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Neulich bekam er eine begeisterte Mail aus Mexiko: Ob er nicht auch für Städte dort eine seiner Utopien entwickeln könne? Es sei so wunderbar gewesen - diese Vorstellung von einem Leben in einer Stadt ohne Verkehrslärm, ohne Dreck, ohne Abgase....
Dabei hat Jan Kamensky noch nie für eine Stadt in Mexiko gearbeitet. Die junge Frau hatte Bilder im Web gesehen und sich dann vorgestellt, wie das in der eigenen Stadt wäre, wenn...
die Autos einfach mal wegfliegen würden.
Eines nach dem anderen, vom SUV bis zum Fiat, vom Laster bis zum Reisebus, vom Wohnwagen bis zum Kleintransporter. Dazu Metallstange für Metallstange die Ampeln und Verkehrszeichen, die sich ruckelnd und quietschend aus der Verankerung lösen und wie befreit in den Himmel steigen. Alles weg. Alles fliegt davon.
Und wenn dann alles frei ist, dann verwandeln sich Asphalt und Zebrastreifen in Beete, Geh- und Fahrradwege. Bäume wachsen in den Himmel, bunte Blumen am Boden. Statt Hupen hören wir Vögel zwitschern und statt der Autos tummeln sich Menschen auf den neuen Flächen, reden, lachen, spielen miteinander.
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Was für ein schöner Traum.
Jan Kamensky lässt ihn als Utopie sichtbar werden - in zahllosen Plätzen auf der ganzen Welt. Neulich gerade im Auftrag von Greenpeace in Nairobi, Delhi und Sao Paulo, alles Städte, in denen das Auto in einem Ausmaße dominiert, wie wir es uns in Deutschland kaum vorstellen können.
Aber natürlich hat Jan Kamensky auch schon viele deutsche Städte verwandelt. Eben auch in Köln, den Barbarossaplatz oben vom Bild:
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Studiert hat Jan Kamensky, Jahrgang 1986, Kommunikationsdesign. Er hat für Medien, den Fußballclub FC St. Pauli in Hamburg gearbeitet und wie viele andere saß er in der Corona-Zeit oft allein zu Hause und hatte Zeit und Raum für neue Ideen. Die Klimakatastrophe treibt ihn um. Was kann er tun, um der Gesellschaft im schwierigen Prozess der unbedingt notwendigen Transformation zu helfen?
Bilder schaffen, neue Visionen von lebenswerten Städten. Am Rechner. Er begann zu experimentieren, wurde zum digitalen Gärtner. Sein Ziel?
Ein neues Narrativ schaffen, erzählt er mir. Dabei komme es ihm gar nicht so sehr darauf an, ob diese Visionen auch wirklich realistisch und umsetzbar seien. Er könne "naiv" arbeiten, habe eben ganz andere Freiheiten als die Architektur und die reale Stadtplanung. Ihm geht es um den "Platz im Kopf", den seine Utopien neu besetzen. Mit Bildern, Tönen und Gefühlen, die viele von uns angesichts einer lauten, engen und vollen Realität in den Städten längst verloren haben.
Die meisten Menschen reagieren auf diese Visionen mit Begeisterung. So wie die Mailschreiberin aus Mexiko. Über 35 000 Menschen folgen ihm auf Instagram. Jan wird eingeladen zu Ausstellungen und Vorträgen. Gerade eröffnet im Frankfurter Historischen Museum eine Ausstellung zum Thema "Bewegung" - auch eine neue Utopie vom Eschersheimer Tor wird da erstmalig zu sehen sein.
Neulich war Jan bei der Bahn eingeladen, zeigte seine Utopien vor einer großen Runde von "Schienenbauern" und wunderte sich über sich selbst: "Was habe ich eigentlich damit zu tun?"
Viel, denn auch dort braucht es neue Ideen, Visionen und Utopien, die unsere Gedanken fliegen lassen.
Allerdings: Längst nicht alle finden toll, was er da zeichnet. Einige werden wütend, wenn er so tut, als könnten wir ganz ohne Autos leben; andere finden das einfach nur blödsinnig; wieder andere werden traurig: "Ich gucke mit der Lupe auf die Gegenwart", beschreibt es Jan. Und das sei oft schmerzlich, ein "Dystopiecheck" eben. Unsere Städte sind laut, dreckig und hässlich. Wir haben uns alle daran gewöhnt.
PS:
Jan lebt wie ich in Hamburg. Tatsächlich kennengelernt haben wir uns jedoch in meiner zweiten Heimat, dem Tiroler Ort Alpbach, beim diesjährigen europäischen Forum, auf einem Workshop zu neuen Bildern von unseren Städten. Dort waren Gäste aus aller Welt, junge wie alte. Sie nahmen wie ich neue Bilder mit nach Haus.