehen die Schuhe aus. Der Holzfußboden im Haus war teuer und muss geschont werden. Socken tun ihm nichts.
Ich bin in Freiburg-Gundelfingen, zu Besuch bei der Allmende. Endlich.
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Einige der hier lebenden Menschen kenne ich schon seit einigen Jahren. 2021 hatte ich einen Brief von Brigitte erhalten - sie erzählte von ihrem Wohntraum: ein Haus für viele Generationen, bezahlbar und sozial. Ich blieb dran am Projekt und lud Jennyfer Wolf, dreifache Mutter, Beraterin und Powerfrau, zu unserem Webinar über bezahlbares Wohnen ein.
Im Dezember 2024 zog die Gruppe ein, und Jennyfer lud mich mehrfach ein, mir alles anzusehen.
Schon von weitem ist der vierstöckige große Bau am Waldrand zu sehen und hebt sich ab von der Umgebung durch Fahnen an den Balkonen, Infokästen und eine große Terrasse am Eingang, Fahrräder, Dreiräder, ein Fußball in der Ecke. Drumherum Bungalows, Vorgärten, akkurat geschnittene Hecken. Gundelfingen liegt am nördlichen Rand von Freiburg, gut 12 000 Menschen leben hier. Der Ortskern ist lebendig, die Verkehrsanbindung gut.
Die Gruppe ist Besuch gewohnt. Mal kommen Journalistinnen wie ich, dann Architekten, Stadtplanerinnen oder gleich die ganze Nachbarschaft. Beim letzten Tag der offenen Tür wollten fast 600 Menschen aus Freiburg und Umgebung Haus und Gelände besichtigen.
Mich empfängt an diesem Tag Rolf, Jahrgang 1959, Sozialpädagoge und schon länger bei der Allmende dabei. Wir steigen in den zweiten Stock. Die breiten Treppenhäuser wirken großzügig, überall sind große Fenster, Balkone und Gemeinschaftsflächen. Viel Holz, viel Licht. Auf dem Dach gibt es eine Solaranlage, in der Erde eine Wärmepumpe. Die Gruppe hat viel über eine maximal ökologische Wärme- und Frischluftversorgung nachgedacht.
Auf dem Weg nach oben kommen wir an den Gästeapartments vorbei. Hier hätte ich bei mehr Zeit schlafen können. Rolf erzählt vom Waschraum mit acht Waschmaschinen, von den gemeinsam genutzten vier hauseigenen Autos. Und natürlich möchte ich auch das Etagenbadezimmer mit Wanne sehen, von dem mir Jennyfer schon früher erzählt hatte.
Wie pragmatisch und sinnvoll das "Sharing"-Konzept doch immer wieder ist. Hier sorgen Paten für Sauberkeit und Ordnung in den Räumen, und tatsächlich ist im Bad alles picobello.
Rolf lebt mit seiner Frau Christa in einer von zwei Clusterwohnungen. Cluster heißt: Mehrere Parteien teilen sich Küche und Gemeinschaftsraum und bewohnen dazu noch einen Privatteil. Bei Rolf, Christa und Hündin Mabel sind das zwei Zimmer mit kleinem Duschbad auf 43 qm. WG 2.0., finde ich. Gemeinschaft ja bitte, aber doch auch mehr Privatsphäre als in den klassischen WG-Wohnungen, in denen ich früher gelebt habe und von denen es in der Allmende auch zwei gibt.
Wir setzen uns an den Gemeinschafts-Esstisch in der offenen Küche. Gerade trinkt Bridget (eigentlich heißt sie auch Brigitte, aber es gibt noch zwei andere Mitbewohnerinnen gleichen Namens) einen Tee. Die Lehrerin wohnt hier mit Rolf und Christa im Cluster: 23 qm ist ihr Zimmer mit Duschbad groß.
Wie sich die Allmende als Teil des Mietshäuser Syndikats mit GmbH und Verein organisiert und finanziert, habe ich schon mal beschrieben. Viele Wohnungen sind gefördert und gezielt für Menschen mit geringem Einkommen geplant. Für alle anderen gilt ein solidarisches Mieten-Modell: Wer mehr verdient, zahlt freiwillig mehr als andere; 30 Prozent des Nettoeinkommens gelten als Richtwert. Doch was jeder dann wirklich bezahlt, wissen nur die Mitglieder der Finanz-AG. Wichtig ist, dass am Ende des Monats alle Kosten, von Kreditrückzahlung an die Bank bis zur Stromrechnung, bezahlt werden können. Bis jetzt klappt es.
Allerdings ist die Gruppe am Diskutieren darüber, wie offen und transparent das Modell sein soll. Wäre es vielleicht doch besser, alle wüsste von allen, was sie wirklich zahlen? Rolf berichtet von intensiven Diskussionen in der AG.
Die über 15 AGs sind das Herz der Gemeinschaft: Von Finanzen über Landwirtschaft, Küche, Bau (vieles ist noch nicht fertig) oder neue Mieter - für alle Bereiche gibt es Freiwillige, die in den AGs Vorarbeit leisten. Rolf ist auch aktiv in der AG "IKS": interne Kommunikation und Soziales. Hier reden sie intensiv darüber, wie Entscheidungen in der Gruppe gefällt werden sollen und holen sich Rat in Eva Stützels Buch "Der Gemeinschaftskompass". Genau darüber hatte ich Eva schon mal in der Wohnlage interviewt. Und was Eva mir damals berichtete, bestätigt sich für die Allmende: Wenn die Gruppe nach vielen Jahren des Baus eingezogen ist, muss die Kommunikation noch mal neu aufgestellt werden. Denn jetzt geht es richtig los.
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Als mich Brigitte und Rolf nach unten begleiten, klopfen wir schnell noch an die Tür einer Nachbarsfamilie: Tochter Frieda ist gerade 18 geworden, voll stimmberechtigtes Mitglied der Gemeinschaft, kann jedoch nicht ohne intensive Betreuung leben und nur mit Mühe laufen. Sie freut sich, wenn sie auf Fotos dabei ist. Ein Freund der Familie, der gerade da ist, hebt sie über die Schulter und trägt sie die Treppe runter. Gelebte Empathie.
Das alles zusammen ist nicht nur lustig und fröhlich, es ist auch anstrengend und zeitintensiv. Mehrmals die Woche ist Rolf in einer der AGs aktiv. Hinzu kommen verpflichtende Plenumssitzungen, in der Regel montags.
Wird ihm das manchmal zu viel? Noch nicht, antwortet er, der schon viel Erfahrung mit Gruppenprozessen gemacht hat. Doch er weiß auch: "Wenn wir erst mal wissen, welche Pfade wir beschreiten wollen, dann wird es leichter."
Sicher ist: In den nächsten Jahren wird sich noch vieles ändern in der Allmende. Bestimmt werden sie abspecken müssen. Es wird Krisen geben und vielleicht auch mal ganz große Probleme. Doch mein Eindruck nach diesem Tag ist: Sie können es schaffen, denn sie sind lernfähig.
Ich drücke ihnen den Daumen, dass es so bleibt und hoffe: Ich komme wieder!