Bauer im Bundestag - Mensch, Albert!
Albert Stegemann in Berlin
Gordon Welters
Bauer im Bundestag
Mensch, Albert!
Albert Stegemann ist Landwirt und Bundestagsabgeordneter. Das ist selten geworden. In seinem Wahlkreis und in Berlin kämpft er für mehr Respekt den Bauern gegenüber – und immer häufiger auch für die Demokratie
Tim Wegner
Ines John
Aktualisiert am 24.09.2024
13Min

Vor den großen Ställen in der Grafschaft Bentheim, nur wenige Kilometer entfernt von der Grenze zu den Niederlanden, mischt sich ein Hauch von Weltpolitik in die Landluft. Eine ­Gruppe von Jugendlichen aus der Ukraine ist an diesem Dienstagmorgen im August mit Albert Stegemann über den Hof gelaufen. Sie haben Kälbchen angeschaut und sich von dem großen, stämmigen Mann das Futtermonster erklären lassen, das Silage, Soja und Maismehl zu den Rindern fährt. Ein älterer Herr hat ­alles übersetzt. Albert Stegemann hält eine kurze Ansprache. "Die Welt steht an eurer Seite!", sagt er zum Schluss. "Und wollen wir noch ein Foto machen?"

Stegemann, 47 Jahre alt, hat zwei Berufe. Er ist Bauer und Politiker, seit 2013 sitzt er für die CDU im Bundestag. Außer Stegemann sind fünf weitere Landwirte im Parlament vertreten. Sechs von 736. Drei von der Union, eine von der FDP und einer von der AfD. Als Stegemann in den Bundestag einzog, waren es 19 – und 1990 sogar noch 24.

Im Hohen Haus spiegelt sich eine Entwicklung wider: Es gibt immer weniger Bauern in Deutschland. 1960 gab es allein in Westdeutschland 1,5 Millionen Höfe, vor drei Jahren waren es im gesamten Bundesgebiet etwas mehr als 250 000. Warum sollten viele Bauern im Parlament sitzen, wenn es immer weniger von ihnen gibt? Andererseits: Ohne Ernten, ohne Essen geht nichts. Das verdient doch mehr Repräsentanz im Bundestag! Lebenserfahrung kann in der Politik nie schaden, findet Albert Stegemann. "Und mit der Landwirtschaft ist es wie mit der Fußballnationalmannschaft: Du hast mehr als 80 Millionen Trainer und alle wissen, wie es funktioniert."

Die Gäste aus der Ukraine sind weg, Albert Stegemann hat sich zu einigen seiner Leute gesetzt, die gerade Pause machen. Der Aufenthaltsraum ist mit Spanholz ­verkleidet, durch ein Fenster kann man in den Stall blicken. Kühe laufen herum, sie gehen zum Melkkarussell, wenn sie ­merken, dass es dafür Zeit ist. Zur Seite ist der Stall ­offen wie ein Festzelt, bei dem man die Plane hochgerollt hat. Auf die Weide kommen die Tiere nicht. "Wir sind kein Nostalgiebetrieb, aber den Kühen geht es gut", sagt ­Stegemann. Die Eltern hatten 80 Milchkühe, als sie ihrem Sohn vor gut 20 Jahren den Betrieb übergaben. Heute sind es 670. Aufhören oder wachsen? Vor dieser Frage stand auch ­Albert Stegemann.

Landwirtschaft oder Politik, das war eigentlich keine Frage. Beides! Schon als Kind half er mit auf dem Hof. "Und mein Vater war Bürgermeister, Politik war bei jedem Frühstück ein Thema." 2002 machte Stegemann seinen Landwirtschaftsmeister, im selben Jahr trat er in die CDU ein, wurde bald Bezirksvorsitzender der Jungen Union und hatte Leute an seiner Seite, die ihm was zutrauten, gerade weil er einen Hof führte. "Mensch, Albert, vielleicht brauchen wir einen wie dich, der im Wahlkreis kandidiert." Den Wahlkreis 31, Mittelems, hat immer die CDU gewonnen.

"Es wird hektischer auf den Getreidemärkten"

Stegemann ist meistens als Abgeordneter unter­wegs, pro Jahr gibt es mindestens 20 Sitzungswochen. An einem Mittwochmorgen im Juni zum Beispiel, da tagt im Berliner Paul-Löbe-Haus der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft, für Stegemann ein Pflichttermin. Er ist Vorsitzender der Arbeitsgruppe für Ernährung und Landwirtschaft in seiner Fraktion. Stegemann sieht nicht anders aus als auf dem Hof, ist in Jeans und Hemd unterwegs, einen Schlips trägt er selten. Cem Özdemir ist in die Sitzung gekommen, Landwirtschaftsminister in der Ampelkoalition.

Özdemir ist froh, dass die demokratischen Parteien nach dem russischen Angriff auf die Ukraine zusammenstanden, auch in der Landwirtschaftspolitik. Dafür will er sich heute bedanken. Dann sind die Abgeordneten an der Reihe. Stegemann fängt an. "Es wird hektischer auf den Getreidemärkten, aber Sie extensivieren die Landwirtschaft. Ist das der richtige Weg?"

Extensivierung, das Wort umreißt einen Kernkonflikt in der Landwirtschaftspolitik. Denn Extensivieren be­deutet, dass Landwirte weniger Dünger und Pflanzenschutzmittel einsetzen, dafür aber auch weniger Erträge in Kauf nehmen. Viele Parteien wollen das, vor allem die Grünen.
Reihum können die Abgeordneten Fragen stellen. Die Atmosphäre im Ausschuss ist konzentriert, nicht so hitzig wie bei Bundestagsdebatten. Aber ein AfD-Abgeordneter greift den Minister scharf an, fragt ihn: "Sprechen Sie noch mit den Menschen und Bauern – oder macht Ihnen das Angst?" Der Minister kontert. Man solle nicht denen glauben, die erzählten, den Bauern werde es mit Pestizidreduktionen schlechter gehen – das Gegenteil sei der Fall, sagt Cem Özdemir, nimmt seinen Fahrradhelm und entschuldigt sich, dass er früher gehen muss.

Die Ausschussmitglieder arbeiten sich durch die Tagesordnung, es geht ums Weingesetz und um Flächenstill­legungen. Ab und zu blitzen Gegensätze auf, die ­Grünen-Abgeordnete Anne Monika Spallek sagt: "Jeder Kuhfladen hat was mit Biodiversität zu tun. Kühe gehören auf die Weide." Nach mehr als drei Stunden ist Schluss. Stegemann muss auch noch an seiner Rede zum Tierhaltungskennzeichnungsgesetz arbeiten, aber wann? Übermorgen ist die Abstimmung im Bundestag. Er hat sechs Minuten Redezeit.

Jetzt wird erst mal nichts daraus. Mittagessen im ­"Lampenladen", wie alle die Bundestagskantine nennen. Dann zu Fuß ins Büro "Unter den Linden", vorbei am ­Brandenburger Tor, da wartet schon der Vertreter eines Süßwarenherstellers in einem Besprechungszimmer. Schräg gegenüber hat Angela Merkel ihre Büroräume, am Ende des Flures Rita Süssmuth. Der Vertreter ist ­redselig und erzählt, wie nah er früher an der Geschäftsführung des Unternehmens war: "Ich habe direkt an den Chef ­berichtet!" Der Lobbyist rennt offene Türen ein. Wieder spielt Cem Özdemir eine Rolle, der Werbung für ­Lebensmittel einschränken will, die so süß, fettig oder ­salzig sind, dass sie Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation überschreiten. Um Kinder zu schützen, soll ­Reklame für Gummibärchen oder Chips nur noch zu bestimmten Zeiten erlaubt sein.

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Infobox

Der Strukturwandel in der Landwirtschaft

Warum prägen Agrarunternehmen die Landwirtschaft? Erstens: Die gemeinsame Agrarpolitik der EU richtet sich vor allem nach der Fläche – je größer ein Betrieb ist, desto mehr EU-Prämien bekommt er. Zweitens: Landwirtschaft ist auf teure Maschinen angewiesen, auch Ställe kosten viel Geld. Kleinere Höfe können diese Investitionen nicht stemmen. Viele Betriebe spezialisieren sich auf eine Tier- oder Pflanzenart. ­Damit senken sie die Kosten pro produzierter Einheit, zum Beispiel pro Kilo Milch oder Kartoffeln. Die ­Betriebe werden aber auch anfälliger für Preisschwankungen oder Wetterextreme. Drittens: Schon heute sind 40 Prozent der Hofleitungen älter als 55 Jahre. Aber nur wenige junge Menschen wollen in die Landwirtschaft – das Höfesterben geht weiter.

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