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Die Wissenschaft ist sich seit langem einig: Die Menschheit verändert das Klima. Weil Kohle, Öl und Gas verbrannt werden, wird Kohlendioxid frei, das die Atmosphäre erwärmt. Extremwettereignisse nehmen zu. Das ist gefährlich. Ist es nicht genug an Klimakommunikation, diese Fakten zu benennen?
Christian Gutsche: Wissen allein reicht nicht. Es gibt das Informationsdefizitmodell. Die Grundthese des Modells ist: Die Leute müssen nur wissen, was Sache ist, dann verhalten sie sich entsprechend und machen der Politik ordentlich Druck, damit sie beispielsweise auf erneuerbare Energien setzt.
Christian Gutsche
Klingt ja auch logisch!
Aber dann kommt die Psychologie hinzu und man stellt fest: Nein, so ist es leider nicht. Der US-amerikanische Rechtswissenschaftlers Dan Kahan sagte einmal sinngemäß: Wenn ein wissenschaftlicher Konsens die Werte von Menschen angreift oder infrage stellt, dann bleiben die Leute eher bei ihren Werten und ignorieren den wissenschaftlichen Konsens. Also: Was Menschen bewegt, ist nicht nur das Wissen und der Verstand in unseren Köpfen, sondern das sind Gefühle, das sind Werte, das sind Identitätsfragen und das ist die Frage, wie sich unser soziales Umfeld verhält. All das kann uns abhalten, etwas zu tun – aber es kann uns auch motivieren, etwas zu verändern. Die Klimakrise ist ein sogenanntes Super-Wicked-Problem, das macht es schwierig.
Was heißt das: ein Super-Wicked-Problem?
Die Klimakrise ist für viele Menschen immer noch abstrakt. Ich kann die Folgen meines Handelns nicht sehen, denn sie liegen in der Zukunft. Es ist so ähnlich wie mit dem Rauchen. Man weiß, irgendwann wird man davon krank. Aber dann sagt man sich: "Ach, mich trifft es schon nicht." Und die Klimakrise ist noch viel abstrakter. Das Thema Rauchen hat direkt mit unserer Gesundheit zu tun. Zigaretten sind eine recht konkrete Gefahr. Trotzdem rauchen viele Menschen. Bei der Klimakrise kommt noch hinzu: In den Griff bekommen wir sie nur, wenn alle mitziehen.
Lesen Sie hier: Wie könnte das Leben in Deutschland in den 2050er-Jahren aussehen?
Warum ist das ein Problem?
Weil es uns dazu verführt zu sagen: "Was soll ich mich denn jetzt zum Horst machen, wenn alle anderen es nicht tun!"
Aber ist an diesem Gedanken nicht etwas Wahres dran?
Wenn es um Klimaschutz geht, neigen wir dazu, unsere Mitmenschen zu unterschätzen. Tatsächlich ist die überwiegende Mehrheit der Menschen in Deutschland und auch weltweit für mehr Klimaschutz. Das ist für mich als Klimakommunikations-Trainer und Klima-Coach ein wichtiger Ansatzpunkt: den Menschen klarzumachen, dass sie nicht allein sind mit ihren Gedanken und Gefühlen zum Klima.
Also ist eigentlich doch alles ganz einfach?
Nein, denn es gibt Widerstände aus Politik und Wirtschaft, von fossilen Konzernen zum Beispiel – oder von den aufkommenden populistischen, rechtsextremen Bewegungen. Unser großes Glück sind die erneuerbaren Energien. Sie sind mittlerweile auf dem Erdball die günstigste Energiequelle. Sie zu nutzen, ist gar nicht mehr so sehr eine politische, sondern eine ökonomische Frage. Mein Eindruck ist: Die erneuerbaren Energien haben den Kampf schon gewonnen. Weltweit wird viel mehr Geld in Erneuerbare investiert als in fossile oder atomare Kraftwerke.
Aber es wurden trotzdem noch nie so viele Treibhausgase ausgestoßen wie 2023!
Die Richtung stimmt, nur die Geschwindigkeit reicht noch nicht. Hoffnung macht mir die Elektrifizierung der Wärmeversorgung und der Mobilität. Bei Wärmepumpen und Elektroautos sehen wir weltweit einen exponentiellen Anstieg. Es ist gut, nicht nur auf Deutschland zu gucken, sondern weltweit zu schauen, wie groß der Wandel bereits ist.
Es kann aber auch passieren, dass man mit Menschen über das Klima diskutiert und ihnen genau das erklärt: "Guckt euch bitte an, wie sehr beispielsweise China in Windenergie und Photovoltaik investiert." Trotzdem reagieren Leute trotzig, fühlen sich belehrt oder beharren darauf, dass nur wir in Deutschland so dumm sind, in die Energiewende zu investieren…
Ja, weil die Klimawende eine sehr große Veränderung ist. Und das ist unbequem. Veränderungen verunsichern uns. Wie wird die Zukunft sein? Das mag vielen Menschen Angst machen. Man möchte auch nicht gerne hören, dass man Klimasünder ist, weil das den eigenen Selbstwert angreift. All das führt dazu, dass Menschen trotzig reagieren. Leute wie Sie und ich – wir wollen das Klima schützen, wir wollen die Welt retten, und deswegen wollen wir andere – ich spitze etwas zu – missionieren. Und das erzeugt häufig Widerstand.
In Ihrem Buch "Klimakommunikation mit Wirkung" raten Sie dazu, sich viele Gedanken über die Zielgruppen zu machen, mit denen man sprechen möchte. Das klingt sehr professionell. Ist das für Gespräche mit Freundinnen, mit Nachbarn, Verwandten oder am Stammtisch übertrieben oder angebracht?
Das gilt auf jeder Ebene. Mein Kollege Achim Bubenzer, den Sie schon für chrismon.de befragt haben, ist perfekt für die ältere Leserschaft. Der ist viel näher dran als ich. Und das hat viele Vorteile. Dazu, sich Klarheit über seine Zielgruppe zu verschaffen, gehören auch die Sprache und das Auftreten. Komme ich im Kapuzenpulli oder mit Hemd? Für die Zielgruppenarbeit ist auch wichtig, sich ein smartes Ziel auszusuchen. "Smart" steht in diesem Fall für spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminierbar.
Können Sie bitte ein Beispiel geben?
Ich kenne einen Mann, der findet die Grünen total scheiße, lebt im ländlichen Raum, hat einen Garten und will das Leben genießen. Dazu gehört für ihn auch, Fleisch zu essen. Weil er einen Garten hat, merkt er, wie das Klima sich verändert. Es gibt Dürrephasen, dann fallen wieder enorme Mengen an Regen in kurzer Zeit. Diesen Mann zum Veganer machen zu wollen, wäre trotzdem kein smartes Ziel – ein Balkonkraftwerk zu installieren, aber doch. Das hat er mittlerweile auch schon. Und dadurch ist für ihn das Thema Klimaschutz ein bisschen näher an sein Leben herangerückt. So eine Erfahrung kann auch jetzt am Weihnachtstisch helfen, wenn Onkel Fritz den ganzen Klimaquatsch total komisch findet und Fake News verbreitet.
Ich bin gespannt! Wie soll ich so einen Onkel überzeugen?
Häufig kann man das nicht mehr. Aber trotzdem sollten wir mit Fritz in ein Gespräch gehen, denn die eigentliche Zielgruppe sind die Zuhörenden am Tisch, denen ich etwas mitgeben kann – und sei es nur den Eindruck: Fritz liegt falsch. So kommen die Leute ins Grübeln, werden sensibilisiert. Das kann ein legitimes Ziel sein. Und dann üben, üben, üben! Niemand macht in diesen Gesprächen immer alles richtig, ich auch nicht.
Sie erwähnen in Ihrem Buch Auseinandersetzungen zum Thema Klima, die Sie als anstrengend, aber auch bereichernd empfinden. Sind das die Fälle, für die auch Sie noch üben müssen?
Jedenfalls lerne ich dazu. Ich hatte zum Beispiel vor zwei Monaten ein Gespräch mit einer Bekannten, sie ist Rentnerin und meinte: "Boah, diese ganze Klimageschichte, da sind erstmal andere an der Reihe. Ich will jetzt mein Leben genießen." Dieser Tage traf ich sie wieder, und sie berichtete, dass sie nun nach Nordafrika fliege. Sie weiß, dass ich das mit dem Fliegen nicht so toll finde.
"Es ist besser, über Lösungen zu reden, als dem Gegenüber zu vermitteln: Du bist ein schlechter Mensch."
Christian Gutsche
Das klingt eher unerfreulich!
Was aber gut an dieser Unterhaltung ist: Wir sind immer noch in Kontakt. Ich habe die Chance genutzt und von den Nachtzügen in Europa erzählt, die ich mehr und mehr nutze. Man kommt günstig von Hannover nach Wien. Und dann meinte sie: "Das hätte ich jetzt nicht gedacht!" Es ist besser, über Lösungen zu reden, als dem Gegenüber zu vermitteln: Du bist ein schlechter Mensch, weil du fliegst. Man muss auch nicht immer die perfekten Antworten haben. Manchmal reicht es auch, einfach nur zuzuhören. Ich finde es wichtig, eine lernende, offene und wertschätzende Haltung einzunehmen. Die Leute haben ja Gründe für das, was sie tun. Und wenn wir die verstehen, hilft uns das, bessere Ansatzpunkte für Verbesserungen zu finden.
Die Proteste der "Letzten Generation" waren auch eine Form der Kommunikation. Die Gruppe will sich nun umbenennen. Mit ihrem Namen wollte sie davor warnen, dass wir bald unumkehrbare Kipppunkte erreicht haben werden. Für ihre Protestformen ist sie hart kritisiert worden. Wie beurteilen Sie als Klimakommunikationscoach Straßenblockaden? War das klug?
Es gibt dazu eine Studie. Das Ergebnis lautet: Seit den Aktivitäten der Letzten Generation sagen mehr Menschen in Deutschland, dass sie weniger als vorher mit der Klimabewegung sympathisieren. Aber die Zustimmung dafür, dass Klimaschutz wichtig ist, ist nicht zurückgegangen. Das ist die Faktenlage. Meine Interpretation ist: Bei Protest geht es darum, Aufmerksamkeit zu schaffen. In der Regel nervt Protest, sonst würde er nicht beachtet. Die Forschung zu sozialen Bewegungen zeigt auch, dass gewaltfreier ziviler Ungehorsam häufig relativ erfolgreich war. Wenn man dann Protestformen wählt, muss man immer abwägen, wie weit man provoziert, um Aufmerksamkeit zu erlangen – und ab welchem Punkt die Provokation in der Bevölkerung als unangemessen wahrgenommen wird und ab wann man Sympathien verspielt. Die Letzte Generation hat es geschafft, Aufmerksamkeit für Klimaschutz zu erzeugen. Aber sie haben die öffentliche Wahrnehmung der Klimabewegung insoweit verändert, dass die Leute sagen: Fridays for Future sind absolut okay, aber die Letzte Generation hat der Bewegung keinen Gefallen getan. Mit Blick auf die Sprache der Letzten Generation nehme ich mehr und mehr wahr, dass das Thema Klimakollaps an Bedeutung gewinnt.
Was ist damit gemeint?
Tadzio Müller, der Mitbegründer von Ende Gelände, beschreibt es als zunehmenden Wegfall von Selbstverständlichkeiten. Wasser wird rationiert, bestimmte Lebensmittel fehlen nach Ernteausfällen im Supermarkt ... Das ist eher eine schleichende Entwicklung und nicht die schlagartige Apokalypse.
Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
Ich bin Pragmatiker und finde es hilfreich zu gucken, was Menschen motiviert – und in der Regel motiviert ein Untergangsszenario Menschen nicht. Ich erlebe in meinen Workshops ganz viel Sehnsucht nach fundierter Hoffnung. Ich glaube, ohne Hoffnung kann kaum etwas Gutes entstehen. Die Lage ist ernst, aber wir können immer noch etwas tun. Und je wirksamer wir aktiv sind, desto mehr können wir erreichen. Und nicht vergessen: die Richtung stimmt: die Welt ist auf Klimaschutz-Kurs, die Energiewende ist in vollem Gange. Die Menschen wollen mehr Klimaschutz. Jetzt gilt es, mit der Umsetzung der Klimawende schneller und besser voran zu kommen.
Das Buch "Klimakommunikation mit Wirkung. Gespräche und Maßnahmen motivierend gestalten" ist im Oekom-Verlag erschienen. Gedruckt (ISBN: 978-3-98726-143-5, 168 Seiten) kostet es 24 Euro. Im Internet ist es frei zugänglich und kann gratis über den Verlag heruntergeladen werden.