Setzt nicht nur aufs Auto, fährt aber gern elektrisch: Wolf Warncke
Wolf Warncke
Verkehrswende
Herr Warncke und die Sinnfrage
Was läuft schief in der deutschen Autoindustrie? Der Inhaber eines Autohauses im niedersächsischen Tarmstedt erklärt die Probleme mit einem Bibelvers – und verkauft nicht mehr nur Autos, sondern auch Bahntickets und Fahrräder
Tim Wegner
20.01.2025
6Min

Es gibt sie noch, die guten Nachrichten: 2024 wurden in Deutschland weniger Treibhausgase ausgestoßen – 18 Millionen Tonnen in CO₂-Äquivalenten, um genau zu sein. Ein kleiner Fortschritt, der zeigt, dass Veränderungen möglich sind. Doch der Verkehrssektor bleibt ein Sorgenkind – das zeigen die seit Jahren verfehlten Klimaziele.

Anderswo geht es schneller voran, wie ein Blick nach Dänemark zeigt: Dort machen reine Elektroautos bereits mehr als die Hälfte aller Neuzulassungen aus. In Deutschland liegt dieser Anteil bei mageren 13,5 Prozent. Doch es gibt Ausnahmen – etwa das Autohaus Warncke in Tarmstedt, einem Dorf zwischen Bremen und Hamburg. Hier liegt die Elektroauto-Quote bei überdurchschnittlichen 20 bis 25 Prozent.

Wie kann das sein? Wolf Warncke, Jahrgang 1963, betreibt das Autohaus gemeinsam mit seinem Bruder. Beide waren ihrer Zeit oft voraus – und wurden belächelt. Als der erste Elektro-Golf auf den Markt kam, ließ Warncke eine Ladesäule aufstellen. Kostenpunkt: 50.000 Euro. "Das ist die teuerste Steckdose in Tarmstedt", witzelte der Bürgermeister damals.

Heute sind sie damit längst keine Kuriosität mehr und verkaufen neben Autos auch Bahntickets und E-Bikes. Warncke sagt: "Menschen mobil zu machen, geht nicht nur mit dem Auto." Eine Mobilitätswende – also ein Umdenken, das über den Antriebswechsel vom Verbrenner zum Elektromotor hinausgeht – sei unumgänglich.

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Die Geschichte des Familienbetriebs spiegelt diesen Wandel: 1932 gegründet, verkauften Warnckes Großvater und Großonkel zunächst Fahrräder und Nähmaschinen. Später setzte der Vater auf Autos – ein Erfolgsmodell in der Zeit des Wirtschaftswunders. "Heute haben wir wieder Fahrräder im Verkauf. Es ist spannend, zu den Wurzeln zurückzukehren", sagt Wolf Warncke.

Warncke hat in Gesprächen mit Kunden oft erlebt, wie tief die Fixierung auf das Auto in der deutschen Gesellschaft verankert ist. "Ich erinnere einen Rentner, der mir erzählte, dass er aus Langeweile mit seinem hochmotorisierten Bora quer durch Deutschland fuhr. Er sagte: ‚Wenn ich nicht mehr Auto fahren dürfte, würde ich nicht mehr leben wollen.‘ Solche Gespräche haben mich nachdenklich gemacht."

Menschen, die sich für Umwelt, Klima und die Mobilitätswende einsetzen, vermutet man dem Klischee nach unter jungen Menschen, an Schulen, Hochschulen, in städtischen Milieus – aber in einem Autohaus auf dem Land? Das Thema zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben von Wolf Warncke. Als er ein Kind war, erschien der erste Bericht des Club of Rome, "Die Grenzen des Wachstums". Dann war da die Ölpreiskrise 1973, mit den Sonntagsfahrverboten. Warncke sah leere Autobahnen. Zweifel kamen auf, auch bei den Eltern: Würde es auf alle Zeiten Kraftstoffe für Verbrenner geben? "Als meine Eltern 1976 ein Haus bauten, war meinem Vater wichtig, dass das Dach Richtung Süden ausgerichtet ist und eine Neigung von 45 Grad hat. Unter dem Eindruck der Ölkrise kam ihm der Gedanke, es könne einst Zeiten geben, in denen wir uns mit der Sonnenkraft selbst versorgen müssten, um unabhängig von Öllieferungen zu sein."

Auch in der Kirche war Wolf Warncke aktiv, besonders in der evangelischen Jugendarbeit. Ein großes Thema damals: die Bewahrung der Schöpfung. 1988, da war er Student und schon 25 Jahre alt, schrieb er dem damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Mit dem Naturverbrauch könne es so nicht weitergehen. Es kam eine freundliche Standardantwort: Danke für Ihre Gedanken, ja, man werde und müsse sich bemühen.

Wolf Warncke reichte das nicht, seine Zweifel blieben, aber nicht als Last, sondern als Ansporn. Autos verkaufen? Würde das zu ihm passen? Die Eltern wünschten sich, dass die Brüder ihr Lebenswerk fortsetzen würden. Und so kam es. Auch Wolf Warncke stieg in den Betrieb ein – aber er bliebt sich treu. Während andere Menschen die Überzeugungen ihrer Jugend aus dem Blick verlieren, vielleicht auch verdrängen, blieb er dran, hinterfragte und war sofort Feuer und Flamme, wenn sich auf dem Markt etwas tat. Das Drei-Liter-Auto zum Beispiel feierte er.

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Dann sagt Wolf Warncke im Gespräch einen Satz, der erst einmal irritiert: "Mir geht es nicht um Gewinnmaximierung." Wie bitte? Aber er trägt doch auch Verantwortung für 55 Mitarbeitende und deren Arbeitsplätze, die er mit Gewinnen sichern muss. "Aber wer nur auf den Gewinn guckt, investiert keine 50.000 Euro in eine Ladesäule in einer Zeit, in der noch kaum jemand etwas von Elektromobilität wissen wollte", sagt Warncke zur damals "teuersten Steckdose" im Ort. Das Risiko hat sich ausgezahlt – und das Autohaus Warncke hat einen Wissensvorsprung. Es ist schon vorgekommen, dass ein viel größeres Autohaus aus der Region mit E-Autos ihrer Kunden nach Tarmstedt fuhren, um von den Warnckes zu lernen. Denn in Tarmstedt sind sie schon firm mit der Hochvolttechnik, die es bei Stromern braucht. Andere müssen nun eilig lernen.

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Bis Ende 2022 waren die Warnckes Vertragshändler von Volkswagen. Dann kündigte der Konzern – das Autohaus auf dem Dorf sei den Wolfsburgern zu klein erschienen. Aber neugierig waren sie vorher schon geworden in der Konzernzentrale: Warum verkaufen die dort oben im Nordwesten überdurchschnittlich viele Stromer? Es gab Gespräche, Mails, Telefonate. Doch die Lerneffekte sind offenbar ausgeblieben. VW ist in die Krise gerutscht – und andere deutsche Hersteller gleich mit. Was ist da nur schiefgelaufen?

Eine Industrie in der Krise

Es gibt Kenner der Autobranche, die sagen: Hätte man vor fünf Jahren nur auf Wolf Warncke gehört. Warncke selbst muss bei der Frage nach den Gründen für die Krise an einen Bibelvers aus dem ersten Korintherbrief denken: "Darum, wer sich lässt dünken, er stehe, mag wohl zusehen, dass er nicht falle." Was meint er damit? "Die Beharrungskräfte in Deutschland sind stark. Über Jahrzehnte war die Autoindustrie samt ihrer Zulieferer erfolgreich mit der konventionellen Technologie. Sie hielten sich für unbesiegbar. So etwas wie den Abgasskandal hat man bei VW nicht als Mahnung verstanden, sondern als 33 Milliarden Euro teures Lehrgeld abgetan. Man dachte wohl schlicht, es sei nicht möglich, dass so etwas bei VW passiert", erzählt Warncke. Aber schon dieser Skandal hätte ein Signal sein können, dass es schadet, verbissen am Verbrenner festzuhalten.

Der Marke bleibt das Autohaus dennoch treu. In der Region steht man auch für VW, Audi und Skoda. Und Wolf Warncke ist sich sicher, dass die Elektromobilität auch in Deutschland ein Erfolg werde. Warum? "Weil sich das Bessere auf Dauer immer durchsetzt", meint Warncke. Wenn er diese These belegen möchte, sprudeln Zahlen und Fakten aus ihm heraus. Elektroautos seien effizienter, setzen Energie zwei- bis dreimal besser in Bewegung um als Verbrenner. Und sie sparten Kosten im laufenden Betrieb – das hat er selbst durchgerechnet. Das Autohaus unterhält einen Fuhrpark mit Ersatzwagen für die Kundschaft, er umfasst rund 25 Fahrzeuge. Innerhalb weniger Jahre ersetzten Stromer Benziner oder Diesel. "Der Jahresverbrauch an Kraftstoffen ist bei uns deshalb von 15.000 auf 10.000 Liter gesunken, ohne dass irgendjemand auf Mobilität verzichten musste – nur durch eine neue Technologie!" Wenn er über solche Erfolge berichtet, spürt man fast eine kindliche Begeisterung.

Ausgezeichnete Arbeit: die "Goldene Batterie"

Und was ist mit der Angst um Reichweite? Die Bedenken kennt Wolf Warncke, seit er die ersten E-Modelle anbot, die damals etwa 150 Kilometer weit kamen mit einer Batterieladung. Aber schon diese Reichweite decke die meisten Alltagsfahrten ab. Im Durchschnitt wird ein Auto in Deutschland eine Dreiviertelstunde lang gefahren – den Rest des Tages steht es herum. Dabei werden im Mittel zwei Strecken zurückgelegt, die jeweils 15 Kilometer lang sind. Lediglich ein Prozent aller Fahrten ist länger als 100 Kilometer. "Und auf längeren Reisen brauchen Menschen ohnehin Pausen – das können sie mit dem Laden verbinden", meint Warncke.

Eines ist ihm am Ende des Gesprächs noch wichtig: "Ich sehe mich nicht als Macher oder besseren Menschen oder Gutmenschen, sondern das Problem mit dem Klima und unserer Zukunft geht uns alle an. Nur gemeinsam können wir anders denken – und auch Mobilität neu denken. Ich habe einmal eine Weisheit aufgeschnappt, die vom afrikanischen Kontinent kommen soll: ‚Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Dinge tun, können das Gesicht dieser Welt verändern.‘"

Wolf Warncke hat damit schon angefangen.

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Kolumne

Nils Husman

"Wir müssen die Schöpfung bewahren!“ Da sind wir uns alle einig. Doch was heißt das konkret? Nils Husmann findet, wer die Schöpfung bewahren will, sollte wissen, was eine Kilowattstunde ist oder wie wir Strom aus Sonne und Wind speichern können – um nur zwei Beispiele zu nennen. Darüber schreibt er - und über Menschen und Ideen, die Hoffnung machen. Auch, aber nicht nur aus Kirchenkreisen.