Bullshit
Killerphrasen in Endlosschleife: Mit wem lohnt die Diskussion?
MirekP/Getty Images
Kann Klimaschutz unterhaltsam sein?
Eine Runde Bullshit-Bingo!
E-Autos haben keine Reichweite, im Winter wird es immer noch kalt und die Chinesen machen eh, was sie wollen: Jan Hegenberg kennt die Scheinargumente gegen Klimaschutz - und weiß, wie man sie widerlegt
Tim Wegner
16.09.2024
5Min

Ihr Buch "Klima-Bullshit-Bingo" haben Sie für genervte Umweltschützer geschrieben, die Besserwissern und Nörglern Fakten entgegensetzen wollen. Das kann ja auch sehr anstrengend sein. Wie erkennt man, wann Diskussionen sinnlos sind?

Jan Hegenberg: Ich glaube mittlerweile, die "Red Flags" erkennen zu können. Dann sagt mir mein Verstand: Jan, es ist verlorene Liebesmüh, weiter zu diskutieren. Ich bin aber nicht immer so rational, wie es mein Verstand gern hätte. Ein guter Hinweis, sich zurückzuziehen, sind Dauerschleifen. Also: Wenn jemand gar nicht konkret auf das eingeht, was man selbst gerade erklärt hat, macht es vermutlich wenig Sinn, die Unterhaltung fortzusetzen. Eine weitere "Red Flag": Wenn es beleidigend wird, ziehe ich mich zurück. Ich erkenne das an Kampfbegriffen wie "linksgrünversifft" oder "Staatsmedienclown". Schade, wenn es so weit kommt. Denn ich diskutiere ja gern!

Haben Sie einen konkreten Tipp, wie man mit Nörglern in Debatten umgeht?

Ja, angenommen, Sie diskutieren in einer Gruppe. Ein Nörgler wechselt immer wieder das Thema, egal, welche guten Argumente Sie vorbringen. Und der Rest der Gruppe, der Ihnen vielleicht sogar gewogen ist, sagt wenig bis nichts und hört meist nur zu. Dann wäre mein Rat: Picken Sie sich eine Aussage heraus und widerlegen Sie diese mit Fakten. Vermutlich wird Ihr Gegenüber trotzdem wieder das Thema wechseln wollen. Lassen Sie sich nicht darauf ein, sonst zieht er Sie vor allen anderen am Nasenring durch die Manege.

Sondern? Was mache ich stattdessen?

Zum Beispiel: "Nein, ich möchte nun bei deiner Behauptung bleiben, dass noch nie so viel Kohlestrom erzeugt wurde wie derzeit!" Denn das ist falsch, das Gegenteil ist richtig: Dank der erneuerbaren Energien erzeugen wir so wenig Kohlestrom wie zuletzt 1959. Fragen Sie nach und bleiben Sie hart: Was ist nun mit dem Kohlestrom? Entweder lenkt die Person ein oder will wieder das Thema wechseln. Egal, welche Option Ihr Mitdiskutant wählt – die Menschen, die Ihnen zugehört haben, erkennen, dass Ihr Gegenüber eher schwach unterwegs ist.

Simon Hegenberg

Jan Hegenberg

Jan Hegenberg studierte BWL und war in der IT-Branche tätig, bevor er 2014 den Blog "Der Graslutscher" gründete, um im Internet kursierende Scheinargumente mit dem Anspruch zu widerlegen, wissenschaftlich fundiert und dennoch witzig zu sein. Seit 2020 betreibt er den Blog hauptberuflich und hat seine Recherche zur Energiewende ins 2022 veröffentlichte Buch "Weltuntergang fällt aus!" einfließen lassen.

Lesen Sie hier: Gibt es eine psychologische Erklärung dafür, dass wir beim Klimaschutz nicht vorankommen?

Ihr Buch enthält 25 Kapitel. Das ist kein Zufall, denn in einem Bingo-Spiel besteht ein Feld aus 25 Kästchen. Ihre Kapitel sind nach "Bullshit"-Argumenten benannt. Zum Beispiel: "E-Autos sind auch wieder nur Autos, die bringen keine echte Veränderung." Ehrlich gesagt: Das Feld kann vermutlich jeder sofort ankreuzen, der schon einmal über die Verkehrswende diskutiert hat...

Und das sagen oft sogar Menschen, die für Klimaschutz sind, aber von der Verkehrswende frustriert sind. Schauen Sie nach Berlin: Dort werden Radwege gestrichen, die schon geplant waren. Da sitzen Menschen in Ihrem Kiez, der vor Autos überläuft. Das ist allerdings auch ein gutes Beispiel dafür, wie stark beim Klimaschutz alles von der eigenen Perspektive abhängt.

Wie meinen Sie das?

Leute, die in Städten wohnen, sagen: "Ich brauche kein eigenes Auto, zur Not hole ich mir eines beim Car-Sharing. Wir können mit viel weniger Pkw auskommen!" Das stimmt. Aber wenn Leute sagen "Lasst uns einfach alle Autos abschaffen" übersehen sie die Menschen auf dem Land, die wahrheitsgemäß sagen: "Hier kommt viermal am Tag ein Bus, ohne Auto geht es nicht!" Ich hoffe, mein Buch ist nicht nur faktenreich, sondern auch unterhaltsam. Wenn Leute beim Lesen auch mal lachen, klappt es eher mit dem Perspektivwechsel, sodass mancher Städter sagt: "Stimmt, die auf dem Land haben einen Punkt!" Und umgekehrt.

Lesetipp: Die Mobilitätsexpertin Katja Diehl will, dass alle klimafreundlich unterwegs sein können - und wird deshalb bedroht

Und, bringen uns E-Autos weiter?

Ja! Sie haben einen niedrigeren ökologischen Fußabdruck und brauchen weniger Rohstoffe als Verbrenner. Das ist so. Kritische Rohstoffe in E-Autos lassen sich recyceln, das Benzin oder der Diesel im Tank hingegen sind weg, wenn der Tank leer ist. Und das CO2 und die Abgase sind in der Atmosphäre. Also: Für alle, die nicht ohne Auto auskommen, ist das E-Auto mit Blick auf Umwelt und Klima besser. Ich mache übrigens die Erfahrung, dass man beim Thema E-Mobilität ganz gut einen Fuß in die Tür bekommt. Wenn man erklärt, dass Verbrenner einen Kühler haben, weil ein großer Teil der Energie aus Benzin und Diesel einfach nur als Abwärme in die Umwelt gelangt und nicht als Energie auf der Straße, kommen viele ins Grübeln.

Wenn man überhaupt so weit kommt in den Unterhaltungen. Ich merke oft, dass ich schon zu Anfang von Klima-Diskussionen so emotional werde, dass mir die Stimme zittert. Haben Sie einen Tipp für mich?

Kenne ich! Schwierig! Im Internet geht es besser. Wenn ich merke, dass mir schon die Finger verkrampfen, weil ich wieder Bullshit gelesen habe, lehne ich mich zurück und starre kurz an die Decke. Das hilft schon. Aber in echten Unterhaltungen? Ich fürchte, immer cool zu bleiben, ist eine Lebensaufgabe. Die habe ich auch erst teilweise gelöst. Mein Rat: Man spürt ja, dass man schlechter argumentiert, wenn man zu emotional bei der Sache ist. Ich ziehe mich dann eine Weile zurück, höre zu und sammle mich. Und dann geht’s weiter.

"Wir tun Fragen als bewusste Trollerei ab. Das muss aber nicht so sein."

Jan Hegenberg

Es ist mir fast ein wenig unangenehm, aber ich wäre selbst ein gutes Kreuzchen im Klima-Bullshit-Bingo. Das Feld beziehungsweise Kapitel heißt: "Dafür haben wir zu wenig Strom!"

Super, denn das habe ich mich auch gefragt, als ich einmal eine Pressekonferenz verfolgte, auf der sinngemäß verkündet wurde: "Und dann haben wir in Zukunft 50 Millionen E-Autos und 40 Millionen Wärmepumpen..." – Äh, habt ihr euch auch gefragt, woher der Strom für all diese Dinge kommt, die heute noch oft mit fossilen Brennstoffen betrieben werden? Wir tun solche Fragen oft als bewusste Trollerei ab. Das muss aber nicht so sein. Vielleicht weiß Ihr Gegenüber die Antwort schlicht noch nicht und macht sich Sorgen.

Und woher kommt der Strom?

Ich kann Sie beruhigen: Es rettet uns bei dieser Herausforderung der Fortschritt den Hintern. Wir haben 30.000 Windenergieanlagen in Deutschland. An diesen Standorten gibt heute oftmals noch ältere Windräder. Die neuen Anlagen erzeugen vier- bis fünfmal so viel Strom. Das heißt, wir müssen nicht alles mit Windrädern zupflastern, sondern alte Anlagen ersetzen und nur noch 10.000 neue dazu bauen. Auch bei der Solarenergie sehen wir einen riesigen Zuwachs, nicht nur bei uns, sondern zum Beispiel auch - und sogar erst recht - in China.

Jan Hegenberg: Klima-Bullshit-Bingo, Komplett-Media, 240 Seiten, 24 Euro

Lesetipp: "Wir können bis 2030 durch sein mit der Energiewende!" - Hans-Josef Fell zu Gast in der Klimazone

Die Chinesen bauen aber auch neue Atomkraftwerke – das habe ich neulich im Biergarten von Freunden gehört.

Ja, stimmt. Aber der Zubau an Photovoltaik und Windenergie erfolgt in China so viel schneller, dass der Anteil an Atomenergie an der Stromerzeugung trotz neuer Atomkraftwerke gar nicht wächst. Er liegt bei 4,6 Prozent. Ich habe die Zahl gerade gestern recherchiert. Die müssen Sie sich merken für Ihr nächstes Treffen. Und dann: immer raus mit den Fakten!

Kolumne

Nils Husman

"Wir müssen die Schöpfung bewahren!“ Da sind wir uns alle einig. Doch was heißt das konkret? Nils Husmann findet, wer die Schöpfung bewahren will, sollte wissen, was eine Kilowattstunde ist oder wie wir Strom aus Sonne und Wind speichern können – um nur zwei Beispiele zu nennen. Darüber schreibt er - und über Menschen und Ideen, die Hoffnung machen. Auch, aber nicht nur aus Kirchenkreisen.