Buchtipps
Nutzt eure Talente!
Wir können etwas tun und uns einbringen. Der Philosoph Rutger Bregman befeuert unsere "moralischen Ambitionen". Der Soziologe Rainald Manthe gibt Tipps, wie wir ins Gespräch kommen - und sei es im Baumarkt
Cover von 'Demokratie fehlt Begegnung'
Bewegliche Stühle lassen sich leicht zusammenstellen, wenn man miteinander ins Gespräch kommen will
PR
Tim Wegner
12.02.2025
3Min

Rutger Bregman: Moralische Ambition. Rowohlt Verlag. 336 Seiten, 26 Euro

Triggerwarnung. Dieses Buch ist eine zwar süffige, aber keineswegs gemütliche Lektüre, sondern eine Kampfschrift. Eine Kampfschrift gegen den inneren Schweinehund. Jeder Mensch, so der holländische und in den USA lebende Philosoph Rutger Bregman, hat Talente. Und jeder und jede kann diese Talente einbringen: für die schlechte oder eben auch für eine gute Sache.

Lesetipp: Er verhinderte einen Atomkrieg: Stanislaw Petrow

Bregman beschreibt in "Moralische Ambitionen" den Lebensweg von Menschen, die sich engagieren für den Fortschritt der Menschheit, den Schutz der Natur und unseres Planeten. Darunter sind bekannte Namen wie Ralph Nader, der in den USA ein Netzwerk von Anwälten grün­dete, die für Verbraucherrechte kämpften. Doch wer kennt Andy Weber oder Jassi Pannu?

Weber war ein junger, hochbegabter Diplomat in den 1990er Jahren. Anstatt eine "langweilige" Karriereleiter hochzuklettern, ließ er sich nach Kasachstan versetzen und verhinderte, dass dort eine gewaltige Fabrik mit 600 Kilogramm angereichertem Uran weiter ausgebaut wurde. Und das war nur der Anfang eines außergewöhnlichen Diplomatenlebens.

Die Kanadierin und Stanford-University-Absolventin Jassi Pannu trat "Ärzte ohne Grenzen" bei und widmete sich in ihrem Berufsleben ganz dem Kampf gegen neue Pandemien - mit großen Erfolgen, wie Bregman erzählt.

Und in Deutschland? Bregman beschreibt den Werdegang des Solarpioniers, und Grünen-Politikers Hans-Josef Fell. Auch er ist ein Visionär und seiner Zeit weit voraus. Er gilt heute als "Vater" des EEG, des Erneuerbare-Energien-Gesetzes.

"Zweifle nie daran", zitiert Bregman die amerikanische Ethnologin Margaret Mead, "dass eine kleine Gruppe rechtschaffen denkender, engagierte Bürger die Welt verändern kann. Es ist schließlich nie anders gewesen." Ganz besonders wichtig ist Bregman auch: dabei nicht verbissen werden. Auch Lebensfreude und Lebenslust gehören für ihn zum Engagment dazu - besonders dann, wenn man sich für andere Menschen einsetzt.

In den USA hat Bregman eine Stiftung gegründet; auf seiner Webseite erklärt er, wie man mit einer Gruppe von acht Menschen einen "Moral Ambition Circle" gründen kann. Denn zurzeit verschwenden Millionen von Menschen ihr Talent. Bänker, die sich nur dafür einsetzen, dass Reiche noch reicher werden; begabte Chirurginnen, die Botox gegen Falten spritzen, statt Menschenleben zu retten. Tut Euch als Kerngruppe zusammen, fordert Bregman jeden und jede von uns ganz im Sinne von Margaret Mead auf. Seid mitmenschlich, freundlich, lebensfroh und mitfühlend für die Natur, auch für Tiere. Überlegt euch, den Job zu wechseln, wenn ihr woanders mehr bewirken könnt. Lebt und handelt so, dass spätere Generationen stolz auf euch sein können, seid schlicht und einfach: "gute Vorfahren".

Im Baumarkt?

Rainald Manthe: Demokratie fehlt Begegnung. Über Alltagsorte des sozialen Zusammenhalts. Transcript. 154 Seiten, 24 Euro

Was haben Stühle im Park mit ­Demokratie zu tun? Mehr, als wir denken, sagt der Soziologe ­Rainald Manthe. Stühle können verrückt werden, zum Beispiel, um sich besser zu unterhalten. Denn Bänke stehen oft starr in Reihen nebeneinander und lassen sich nicht so gut verrücken.

Manthe hat in St. Petersburg, Chicago und Paris gelebt und forscht seit Jahren zu Fragen der Zivilgesellschaft und Soziale Bewegungen. Wir müssen reden, lautet seine Hauptforderung, gerade in Zeiten, in denen die Gräben zwischen den unterschiedlichen politischen Lagern tiefer werden. Denn eine lebendige Demokratie funktioniert, im Gegensatz zur Autokratie und Monarchie, eben nur, wenn alle "freiwillig Kompromisse" eingehen und nicht nur ihre eigenen Interessen durchsetzen. Doch dafür müssen wir wissen, was andere denken und ihn oder sie als legitimes Mitglied dieser Gesellschaft akzeptieren - solange all dies im Rahmen des Grundgesetzes und unserer demokratischen Werte geschieht.

Doch wo gibt es noch Orte, an denen wir diese "Anderen" treffen können? Schwimmbäder schließen, Kneipen und Vereine verschwinden – aber im Baumarkt ist es rappelvoll. Warum also nicht mal gemeinsam in einem Workshop eine Holzterrasse zusammenbauen? ­

Manthe wirbt mit ähnlich praktischen Beispielen für kleine Inseln der Begegnung als "Infrastruktur von Demokratien" und gibt am Ende seines kleinen Bandes zehn Empfehlungen, was man tun kann, praxisnah und gut umsetzbar.

Sie denken, Sie können angesichts weltweiter Krisen nichts tun? Falsch. Jeder und jede von uns kann Dinge in eine gute Richtung in Bewegung bringen. Und man muss nicht immer gleich die ganze Welt retten. Also runter vom Sofa. Nutze Dein Talent.

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