Ehrenamt
"Wo Müll ist, kommt mehr Müll hin"
Sie suchen ein Ehrenamt? Wir haben ein Beispiel für Sie: Friedhelm Kappenstein, Jahrgang 1954, sammelt Müll aus einem Bach - und hilft damit, die Natur sauberzuhalten
Friedhelm Kappenstein, Bachpate
Seit neun Jahren sammelt Friedhelm Kappenstein Müll im Bach. Manchmal findet er auch Kuscheltiere
Privat
11.07.2025
3Min

chrismon: Was war das Schrägste, das Sie je aus dem Bach gefischt haben?

Friedhelm Kappenstein: Die Liste an wunderlichen Dingen ist lang: Kastenwagenweise aufgebrochene Fahrradschlösser. Ein buddhistischer Schrein in Knallrot. Spektakulär war ein metergroßer, pinker Deko-Salamander. Er steckte nahezu lasziv im Matsch. Fernseher, Laptops, Handys und – sehr kurios: persönliche Daten auf Ausweisen oder Bankkarten. Jüngst das Portemonnaie eines Geflüchteten, alle Unterlagen darin, außer Geld. Hier muss es also viele Situationen geben, in denen gestohlen oder einfach nur verloren wird.

Wie sind Sie Bachpate geworden?

Auf meinem Weg zum Bahnhof überquere ich immer den Bach und ärgerte mich über den Müll. Ich kontaktierte die Stadtverwaltung und den Erftverband, ob man da etwas Offizielles einrichten könnte. "Eine Bachpatenschaft", hieß es. 2016 war das.

Was ist das für ein Bach, um den Sie sich kümmern?

Der Veybach, ein Zufluss der Erft, fließt großenteils unterirdisch durch Euskirchen. An der Stelle, ab der ich mich um ihn kümmere, kommt er heraus und geht etwa einen Kilometer lang durch die Stadt und einen Park. Er ist etwa vier Meter breit und begradigt. Meist wate ich knietief durchs Wasser, manchmal bis zum Bauchnabel, manchmal hängt man plötzlich bis zum Hintern im Schlamm. Ein Fischeranzug ist ein Muss.

Warum machen Sie das?

Aus persönlicher Betroffenheit und Ärger, dass Gewässer und Uferbereiche so versifft aussehen. Die Stadt schafft es offensichtlich nicht, obwohl es alle zwanzig Meter einen Mülleimer gibt und regelmäßig gesäubert wird. Einer muss ja anfangen, und es werden immer mehr.

Sie sammeln den Müll nicht mehr allein?

Seit letztem Jahr ist ein Nachbarschaftsprojekt der Caritas dabei. Daraus hat sich eine schöne kleine Gemeinschaft gebildet. Die Leute treffen sich zweimal im Jahr für ein paar Stunden – im Frühjahr nach dem Karneval und im Herbst –, meine Frau macht einen Imbiss. Man macht was Gutes und trifft Leute. Der Spaßfaktor hat enorm zugenommen. Das hat sich schön entwickelt.

"Der Bach spiegelt wider, was in der Zivilisation produziert wird"

Friedhelm Kappenstein

Wie oft machen Sie das?

Zwei bis drei Mal im Jahr. Manchmal schiebe ich spontan zwischendrin eine Runde ein.

Wie viel Müll finden Sie?

Auf 150 Meter locker eine Schubkarre voll. Durch die Spiegelung des Wassers sieht man gar nicht, wie viel Mist sich in kürzester Zeit wieder ansammelt.

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Was hat Sie anfangs überrascht?

Der Bach spiegelt wider, was in der Zivilisation produziert wird und gerade so vor sich geht: Sportwaffen, Lachgaskartuschen, alles, was Süchte so hervorbringen.

Was ist schön?

Der Flow, in den ich schnell komme. Ich gehe in den Bach und wandere durch die Fluten. Ich bin weg, gucke, die Sonne scheint, Nutrias schwimmen vorbei, ein Reiher startet. Dann finde ich wieder was. Das ist meditativ. Passanten bleiben stehen und wundern sich, Kinder fragen ihre Omas. Ich komme in Kontakt mit den Leuten und stoße auf Interesse.

Was machen Sie mit dem Müll?

Die Stadtverwaltung entsorgt die Müllsäcke und sperrige, schwere Objekte. Besonderheiten verwahren wir. Irgendwann möchten wir mit der Kreis-, der Stadtverwaltung oder dem Erftverband eine Ausstellung machen. Meine Frau entwirft hochwertige Mode mit Recycling und Upcycling. Die Idee ist, das Verstörende dem Ästhetischen gegenüberzustellen.

Was nervt?

To-go-Sachen! Die regen mich auf! Zigaretten, Becher, Chipstüten – und Quetschies, kennen Sie die? Diese Mini-150-Milliliter-Tüten mit Obstbrei. Nach der Schnullerphase kommt wohl die Quetschie-Phase. Unglaublich, dass es bisher nicht gelungen ist, bei der Produktion von Verpackungen was zu bewirken! Als ich meine Fundstücke im Supermarktregal wiederentdeckt habe, war ich ziemlich fertig.

Was wünschen Sie sich?

Schön wäre natürlich, wenn meine Patenschaft nicht mehr nötig wäre. Nach dem Broken-Windows-Prinzip heißt es: Wo Müll ist, kommt mehr Müll hin. Den Kreislauf wollte ich, wollen wir durchbrechen. Bisher ist das leider nicht gelungen.

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