Meditation
Mit Meditation zuversichtlicher werden
Meditationen in den Berufsalltag einbauen, allein oder im Team – ist das realistisch? Ja, sagt Silvia Engelhardt, Gründerin der gemeinnützigen Meditation Studies Initiative
Mann meditiert im Anzug und Schneidersitz auf dem Boden in einem Bürogebäude
Meditieren kann man auch mit Anzug. Hauptsache, man sitzt aufrecht mit geradem Rücken
Westend61 / Getty Images
Tim Wegner
15.07.2025
6Min

Menschen, die mich gut kennen, empfehlen mir seit Jahren, dass ich einen mehrtägigen Schweigemeditationskurs in einem Kloster machen soll – damit ich endlich mal etwas gelassener werde. Was sagen Sie dazu?

Silvia Engelhardt: Ich würde sagen: Das müssen Sie nicht unbedingt machen. Aus unserer Sicht reichen schon wenige Minuten am Tag, um einen Effekt auf Körper und Geist zu haben – also in Ihrem Fall: gelassener zu werden.

Ich muss also nicht stundenlang mit schmerzenden Knien im Lotussitz auf einem Kissen hocken, um erleuchtet zu werden?

Einer meiner Lehrer hat mal gesagt, vor zweieinhalbtausend Jahren saß man auf dem Boden, weil noch keine Stühle erfunden waren. Also Hauptsache, man sitzt aufrecht. Doch wirkliche Erleuchtung durch Meditation im buddhistischen Sinne ist ein großes Ziel, ein langer Weg. Ich meditiere seit vielen Jahren intensiv und weiß es daher aus eigener Erfahrung.

Silvia EngelhardtSusanne Baumann

Silvia Engelhardt

Silvia Engelhardt ist Mitgründerin der gemeinnützigen GmbH Meditation Studies Initiative (MSI). Die gelernte Grafikerin hat in leitender Position in Medienhäusern gearbeitet und parallel dazu eine formale Ausbildung in klassischer Meditation begonnen. Sie ist Senior Teacher am Asian Classics Institute und entwickelt aktuell mit dem IT-Unternehmen MaibornWolff eine Meditations-App. Für ihr ehrenamtliches Engagement auf verschiedenen Gebieten, oft in verantwortlicher Position, wurde sie 2019 vom Hamburger Senat ausgezeichnet.

Sie haben gerade in Zusammenarbeit mit der Universität Würzburg eine Studie abgeschlossen: "Potential at Work" heißt sie – es ging im Kern um Berufsalltag und Meditation. Was haben Sie herausgefunden?

Wir wollten wissen, ob sich Wohlbefinden und Motivation für Berufstätige im Arbeitsalltag durch gezielte Meditationen positiv beeinflussen lassen.

Ihre Studie lief über 30 Tage mit 44 berufstätigen Personen. Was mussten die machen?

Sie haben jeweils morgens und abends eine sieben- bis elfminütige Meditation mitgemacht. Am Morgen ging es oft darum, eine Intention für den Tag zu setzen: Pausen zu machen, für sich selbst zu sorgen, aber auch Freundlichkeit mit anderen zu üben und um Wertschätzung für sich selbst und andere zu bitten. Und am Abend einen Schlusspunkt zu setzen mit einer Happy-Hour- oder einer Dankbarkeitsmeditation: Wer hat dir wie an diesem Tag womit geholfen? Wem könntest du mal grundsätzlich für deinen beruflichen Erfolg danken? Was lief gut im Team? Jeweils am Ende der Woche haben wir uns in einem Zoom für Rückfragen getroffen, und dreimal gab es eine Befragung durch standardisierte Fragebögen: am Anfang, in der Mitte, am Ende und nach sechs Wochen, um zu sehen, ob das Programm auch eine anhaltende Wirkung zeigt.

Lesetipp: Hype um Achtsamkeit - was ist dran?

Mit welchem Ergebnis?

In Kurzform besagen unsere Ergebnisse, dass es fast allen Probanden am Ende in ihrem Berufsalltag besser ging als vorher. Sie gingen bewusster mit sich selbst und ihrem Team um; erfuhren dadurch mehr Achtsamkeit, hatten einen tieferen Schlaf, fühlten sich motivierter und kreativer; kurz: einfach besser. Subjektiver Stress und emotionale Erschöpfung gingen signifikant zurück, und interessanterweise war nach sechs Wochen festzustellen, dass die Fähigkeit zum Abschalten von der Arbeit gestiegen war.

Führt das am Ende nicht zu noch mehr Ausbeutung der eigenen Ressourcen? Noch mehr Selbstoptimierung? Und effizienter sein am Arbeitsplatz heißt ja auch: mehr Gewinn für die Unternehmen.

Nun ja, wenn Menschen besser arbeiten, dann machen vielleicht Unternehmen auch mehr Gewinn, das abzuleugnen wäre unehrlich. Aber viel wichtiger ist uns der Schutz des Individuums. Genau das war ja damals für mich auch der Grund, mein Unternehmen zu gründen.

Wie das?

Ich war damals als Grafikdesignerin bei einem großen deutschen Medienunternehmen beschäftigt und wurde befördert. Es war eine tolle Herausforderung, aber ich war einfach komplett überfordert damit. Egal wie sehr ich mich angestrengt habe, es hat nichts funktioniert – und irgendwann habe ich die Reißleine gezogen und bin von dem Job zurückgetreten. In dieser Zeit war ich selber erstaunt über meine Resilienz. Es gab da eine große Stabilität und Zuversicht in mir. Da ich damals schon jahrelang meditierte, war ich – und bin es noch heute – der festen Überzeugung: Meine Meditationspraxis hat mich vor der Ausbeutung durch mich selbst und vor einem Burn-out bewahrt.

Sie haben dann gekündigt?

Nein, aber ich habe die Leitungsposition zurückgegeben, was nicht auf große Begeisterung gestoßen ist. Später ergab sich dann ein ganz anderer Aufgabenbereich, der viel besser gepasst hat. Und dann bin ich 2022 ganz ausgestiegen, um MSI zu gründen.

Wenn ich selbst meditiere, dann schweifen meine Gedanken immer wieder ab, schon nach wenigen Minuten. Bringt es dann überhaupt etwas?

Der Trainingseffekt tritt ein, wenn du merkst, dass deine Gedanken abgeschweift sind und du sie zurückbringst. So lernen wir, unseren Geist zu lenken. Unser Gehirn ist einfach großartig. Wir können bestimmen, woran wir denken. Doch das braucht Zeit und Regelmäßigkeit. Wer das einmal erkannt hat, der ist, so würde ich es vielleicht sogar pathetisch sagen, ein glücklicherer Mensch. Ich bin davon überzeugt, dass wir alle die Kraft unserer Gedanken unterschätzen. Wenn wir lernen, unseren Geist gezielt zu lenken, hilft uns das, präsenter zu sein, Probleme anzugehen, aber auch, destruktive Muster oder endlose negative Gedankenschleifen zu stoppen.

Lesetipp: Soziale Gehirnforschung und unser Freund-Feind-Denken

Ist es egal, worüber ich meditiere?

Überhaupt nicht. Das eine ist, den Fokus zu halten, das andere wichtige Element jeder Meditation ist der Inhalt.

Zum Beispiel?

Es gibt sehr effektive Dankbarkeitsmeditationen, die ein wahres Feuerwerk an positiven Reaktionen in unserem Nervensystem auslösen. Dazu gibt es mittlerweile sehr viele Studien.

Im Netz gibt es Hunderte von Meditations-Apps. Alle versprechen schnelle und leichte Entspannung. Sie planen jetzt auch eine App – was ist der Unterschied?

Ein Unterschied ist sicherlich der Meditationsgegenstand. In unseren Meditationen steht das Atmen nicht im Zentrum, sondern es ist eine Aufwärmübung, damit man sich mit dem geschärften Geist auf inhaltliche Dinge konzentrieren kann. Das ist der große Unterschied zwischen Achtsamkeits- oder Entspannungsübungen und Meditation. Außerdem empfehlen wir immer Stetigkeit. Es ist nicht langweilig, die gleiche Meditation über viele Wochen zu machen. Gerade durch die Regelmäßigkeit erreichen wir eine wirkliche Tiefe des Geistes.

Lassen sich die positiven Ergebnisse von gezielten und kurzen Meditationen, wie Sie sie empfehlen, wissenschaftlich beweisen?

Es gibt mittlerweile mehr Studien dazu. Selbst bei einer kurzen Dankbarkeitsmeditation wird zum Beispiel unser Immunsystem gestärkt, die neuronalen Schaltkreise im Gehirn werden positiv verändert, Entzündungsprozesse im Gehirn, im Herzen, im Atemsystem werden gehemmt, Ängste werden reduziert. Nachweisbar ist auch, dass sich die sozialen Beziehungen verbessern, und zwar nicht nur gegenüber der Person, der man dankbar ist, sondern das gesamte soziale Umfeld verändert sich, und auch auf die Beziehung zu sich selbst hat das einen positiven Einfluss.

Sie haben 2023 Ihr Programm an Kollegien verschiedener Schulen in Deutschland und Österreich getestet. Was kam dabei heraus?

Die Lehrerinnen und Lehrer haben uns ein zum Teil unendlich berührendes Feedback gegeben. Sie haben uns erzählt, dass vor allem die Meditationen mit den Themen Intention und Wertschätzung am Morgen dazu geführt haben, dass sie gegenseitig über den Tag kleine Gesten der Wertschätzung untereinander ausgetauscht haben – vielleicht einfach mal ein "Danke" oder eine Tasse Tee oder Ähnliches. Und sie hatten sich sogar einen Raum eingerichtet, in dem die, die wollten, ein paar Minuten am Tag zusammen eine geführte Meditation machen konnten.

Sie empfehlen also auch gemeinsame Meditationen während der Arbeitszeit?

Ja! Das zusammen zu machen, stärkt das Team. Das Feedback einer Schulleiterin bringt es auf den Punkt: "Ich habe mir am Tag mehr Momente des Innehaltens gegönnt und habe auf meine Kolleginnen und Kollegen anders reagiert als zuvor. Ich selber habe mich insgesamt als achtsamer und milder mir selbst und anderen gegenüber empfunden."

Ihr Unternehmen ist eine gGmbH – also gemeinnützig. Was ist Ihr Ziel?

Wir wollen dazu beitragen, dass mehr Menschen die Kraft der Meditation entdecken. Dazu kooperieren wir auch mit anderen gemeinnützigen internationalen Organisationen, zum Beispiel dem Yoga Studies Institute und dem Asian Classics Institute. Und alle Gewinne dienen auch diesem Ziel und werden reinvestiert.

Haben Sie Wünsche für weitere Studien?

Mein persönliches Ziel ist eine Studie über das Älterwerden und Meditation.
Erste Studien belegen, dass Meditation den Alterungsprozess des Gehirns verlangsamt. Und in einer Gesellschaft, die immer älter wird, ist das sehr relevant. Das begeistert mich!

Bitte am Ende noch zwei praktische Tipps für den Alltag.

Was ich immer empfehle, ist der "physiologische" Seufzer: zweimal tief hintereinander einatmen, am besten durch die Nase. Dann möglichst lange durch den Mund mit gespitzten Lippen wieder ausatmen, so langsam es geht. Zwei bis drei dieser Atemzüge genügen, um die Herzschlagfrequenz und den Blutdruck in Echtzeit zu senken. Und dann natürlich: ein tägliches Meditationstraining. Das muss überhaupt nicht spektakulär sein. Ein paar Minuten am Tag reichen aus, aber die sollten Sie regelmäßig einbauen und so sich selbst und Ihren Geist daran gewöhnen. Das ist nicht langweilig – das ist Training.

Infobox

In einer Studie der New York University unter Prof. Wendy Suzuki von 2019 zeigte sich, dass 13 Minuten täglicher Meditation über mindestens acht Wochen auch bei Meditationsneulingen signifikante Verbesserungen in Stimmung, Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Stressresilienz bewirken.

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.