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Im Jahr 2023 erhielten rund 200.095 Menschen die deutsche Staatsbürgerschaft. Das ist eine Rekordzahl an Einbürgerungen seit dem Jahr 2000. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ist die Zahl der Einbürgerungen damit im Vergleich zum Jahr 2022 um rund 31.000 gestiegen, ein Plus von 19 Prozent. Unter denjenigen, die einen deutschen Pass erhielten, waren überwiegend Männer mit einem Durchschnittsalter von 29 Jahren. Mehr als die Hälfte aller Einbürgerungen (56 Prozent) waren Menschen aus Syrien, der Türkei, dem Irak, Rumänien und Afghanistan.
Allerdings stieg die Zahl der Einbürgerungen von Ukrainer*innen nur um 6 Prozent auf 5900, und das sind nur 3 Prozent aller Einbürgerungen in Deutschland im Jahr 2023. Aus welchen Ländern auch immer diese Menschen kommen - sie alle könnten im Februar wählen. Aber machen sie von diesem Recht auch Gebrauch?
Ich habe mit eingebürgerten Freundinnen und Freunden aus Marokko, Iran, Armenien und der Türkei gesprochen. Die meisten antworteten, dass sie sich in der Politik nicht besonders gut auskennen und daher keinen Sinn darin sehen, an den Wahlen im Februar teilzunehmen. Ich finde: Das ist wirklich ein Problem.
Denn gerade jetzt, zu einem Zeitpunkt, an dem eine extremistische Partei wie die AfD äußerst beliebt ist und die Chance hat, noch mehr Macht zu erlangen, zählt jede Stimme.
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Allerdings steht Politik für Migranten und insbesondere für Geflüchtete sehr oft nicht an erster Stelle. Das ist verständlich, denn in den Anfangsjahren hat man in einem fremden Land ganz andere Probleme: Man muss eine Wohnung finden, arbeiten, die Sprache lernen. Das alles nimmt so viel Zeit in Anspruch, dass wenig Zeit bleibt, um sich für die politischen Fragen der neuen Heimat zu interessieren, geschweige denn, sich in Detailfragen zu vertiefen.
Aber auch Interesse lässt sich üben und trainieren. Wer damit nicht irgendwann beginnt, dem bringt auch der deutsche Pass nicht plötzlich neue Erkenntnisse.
Was tun?
Ich glaube, beide "Seiten" müssten aktiver werden. Eingewanderte müssen sich trotz des Stresses in den ersten Jahren eben auch für Politik interessieren. Möglichkeiten, sich zu informieren, gibt es genug: Zum Beispiel sind Kindersendungen im Fernsehen oder auf YouTube, wie etwa die "Sendung mit der Maus", eine gute Möglichkeit, niedrigschwellig in politisches Wissen "einzusteigen".
Aber auch Politik und Verwaltung könnten und sollten versuchen, die aktive Teilnahme von eingewanderten Menschen in den Fokus zu nehmen. Haben die Parteien diese Menschen wirklich im Blick? Meiner Erfahrung nach sind zum Beispiel Parteitage oder Wahlveranstaltungen nur etwas für Menschen, die sich schon gut in Deutschland und seiner Politik und Verwaltung auskennen. Wir Neuankömmlinge bleiben oft draußen vor - fühlen uns als Gäste, wie auch bei den Themen, die verhandelt werden.
Völlig unabhängig davon gibt es ein großes, stetig wachsendes Problem: der Anstieg von Rassismus und rassistischen Gewalttaten in Deutschland. Ich bin 2014 zum ersten Mal nach Deutschland gezogen und habe mich in die hiesige "Multikulturalität" verliebt. Ich war beeindruckt, wie harmonisch unterschiedliche Kulturen und Religionen in Deutschland zusammenleben. Und ich habe in den fünf Jahren kein einziges Mal Rassismus oder Vorurteile erlebt.
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Dann kam ich nach dem Ausbruch des großen Krieges 2022 zum zweiten Mal nach Deutschland - und es war ganz anders. Ich erlebte erste Anzeichen einer "negativen Einstellung" mir gegenüber aufgrund meines Migrationshintergrunds. Obwohl ich derselbe Mensch geblieben bin, der ich vor zehn oder fünf Jahren war, gab es im Alltag mehr Probleme für mich und nicht nur für mich: "Aus meiner Sicht ist der alltägliche Rassismus in Deutschland sichtbarer geworden", sagt zum Beispiel Ahmad, ein Freund von mir aus Afghanistan. "Ich kam vor acht Jahren hierher und war beeindruckt, wie tolerant die Menschen hier sind. Heute sehe ich große Wellen des Hasses in sozialen Netzwerken und sogar einfach auf der Straße." Die angenehme Atmosphäre, die vor zehn Jahren herrschte, ist nicht mehr da.
Und doch gibt es ein "trotzdem", das ich allen Freunden und Freundinnen entgegenhalte. Gerade weil der Rassismus steigt, gerade weil sich Parteien wie die AfD in Hass und Hetze gegen Migrantinnen wie mich ergehen, gerade deshalb müssen alle wählen gehen, die es dank ihres deutschen Passes können und betroffen sind. Der Krieg hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, sich aktiv politisch im Land zu engagieren und zu versuchen, die Entscheidungen der Politiker zum Wohle der Gesellschaft zu beeinflussen.
Und zum Glück bin ich mit dieser Einstellung nicht allein: "Mein Mann und ich sind vor fast 20 Jahren nach Deutschland gekommen. Hier konnten wir neue Freunde finden, uns in unserem Beruf verwirklichen und ein tägliches Leben aufbauen", sagt meine aus der Ukraine stammende Bekannte Olena. Und weiter: "Hier wurden unsere Kinder geboren, mit denen wir oft reisen und Deutschland entdecken. Das ist ein wunderschönes Land mit toleranten und intelligenten Menschen. Als schon deutsche Staatsbürgerin möchte ich, dass dieses Land stark, modern und demokratisch bleibt. Deshalb werden mein Mann und ich auf jeden Fall an den Wahlen im Februar teilnehmen und unsere Stimmen für diejenigen Kandidaten geben, die demokratische Werte und Modernität maximal unterstützen."