Wie modernes Beichten geht: der Beicht-O-Mat
Jana Kreisl
Modernes Beichten
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Wohin mit Schwäche und Druck? Kommt in meinen Beicht-O-Mat, sagt die Künstlerin Jana Kreisl, sie hat ihn selbst gebaut. Kommt in die Kirche, erwidert der Theologe Johann Hinrich Claussen
Tim Wegner
Lena Uphoff
05.06.2023
10Min

chrismon: Frau Kreisl, wie sind Sie auf die Idee mit dem Beichtstuhl gekommen?

Jana Kreisl: Ich habe mit dem Beicht-O-Mat der Kirche ein Ritual geklaut, weil alle dieses Ritual kennen. Um den Zugang zu er­leichtern und einen Gesprächsaufhänger zu haben. Für mich ist die Kirche eine Hüterin der ­Rituale, deswegen bin ich ja auch Mitglied, obwohl ich gar nicht gläubig bin. Rituale sind toll, ­gerade in Momenten, wo man nicht genau weiß, was man machen soll, beispiels­weise in Momenten der Trauer. Da ist es gut zu wissen, dass ­Menschen diese Rituale schon seit Hunderten von Jahren vor mir genauso ­gemacht haben. Man reiht sich quasi ein in die Gemeinschaft der Trauernden. So kann man sich ­geschichtlich eingebettet fühlen und es ­genauso ­machen, ­ohne groß nach­denken zu müssen. Weil ­Kirchen im Alltag immer ­weniger ­wichtig sind, kommen uns diese ­Rituale abhanden. Und besonders, wenn es um Versöhnung geht, kenne ich außerhalb der Kirche nicht viel, was uns dabei hilft. Das war früher mal Gottes Aufgabe.

Können wir einander nicht auch so vergeben oder verzeihen?

Kreisl: Nicht immer. Manchmal ist derjenige, mit dem man hadert, gestorben oder man hat keinen Kontakt mehr. Man muss heute eben vieles mit sich selbst ausmachen. Und das ist eben auch ein großer Druck, dass man immer für sich selbst sorgen muss. Dass niemand sagt: Du hast zwar Mist gebaut, aber jetzt isst du diese Oblate und trinkst dieses Glas Wein und dann ist alles mal wieder gut.

Jana Kreisl, geboren 1986, ist Illustratorin und arbeitet im Bereich graphic recording and comic.

Johann Hinrich Claussen: Rituale ändern sich, man kann mit ihnen spielen, sie ge­stalten. Aber auch dann gehören immer noch die klassischen Elemente aus dem Mittel­alter dazu: dass ich bekenne, was ich gemacht ­habe. Dass ich es bereue, dass mir vergeben wird und dass ich Wiedergutmachung leiste.

Herr Claussen, würden Sie zu Jana Kreisl in den Beichtstuhl gehen?

Claussen: Ich würde mit Frau Kreisl gern ­einen Tee trinken, aber ich habe etwas gegen Beichtstühle.

Warum?

Claussen: Beichtstühle sind Instrumente kirchlicher Disziplinierung und wurden im Protestantismus im 18. Jahrhundert abgeschafft. Damals hat man erkannt, dass sie nicht der religiösen oder moralischen Er­bauung dienen.

Wurde damit bei den Protestanten auch die Beichte abgeschafft?

Claussen: Theoretisch nicht, faktisch schon. Auch in der katholischen Kirche kenne ich es nur noch aus südeuropäischen Ländern, dass in Beichtstühlen gebeichtet wird. Der Beichtstuhl hat etwas Indiskretes und öffnet einer missbräuchlichen Seelsorge Tor und Tür. Andererseits erlebe ich in vielen Trauer­gesprächen beichtähnliche Momente.

Weil Menschen von ihrer Schuld erzählen?

Claussen: Menschen nehmen Abschied von nahen Menschen, da ist oft manches im Unreinen geblieben, oder man ist sich was schuldig geblieben. Auch in einem evangelischen Gottesdienst bringen wir vor Gott, was uns belastet. Bei der Beichte geht es ja nicht nur darum, dass man Schuld zugibt, sondern dass man in einen Prozess der Versöhnung eintritt. Und das Abendmahl ist das Symbol, dass Versöhnung geschehen kann.

Lesen Sie hier die chrismon-Kolumne von Johann Hinrich Claussen

Kreisl: Es geht ja nicht nur darum, dass man sich anderen gegenüber falsch verhalten hat. Viele, die in meinen Beichtstuhl kommen, erzählen, wie schwierig es ist, sich selbst ­anzunehmen. Dass sie immer nach den­selben Mustern handeln und da nicht raus­kommen. Oder gesellschaftlichen Erwartungen nicht entsprechen oder ihren eigenen An­sprüchen nicht genügen. Meistens geht es auch gar nicht um große Schuld, sondern um ­etwas, für das sich die Leute schämen. Weil sie Familien­mitglieder nicht so lieben, wie sie denken, dass sie sie lieben sollten. Eine ­Mutter ist manchmal wütend auf ihr Baby, wenn es nachts brüllt. Ein Mann erzählte, wie es ihn unter Druck setzt, dass von ­Männern immer erwartet wird, dass sie stark sind. Ein ­Ägypter, der nach Deutschland ge­flohen ist, fühlt sich schuldig gegenüber ­seinen ­Freunden, die in Ägypten im Gefängnis ­sitzen.

Claussen: Sich selbst gegenüber barmherzig zu sein, sich selbst lieben zu können, das hat auch etwas mit Verzeihen zu tun. Auch für Menschen, denen Schweres angetan wurde, ist das wichtig. Ihnen geht es gar nicht immer darum, die Beziehung zum Täter zu heilen, sondern das, was geschehen ist, in ihr eigenes Leben zu integrieren und damit weiterleben zu können.
Kreisl: In meinem Beicht-O-Mat müssen die Leute nicht mal sich selbst verzeihen. Das übernehme ich für sie. Sie können einfach das, was sie belastet, ablegen, indem sie es aussprechen. Ich höre zu und zeichne mit.

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Wie funktioniert das praktisch?

Kreisl: Ich baue ihn im Rahmen von Kunst- und Kulturveranstaltungen auf. Immer auf öffentlichen Plätzen, um ein möglichst breites Publikum zu erreichen. Die Leute kommen, gehen um die Box herum, sprechen mich an, finden das erst mal lustig, auch dass da groß "Sünde" draufsteht. Meistens sagen sie gleich: "Ich habe gar nichts zu beichten." Ich sage ­ihnen dann, dass es gar nicht um große Verfehlungen geht, nicht um Ehebruch oder Kinder­schlagen, dass sie mir etwas ­erzählen können, was sie beschäftigt. Das kann ein Thema sein oder eine Geschichte. Es geht nicht um die Sünde im christlichen Sinne.

Claussen: Der Beichtstuhl ist ja ein wahn­sinnig beliebtes Klischee, auch in Filmen kommt er oft vor, weil man da Dinge heimlich erzählen kann, die dann später wieder eine Rolle spielen. Insofern ist er auch ein toller Spiel-O-Mat.

Kreisl: Mich hat überrascht, wie sehr mir die Leute vertrauen. Ich stehe da ja nicht als ­Vertreterin einer Institution. In der Box sind die Gäste von mir durch einen transparenten Vorhang getrennt. Ich glaube, das hilft auch, dass sie sich öffnen.

Claussen: Es scheint in diesen Situationen einen Moment zu geben, wo die Stimmung kippt: Die Leute werden angelockt von dem schwarzen Kubus, sind neugierig, ach, witzig, dann gehen sie rein, und es hört mit dem Witz auf. Sie fangen an zu erzählen, sind in Tränen aufgelöst. Da wird eine Schwelle überschritten von witzig, ironisch, komisch zu ernst.

Kreisl: Wenn wir uns beide hingesetzt haben, ist das ein magischer Moment. Da verändert sich etwas, dann fangen sie an zu erzählen.

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Claussen: Wenn Menschen einfach mal so in eine Kirche gehen, für sich alleine, über­schreiten sie auch eine Schwelle. Manche schreiben dann etwas in die Fürbittbücher, da geht es nicht selten um Scham, Schuld, Druck.

Kreisl: Früher hatte ich ein Problem mit der Figur des Jesus am Kreuz. Heute ist der gekreuzigte Jesus für mich ein Symbol der Traurig­keit. Und somit wird die Kirche zum Ort der kollektiven Melancholie. Ein Ort, um sich gemeinsam einem melancholischen Gefühl hinzugeben. Kirchen können ein guter Ort für Traurigkeit sein. Dafür ist ja in ­unserer Gesellschaft kaum Platz. So wirkt auch der Beicht-O-Mat: Ich muss gar nichts mehr darstellen, ich kann einfach mal traurig sein.

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Claussen: Es ist so wichtig, die Alltagswelt für einen Moment verlassen zu können, wenn viel Druck herrscht. Dann können viele unterdrückte Empfindungen wie Traurigkeit und Schwäche wach werden. Wir brauchen solche Orte, an denen wir auch Schamgefühle aus­leben können.

Johann Hinrich Claussen ist evangelischer Theologe und Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

Kreisl: Ich hatte gar nicht gedacht, dass das Bedürfnis danach so groß ist! Ich wollte ­vergangenes Jahr an sechs Orten mit dem Beicht-O-Mat auftreten. Dann waren es 13 Orte. Meistens habe ich bei den Kulturämtern der Stadt angerufen und davon erzählt. Noch nie ist eine meiner Kunstaktionen so schnell auf so viel Gehör gestoßen.

Geben Sie den Menschen, die Ihnen etwas erzählen, Ratschläge?

Kreisl: Das ist nicht meine Aufgabe, und ich versuche wirklich, das nicht zu tun. Auf der Box steht auch: "I don’t judge and I don’t give advice." Aber bei einer Geschichte konnte ich mich nicht zurückhalten. Da hat mir eine Frau von ihren Schuldgefühlen erzählt, weil sie ihre Mutter nicht lieben kann. Die hatte sich aber auch furchtbar verhalten. Da habe ich gesagt, dass es okay ist, dass sie die ­Mutter nicht liebt, nach dem, was sie ihr angetan hat. Aber eigentlich lasse ich die Geschichten einfach so stehen.

Claussen: Das ist klassische evangelische Seelsorge! Es gibt einen geschützten Raum, da kann man sagen, was man möchte. Es wird nicht bewertet, und es werden keine ­Rat­schläge gegeben. Das Gegenüber hört zu, trägt mit. Das Besondere bei Ihnen ist, dass daraus ein Kunstwerk wird.

Was ist schlecht daran, wenn man etwas rät?

Claussen: Das ist eine urmenschliche Re­aktion. Ein Unglück begegnet einem, man möchte ­etwas dagegen tun, es wieder unter Kontrolle bringen. Man macht es sofort handhabbar und gibt es zurück. So hält man es von sich selbst fern und lässt die Person wieder alleine.

Kreisl: Stattdessen geht es darum, etwas gemeinsam auszuhalten. Das ist im Alltag sehr schwierig, weil wir nicht wollen, dass es den Menschen, die uns nahestehen, schlecht geht, deswegen wollen wir immer Ratschläge geben. Aber das eigentlich Heilsame ist das gemeinsame Aushalten. Ich gebe der Person in dem Moment wirklich alles, was ich habe: meinen Körper, meine Empathie, meine Kreativität und meine Zeit. Hinterher bin ich meist total ausgelaugt. Manchmal konnte ich danach nicht mal mehr eine Whatsapp-Nachricht schreiben. Nach einem Wochenende in der Box kann ich ein, zwei Tage mit niemandem sprechen. In dem Moment, in dem die Person das von mir gezeichnete Bild erhält, gebe ich ihr ihre Geschichte wieder zurück. Danach ­beschäftigt sie mich inhaltlich nicht mehr.

Jana Kreisl: Geht´s eigentlich nur mir so? Eichborn, 176 Seiten, 18 Euro

Wollen die Leute die Zeichnungen immer haben?

Kreisl: Ja! Die warten auch immer, bis ich fertig bin. In dieser Zeichnung stecken ja die ganzen Gefühle. Es gibt dann einen physischen Ort für eine Sache, die vorher keinen physischen Ort hatte. Eine Geschichte ist besser greifbar, wenn man sie vor sich sieht. Ich mache immer noch ein Foto von den Zeichnungen, sie sollen in einem Buch erscheinen. Weil ich glaube, dass man sich in den Geschichten der anderen wiederfindet. Dadurch kann man ­Erleichterung erfahren, auch wenn man nicht im Beicht-O-Mat war.

Claussen: Auch in manchen Gottesdiensten werden die Besucher aufgefordert, ihre negativen Gefühle aufzuschreiben, dann kommen alle Zettel in einen großen Feuertopf und ­werden verbrannt. Mit so einer Aktion kann man innere Heilungsprozesse anstoßen. Aber bis etwas innerlich heilt, dauert es lang. Das ist gesellschaftlich ja nicht gern gesehen.

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Wurde Ihre Kunstaktion schon mal von der Kirche kritisiert?

Kreisl: Einmal kam eine Pastorin mit Theo­logiestudenten und fand es nicht gut, dass ich das mache, weil nur Gott die Sünden vergeben könne. Aber darum geht es mir ja gar nicht, das erwartet auch niemand von mir.

Wer hat denn ursprünglich in der Beichte vergeben?

Claussen: Im Mittelalter der Priester – stell­vertretend für Gott. Man ging damals von einem zornigen Gott aus. Deshalb spielten die Heiligen und die Gottesmutter Maria eine große Rolle. Sie sollten bei Gott ein gutes Wort für die Menschen einlegen und vermitteln. Aber heute geht es in der evangelischen Kirche nicht mehr um Gericht, Strafe und/oder Freisprechung, sondern um einen innerseelischen Vorgang, den man nicht mit juristischen Kate­gorien fassen kann. Es verwandeln sich ja nicht nur unsere Rituale, sondern auch ­unsere Vorstellungen vom Göttlichen. Ein starres Gottesbild – Gott als personifizierte, absolute Autorität – spricht nur wenige an. Sie glauben eher daran, dass Gott in Beziehungen wirkt. Und wenn Sie so intensiv zuhören, ist das nicht auch ein Beziehungs­geschehen? In dem auch ein Moment von Vergebung enthalten ist? Und dann machen Sie daraus etwas Schönes, Lustiges, das ist doch ein Keim neuen Lebens. Der Heilige Geist wirkt dann eben in diesen Prozessen.

Gibt es für Sie eine Grenze, ab der Sie eine Geschichte nicht zeichnen würden? Was ­wäre, wenn Ihnen jemand erzählen würde, dass er seine Frau geschlagen hat?

Kreisl: Zum Glück bin ich nicht in die Situa­tion gekommen, dass ich jemanden rausschmeißen musste. Ich habe ja auch keine therapeutische Ausbildung.
Claussen: Ich habe schon Situationen erlebt, in denen mir jemand erzählt hat, dass ihm Schlimmes angetan wurde. Das hat auch ­etwas von Beichte. Das hat mich mal an den Rand dessen gebracht, was ich gut aushalten kann. Aber ich hatte zum Glück nie einen Mörder bei mir. Mir haben aber Kollegen und Kolleginnen aus der Krankenhaus- und Altenseelsorge erzählt, dass sie so etwas er­leben: Mit der beginnenden Demenz brechen Schutzwälle, und alte Männer erinnern sich plötzlich an die Gewalt, die sie im Zweiten Weltkrieg ausgeübt haben.

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Könnten sich nicht auch Pfarrer mit einer solchen Box auf den Marktplatz stellen?

Claussen: Das wäre lustig. Aber es funk­tioniert bei Frau Kreisl ja nur, weil sie eben ­keine Pfarrerin ist. Weil der Beichtstuhl ­ironisch gebrochen ist. Und viele Kolleginnen würden vermutlich denken, dass sie da wieder in so ein Klischee gepresst werden, das sie gar nicht sind. Sie wollen wie ich Gesprächsräume öffnen und Heilungsprozesse befördern, aber nicht mit Beichtstuhl. Ich würde es nicht tun.

Ersetzt die Kunst die Kirche?

Claussen: Das glaube ich nicht. Ich finde aber interessant, wie sich Dinge verwandeln und verändern. Und manchmal zusammenklingen oder einen anderen Weg gehen. Die klassische mittelalterliche Beichte wird nicht mehr gelebt, aber ihre Elemente nehmen andere Formen an wie in dieser Performance oder in einem Seelsorgegespräch.

Eine erste Version des Textes erschien im Juni 2023.

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Frau Kreisl sagt: Früher hatte sie ein gespaltenes Verhältnis zur Figur des Jesus am Kreuz. Heute sei der gekreuzigte Jesus für sie ein Symbol der Traurigkeit.
Das ist mir zu flach! Das zentrale Symbol der Christen weist auf so Vieles hin, darin steckt so viel Theologie, da ist ein rein emotionaler Zustand (traurig sein) als Erklärung zu wenig. Überhaupt geht Frau Kreisl die Erfahrung mit Beichte, den Umgang mit Schuld, die Scham, das Bedürfnis nach Entschuldung rein über die emotionale Seite an. Das ist wichtig, aber reicht nicht aus, dieses Thema anzusprechen. Erst durch eine theologische, verstandesgeleitete Untermauerung wird so ein menschliches Bedürfnis geerdet, nur dann können sich andere, auch neue Formen herausbilden.

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Dies komme mir vor wie eine Anleitung zu einem Leben ohne Gott. Der gekreuzigte Jesus wird nur noch zu ‚einem Symbol der Traurigkeit…. und die Kirche zum Ort der kollektiven Melancholie.‘ Gleich zu Beginn teilt Frau Kreisl mit, dass sie gar nicht gläubig ist und später ‚Versöhnung …. Das war früher mal Gottes Aufgabe‘ -
Schade, dass sie wohl nie die Liebe Gottes kennengelernt hat! Schade, dass Frau Kreisl nicht Jesus Christus vertrauen kann, der unsere Sünde an sein Kreuz getragen hat und mit dem wir allein und/oder mit anderen Gläubigen auch heute noch im Gespräch bleiben können. Alle bleiben wir Liebe schuldig. So werden wir frei von Schuld und können uns auch mit unseren eigenen Schwächen und denen unserer Mitmenschen versöhnen. Das ist wohl manchmal, wie Herr Claussen schreibt, ein langer Heilungsprozess, aber auch dabei könnten wir einander mit Gottes Hilfe begleiten. - Die eine Pfarrerin, die im Artikel erwähnt wird, hat recht ‚Sünden vergeben kann nur Gott‘.
Dorothea Geibel

Antwort auf von Dorothea Geibel (nicht registriert)

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Vergeben können und müssen wir alle, das scheint mir das Schwierigste an einer christlichen Einstellung.
Das Ding mit den Oblaten war mir neu, finde ich aber gut. Ich würde gerne ein paar LKW-Ladungen davon an die brutal umkämpfte ukrainisch-russische Brudergrenze senden und sie dort den gierigen Oligarchen in den Rachen stopfen. Verhandelt endlich um die Bodenschätze und hört auf, eure Völker zu quälen und zu ermorden.
Da nimm das, in welches Steuerparadies du dich auch zurückgezogen hast, während dein Volk blutet.
Das ist so genial!
Du hast zwar Mist gebaut, aber jetzt isst du diese Oblate und trinkst dieses Glas Wein und dann ist alles mal wieder gut.
Das ist einfach perfekt und es passt von Syrien bis Gaza einfach zu allem. Für jeden Kriegstreiber und jeden Kriegsgewinnler eine Oblaten und einen Schluck vom Roten, aber auch für jede Mutter, die um ihre abgeschlachteten Kinder weint, da, nimm und alles wird gut.
Ich hätte gern ein Löffelchen von der Geduld, der inneren Ruhe und Gelassenheit des Interviewpartners, mir fällt es immer schwer, wenn Menschen aus meinem Umfeld glauben, Gott, das ist was von früher, da rennen die alten Leute zu Weihnachten hin, damit sie nicht so einsam sind und dann gibt's da noch diese friedenstiftenden Oblaten. Schräg, da weiss man garnicht, wo man anfangen soll.
Warum sind denn der Kirche die Menschen abhanden gekommen? Weil sie die Individualisierung mitträgt? Jeder ein Einzelkämpfer? Solange sich die Kirche raushält aus den massiven Problemen dieser Gesellschaft, solange wird sie auch nicht wahrgenommen. Kirche war mal kämpferisch und wurde als Gewicht und Kraft in der Gesellschaft wahrgenommen. Ist noch nicht so lange her. Es ist nicht weiter schlimm, wenn Atheisten glauben, dass das so eine Art Museum ist mit nützlichen Ritualen. Wichtig ist, dass WIR es nicht dazu verkommen lassen und wirklich wichtig ist, dass das die Kirche nicht selber glaubt. Dem Einzelnen im stillen Kämmerchen zuzuhören, ist eine wirklich starke Sache, das kann so eine Kunstaktion nicht leisten und nicht ersetzen.
Aber es ist höchste Zeit, diesen Beistand auch in die Gesellschaft zu tragen. Ihr seid nicht allein, ihr, die an Umweltzerstörung verzweifeln, an Waffenlieferungen, an der institutionellen Unfähigkeit zur Seenotrettung, am Türenschließen der reichen Gesellschaften, nachdem sie auf dem Rücken der ärmsten zu Wohlstand gelangt sind, ja und auch verzweifelt an einer Kirche, die sich offenbar nur noch mit sich selbst beschäftigt.
Oder einfach nicht zu hören ist.
Deshalb glauben Menschen, wie diese interessante Künstlerin, dass was sie glauben, nämlich nichts.

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Der "Beicht-o-mat" ist ohne Frage eine kreative, spannende und auch witzige Idee.

Dennoch habe ich ein Problem damit. Das Beichtgeheimnis ist aus guten Gründen die bestgeschützte Form der Schweigepflicht, strenger noch als beispielsweise die ärztliche Schweigepflicht. Sind die Menschen, die den Beicht-o-mat besuchen, sich wirklich dessen bewusst, dass Frau Kreisl - bei allem Respekt vor Ihrer Arbeit - NICHT unter dieser Schweigepflicht steht? Dass es sich bei dieser Box eben NICHT um einen "geschützten Raum" handelt? Dass manches aus den Gesprächen, die dort stattgefunden haben, eine große Öffentlichkeit findet in Ihrer (ansonsten von mir sehr geschätzten) Zeitschrift?

Mit freundlichen Grüßen, Anna