Kühe und Kälber bei Hofsgrund im Schwarzwald.
Kühe und Kälber im Schwarzwald
Karl-Heinz Raach/laif
Landwirtschaft
Ohne Tiere geht es nicht
Essen wir zu viel Fleisch? Ja, sagt Stefan Michel. Warum Tierhaltung trotzdem gut fürs Klima sein kann, um welche Tiere es geht und warum Wald allüberall kein Allheilmittel gegen die Erderwärmung ist, erklärt er im Interview
Tim Wegner
20.11.2023
6Min

Der Titel Ihres Buches lautet: "Fleisch fürs Klima", und eine Ihrer Grundaussage ist, dass Fleischkonsum sogar vorteilhaft fürs Klima sein kann. Ist es also egal, welches Fleisch wir essen?

Stefan Michel: Nein, absolut nicht! Wir essen immer noch viel zu viel Fleisch. In Deutschland pro Kopf ein Kilo pro Woche, das macht über 50 Kilogramm im Jahr. Ökologisch geht das gar nicht. Wir müssen viel weniger Fleisch essen – und das wenige Fleisch sehr gut auswählen.

Privat

Stefan Michel

Stefan Michel arbeitet seit 1981 als Journalist und Autor. Er hat in München Journalistik studiert und die Deutsche Journalistenschule besucht.

Wie viel Fleisch wäre denn ökologisch verträglich?

Die Umweltverbände nennen alle eine Größenordnung von etwa 25 Kilo pro Kopf und Jahr. Ich finde, diese Zahl ist so gewählt, weil man die Leute nicht vor den Kopf stoßen will. Das ist immer noch viel zu viel. Ein Gutachten der "Eat-Lancet Commission" kommt zu einem realistischeren Ergebnis: Die Wissenschaftler in der Kommission haben sich gefragt, was der Planet an Fleischkonsum verkraftet, wenn zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben.

Und?

Ein Viertel unseres heutigen Konsums. Dann sind wir in Deutschland nicht mehr bei einem Kilo, sondern bei 250 Gramm in der Woche.

Und über welches Fleisch reden wir dann?

Entweder über Wildfleisch. Oder aber über das Fleisch von Weidetieren, die wirklich draußen gehalten worden sind - und das sind Rinder oder Schafe. Sie erhalten unser Grünland. Und das ist gut fürs Klima.

Also bewusst nach dem Geflügeldöner fragen oder nur noch Katzenfutter mit Huhn kaufen, bringt nichts?

Geflügelfleisch als klimafreundlich anzupreisen, ist komplette Irreführung der Verbraucherinnen und Verbraucher. Geflügel kann man nur in sehr kleinem Stil nachhaltig mästen, indem man es mit dem füttert, was bei der Produktion von veganen Lebensmitteln übrig bleibt, für uns Menschen aber ungenießbar ist. Der Großteil unseres Geflügels, das meist unter schlimmen Haltungsbedingungen lebt, wird auf Kosten der Flächen gefüttert, die eigentlich die Menschheit direkt ernähren könnten. Wir haben den Wald Argentiniens und Brasiliens auf dem Teller, wenn wir Huhn essen, denn es ist beispielsweise viel Soja im Mastfutter enthalten.

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Und den Regenwald haben wir auch auf dem Teller, wenn wir Schweinefleisch aus der konventionellen Schweinemast essen?

Ja, genau.

Aber alles, was auf Weiden grast, ist in Ordnung?

Ja, wenn es aus der Region kommt. Es bringt natürlich nichts, sich Steaks aus Argentinien zu kaufen. Es ist nicht schwer, an klimafreundliches Fleisch zu kommen. Googeln Sie "Fleisch aus Mutterkuhhaltung" oder "Fleisch aus Freilandhaltung" und Sie finden abseits der Supermärkte landwirtschaftliche Betriebe, die ihr Fleisch direkt vermarkten. Zum Teil halten diese Betriebe ihre Tiere sogar ganzjährig im Freien. Die fressen kein Soja aus Brasilien, sondern das, was das Grünland hergibt. Das ist nachhaltiges Fleisch, das Sie guten Gewissens essen können. Natürlich ist es teurer, aber dafür kauft man seltener Fleisch.

Ist Fleisch von Tieren, die mit Grassilage gefüttert werden, aus Ihrer Sicht in Ordnung?

Ja. Anders sieht es mit Silage aus Mais aus. Für Mais ist viel Grünland vernichtet worden - seit Beginn der neunziger Jahre in der Größenordnung, die ein Drittel des Landes Rheinland-Pfalz umfasst. Das hat der Artenvielfalt und dem Klima massiv geschadet.

Was ist mit Milchprodukten?

Wenn Kühe, die im Stall leben, eigens für sie angebautes Kraftfutter bekommen, dann ist das auch nicht nachhaltig. Anders bei der Milch von Tieren, die konsequent auf der Weide leben oder mit Heu und Grassilage gefüttert werden. Aber diese Form der Milchviehhaltung macht bisher den geringsten Teil der Milchprodukte aus, die wir heutzutage so kaufen können.

Dann also lieber Hafermilch als Kuhmilch?

Haferdrink zu trinken, ist eine gute Idee, um den eigenen Milchkonsum auf ein umweltverträgliches Maß zu senken. Nur Haferdrink statt Milch ist dagegen kein ökologisch sinnvolles Konzept: Nur ein Achtel der Haferernte landet nämlich in der Haferdrink-Packung. Was bei der Haferdrink-Produktion übrig bleibt, ist Viehfutter, zum Beispiel für Milchkühe. Weil bei jedem Liter Bio-Haferdrink ein Liter Bio-Milch entsteht, ist es sinnvoll, beides im Wechsel zu trinken.

"Jeder Hektar an Grünland bindet mehr als 320 Tonnen an Kohlendioxid!"

Warum ist Weidehaltung gut fürs Klima? Wir könnten bisheriges Weideland aufforsten, denn Wälder binden Kohlendioxid und sind gut fürs Klima!

Aber jeder Hektar an Grünland bindet 320 Tonnen an Kohlendioxid! Wohlgemerkt: Es geht um Grünland, nicht um Ackerflächen. Und damit auf Grünland nicht Büsche und später Bäume wachsen, braucht es Weidetiere, die dort grasen, die betreiben quasi Landschaftspflege. Eine sinnvolle Ergänzung dazu wäre die Agroforstwirtschaft, um die Ackerflächen vor Austrocknung und Erosion zu schützen. Dann würden kleine Bereiche der Äcker zu Waldstreifen. Grünland aufzuforsten, macht dagegen weder ökologisch noch wirtschaftlich einen Sinn.

Warum nicht?

Wir hätten weniger tierische Nahrungsmittel, die wir mit pflanzlichen Nahrungsmitteln ersetzen müssten. Um das zu schaffen, bräuchten wir noch mehr Ackerflächen und mehr Mineraldünger. Dadurch würde unter anderem Lachgas frei, es erwärmt das Klima noch stärker als Kohlendioxid und Methan. Und: Die Artenvielfalt leidet. Mehr als die Hälfte der Tierarten und Pflanzen hier bei uns sind auf Grünland angewiesen. Das sehen Sie, wenn Sie in den Alpen Urlaub machen: Auf den Almen wachsen unglaublich viele Blumen, Kräuter und Pflanzen, nicht nur Gras. Es gibt dort noch viele Insekten. Es hilft aber auch nicht weiter, wenn wir nur hier auf in Mitteleuropa schauen. Wir müssen die ganze Welt im Blick haben. Und global gesehen ist es so: Eine Landwirtschaft ohne Tierhaltung kann nicht funktionieren.

Das müssen Sie bitte erklären!

Wir in Deutschland könnten uns wunderbar vegan ernähren. Wir haben viel Land, teilweise noch gute Böden, auf denen Getreide und Hülsenfrüchte wachsen können. Niemand bei uns würde krank werden, weil er sich vegan ernährt. Niemand müsste hungern. Das ist in anderen Gegenden der Welt anders. Dort sind die Böden schlechter, trockener. Die Menschen dort sind auf Fleisch existenziell angewiesen. Wir können die Menschheit nicht vegan ernähren, wir brauchen die Tiere.

Ich habe einen Landwirt besucht, der für die CDU im Bundestag sitzt. Er weiß, dass die Landwirtschaft sich ändern muss, aber auch, dass die Betriebe immer stärker wachsen, um auf den Märkten mithalten zu können. Seine Kollegin von den Grünen im Landwirtschaftsausschuss des Bundestages sagte: "Jeder Kuhfladen hat was mit Biodiversität zu tun. Kühe gehören auf die Weide." Hat sie Recht?

Absolut. Ich kenne einige konventionelle Bauern sehr gut. Es gibt zwei Hindernisse, die echten Veränderungen im Wege stehen: Viele Landwirte standen vor der Wahl: Wachse oder weiche! Sie haben sich fürs Wachsen entschieden. Und dann sollen sie sich von irgendeinem Akademiker wie mir erzählen lassen, dass alles an ihrem Lebenswerk falsch ist? Das darf und kann man nicht erwarten. Das zweite Hindernis ist: Die Höfe haben sich in der Regel für eine lange Zeit verschuldet. Die konventionellen Landwirte sind überhaupt nicht in der Lage zu sagen: Ich mache jetzt alles anders - Ställe weg, eine mobile Melkanlage kommt auf die Weide, fertig! Das können die nicht finanzieren. Wenn so eine Veränderung politisch gewollt ist, muss man die Bäuerinnen und Bauern finanziell unterstützen. Und das wird teuer.

Albert Stegemann, der Bauer im Bundestag, sagt: In einem Stall mit moderner Technik kann ich meine Milchkühe sehr gut und bedarfsgerecht füttern. Was meinen Sie?

Für die Tiere hat Stallhaltung keine Vorteile. Höchstens für die überzüchtetsten Holstein-Friesian-Kühe, denn die würden auf der Weide gar nicht mehr satt werden. Der Vorteil der Stallhaltung besteht darin, dass die Kühe im Stall mehr Milch geben. Würden sie auf der Weide herumlaufen, würden sie allein schon zehn Prozent weniger Milch bringen, weil sie die Energie für die Bewegung brauchen.

Stefan Michel: Fleisch fürs Klima. Oekom Verlag, 280 Seiten, 22 Euro
Produktinfo

Das Buch von Stefan Michel heißt: "Fleisch fürs Klima - Ein neuer Blick auf Artenschutz, Tierhaltung und nachhaltige Ernährung", ISBN: 978-3-98726-001-8
Softcover, 280 Seiten. Es ist im oekom-Verlag erschienen.

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