Wohnglueck- Blog Plätze
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Plätze, Stühle und Demokratie
Gegenüber statt nebeneinander
Wenn es um das Zusammenleben geht, dann braucht es auch die Plätze dafür, um sich zu treffen. Manchmal reichen schon ein paar Stühle.
26.04.2021

Ein schönes Bild oben - Paris, Jardin du Luxembourg, irgendwann vor vielen, vielen Jahren. Was mich schon damals immer wieder in den Gärten und Parks der französischen Haupstadt fasziniert hat, war die Interaktion der Menschen, die sich hier trafen. Überall Gruppen, die redeten, diskutierten, sich miteinander auseinander setzten.

Anders als in deutschen Parks standen damals wie heute dort häufig Stühle statt Bänke. Die konnte man einfach zu einer kleinen Gruppe arrangieren, und schon ging es los mit dem großen Palaver.

Daran musste ich denken, als ich ein interessantes Feature im Deutschlandfunk über den Wert von direkter Begegnung hörte. Im Interview sagte der befragte Soziologe und Politikwissenschaftler Rainald Manthe: "Ich glaube, Demokratie braucht tatsächlich ein Stück weit Unbeschwertheit in der Begegnung mit Unbekannten, denn wenn wir Menschen begegnen, die wir kennen, dann stellt sich dieses Gefühl sehr schnell ein, aber in einer Demokratie leben wir eben mit sehr viel Menschen zusammen, die wir nicht kennen, mit denen wir aber trotzdem uns irgendwie einigen müssen.

Fühlen, hören, riechen - gehört alles zur Kommunikation dazu

Manthe erforscht seit Jahren, warum und wann sich soziale Bewegungen bilden und einzelne Menschen für die Allgemeinheit aktiv werden ob nun in der Politik, den Sportverein, die freiwillige Feuerwehr oder die Reaktivierung eine Dorfladens. Er war in den letzten Jahren auf vielen internationalen Kongressen, auf dem Weltsozialforum in Tunis und in Montreal, auch an einer Attac‑Sommeruni, natürlich alles vor Corona. Sein neuestes Buch, über das er dann im Interview sprach, heißt: "Warum treffen sich soziale Bewegungen" und seine Erkenntnis ist klar: So großartig die Digitalisierung in vielen Bereichen ist, so sehr braucht es für den direkten Austausch, für das Vertrauen in den jeweils anderen, auch immer wieder das direkte Gespräch: „Wenn wir einander in die Augen schauen, so würde der Volksmund sagen, ist es einfacher, dem anderen zu vertrauen, weil wir sehen: Aha, der schaut mir auch direkt in die Augen und ich kann ihm trauen oder auch nicht trauen.“

Wenn ich, wie in diesem Blog, über neue Wohnformen, Nachbarschaften und vor allem eben die Eigeninitiative schreibe, dann kann all das nur funktionieren, wenn wir uns treffen und miteinander reden. Mir ist das nach dem Interview mit Manthe noch mal viel klarer und deutlicher geworden, denn eigentlich bin ich eine große Freundin all der schicken kleinen und großen Digitalformen. Aber das reicht nicht.

Stühle statt Bänke

Zurück zum Bild oben: Als ich mir das Bild aus dem Park in Paris ansah und mich an dieser wunderbar alten, grünen Metallstühle erinnerte, die man so einfach zu einer Runde zusammenstellte, da fiel mir ein, dass ich ebenfalls vor vielen Jahren mal an einem Workshop teilgenommen habe, bei dem es unter anderem darum ging, wie eine Fußgängerzone in dem betreffenden Stadtviertel umgebaut werden könne. In dem Workshop saßen viele Menschen mit Migrationsgeschichte und sie erzählten aus ihren Heimaten, dass da Straßen- und Parkbänke, anders als hier in Deutschland, oft einander gegenüber stellend geplant und gebaut würden. Die Idee kam an, die Bänke im Stadtviertel wurden einfach versetzt und bilden jetzt kleine Gruppen. Zurzeit sitzt da niemand, aber das wird sich wieder ändern.

Ich freu  mich schon wieder auf die Nach-Pandemiezeit. Und da es ja immer noch etwas besser geht, werde ich für den nächsten Workshop einen weiteren Vorschlag einreichen: Stühle statt Bänke. Vive la France.                    

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Kolumne

Dorothea Heintze

Wohnen wollen wir alle. Bitte bezahlbar. Mit Familie, allein oder in größerer Gemeinschaft. Doch wo gibt es gute Beispiele, herausragende Architekturen, eine zukunftsorientierte Planung? Was muss sich baupolitisch ändern? Wohnlage-Autorin Dorothea Heintze lebt in einer Baugemeinschaft in Hamburg und weiß: Das eigene Wohnglück zu finden, ist gar nicht so einfach. Alle zwei Wochen.