Ursula Buchfellner, 61, erlitt als Kind und Jugendliche viel Gewalt. "Aber es gab auch Momente, in denen ich von Menschen geliebt und beschenkt wurde"
Ursula Buchfellner, 61, erlitt als Kind und Jugendliche viel Gewalt. "Aber es gab auch Momente, in denen ich von Menschen geliebt und beschenkt wurde"
Sebastian Arlt
Schlimme Kindheit
"Vater konnte meine Lebensfreude nicht ertragen"
Aufgewachsen in einem Elendsviertel, von der Oma beleidigt, vom Vater geschlagen: Zu Hause hatte es die Schauspielerin Ursula Buchfellner nicht gut gehabt. Liebe erfuhr sie nur von einsamen Alten. Die gibt sie nun weiter – auch an ihre Eltern.
Privat
08.12.2022

Ursula Buchfellner, 61:

Eigentlich war ich ein fröhliches Mädchen, das Spiele erfand und Kinder um sich sammelte. Mein Vater allerdings konnte meine Lebensfreude nicht ertragen. Vor allem dann nicht, wenn er betrunken nach Hause kam, was praktisch immer der Fall war. Mit Fäusten und Füßen prügelte er sie aus mir heraus, oft, bis ich am Boden lag.

Ich rannte weg, wann immer es möglich war. Vor allem aber lernte ich, immer flacher zu atmen, um möglichst unsichtbar zu werden, um meinen Körper und meine Seele zum Verschwinden zu bringen.

Gewalt, Geschrei und Dreck waren normal bei uns im Viertel, ebenso zehn Kinder in einer Familie. Anfang der 60er Jahre war das Hasenbergl am Rande von München eine Notunterkunft. In den Baracken gab es keinen ­Strom, kein Wasser, keine Heizung. Wir haben so gefroren! Und wir hatten einen Hunger, der gebissen hat.

Ursula Buchfellner

Ursula Buchfellner, geboren 1961, erlitt in ihrer Kindheit Gewalt und Armut. Mit 16 wurde sie Deutschlands jüngstes "Playmate" im Männermagazin "Playboy", dann arbeitete sie ein paar Jahre als Schauspielerin in Erotikfilmen. Heute ist sie unter anderem Kinder-Yogalehrerin, und sie engagiert sich für alte Menschen, jetzt auch in der gewählten Funktion als Seniorenbeirätin in München. 2015 veröffentlichte sie ihre Biografie: "Lange war ich unsichtbar - Wie Versöhnung mein Leben rettete"

Meine Eltern, meine neun Geschwister und ich schliefen in einem Zimmer. Meine Mutter wollte nicht mehr, schon gar keine neuen Babys, aber mein Vater kroch oft auf sie, ich lag daneben und hörte ihr Wimmern. Immer wieder wurden wir in ein schreckliches Kinderheim abgeschoben, sogar bis zu einem Jahr lang.

Ich wurde immer angepasster, tat, was Erwachsene von mir wollten. Im Wald machte sich das erste Mal ein Mann sexuell an mich ran, rieb sich an mir. Als ich mich voller Ekel und völlig verängstigt heimschleppte, traf ich zuerst auf meine Großmutter. "Du Sau, du Hure", schrie sie auf offener Straße. Ich war doch erst sieben Jahre alt.

Ich tat, was Erwachsene von mir wollten

Mit 15 begann ich eine Ausbildung zur Bäckerei­fach­verkäuferin. Ein Jahr später entdeckte mich ein ­"Playboy"-Redakteur, dabei hatte ich mich nie als hübsch empfunden. Ich arbeitete dann als gut dotiertes Foto­modell und als Schauspielerin für einige Softpornos und später in Nebenrollen zum Beispiel für "Derrick".

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So kam ich raus aus dem Elend. Trotz Glitzerwelt blieb ich auf dem Boden und sparte mein Geld. Ich wollte nie wieder hungern. Inzwischen bin ich vor allem Kinder­yogalehrerin. Ich habe immer gern mit Kindern gespielt.

Und ich habe immer einsame alte Menschen besucht. Ich hörte ihnen zu und durfte von ihnen Liebe, Geduld, Stabilität erfahren. Da gab es vor allem "Tantchen" aus dem Viertel, so hatte ich die alte Dame genannt. Da war ich 14. Noch nie war jemand so fürsorglich zu mir gewesen.

Ich will etwas gegen die Einsamkeit tun

Einer, der mir zum Nennonkel geworden war, hat mich sogar auf meine ersten Fototermine begleitet. "Du bist so blindgläubig, ich muss auf dich aufpassen", meinte er. Die beiden wurden zum Mutter- und Vaterersatz. Sie haben mir so viel gegeben, dabei meinten sie, dass nur ich geben würde.

Jetzt bin ich in München zur Seniorenvertreterin ­gewählt worden. Ich will vor allem was gegen die Einsamkeit tun. Junge Menschen bewegen, einmal anzuklopfen bei den Älteren, besuchen, fragen, zuhören, das gibt auch den Jungen was.

Mir wurde im Laufe der Jahre immer bewusster, welch tiefes Leid ich durchlebt hatte. Mit 40 spürte ich mich nicht mehr. So konnte ich nicht länger leben. Eines Tages bin ich für rund drei Monate bei meiner Mutter einge­zogen. Sie war so froh und plötzlich so zugewandt, ich habe ihr Löcher in den Bauch gefragt. Einfach war das für uns beide nicht, wir haben viel geweint, ich habe schon auch gehadert. Aber wir haben viel geklärt.

Mein Vater schmiss mir die Tür vor der Nase zu

Auch die Kindheit meiner Eltern war geprägt von Elend und Gewalt, besonders bei meinem Vater. Als ich bei ihm anklopfte, schmiss er mir die Tür vor der Nase zu. Ich fühlte mich wieder wie als vierjähriges Kind und brach zusammen. "Jesus Christus, hilf mir", habe ich da gebetet, und dann kam in mir eine Antwort hoch: Steh auf und komm morgen wieder. Ich habe ihn täglich in seiner ­Kneipe besucht, ganz langsam näherten wir uns an. Das Reden hat zur Versöhnung geführt.

Natürlich könnte ich sagen, ich hätte mir nicht so viel gefallen lassen sollen und mehr Mut zum Leben haben können, aber es war eben nicht so. Ich musste erst aufräumen. Ich empfand Groll, aber noch mehr Dankbarkeit. Denn es gab so viele Momente, in denen ich spürte, dass ich geliebt und beschenkt werde, von meinen Geschwistern zum Beispiel und eben auch von Menschen, die nicht zur Familie gehörten.

Protokoll: Beate Blaha

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Sehr geehrte Redaktion,
liebe Frau Buchfellner,
Danke an die Redaktion für die Veröffentlichung dieser erschütternden Lebensgeschichte.
Danke an Sie, Frau Buchfellner, und Respekt dafür, dass Sie Ihre Geschichte hier erzählten. Kaum zu fassen, wie viel Kraft Sie aufbrachten, immer weiter zu gehen. Und auch unfassbar, dass Sie sich versöhnen konnten. Das ist echte Größe und Herzensgüte!
Mit herzlichen Grüßen
Doris Schilly

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Da wird Verschüttetes gehoben. Als Pendant zur menschlichen Bösartigkeit gibt es auch eine religiöse, die sich erst als Erbe als bös offenbart. 100 Jahre sind lang für ein mehrfaches Erbe, aber es gibt religiöse Fäden, die verbinden. Die Älteste erzog die 9 Geschwister, die sich untereinander disziplinierten und die Eltern  arbeiteten ununterbrochen. Sie hatten keine Zeit für Muße, Zuneigung, Spiel, Gefühle, Zukunft. Sie hatten erzieherische Menschlichkeit auch selbst  nicht erlebt. Blicke nur für Ordnung Übersicht, Ansehen und Überleben.  Viele Familien im Dorf waren wie sie im Jahre 1900 streng  evangelisch, pietistisch, puritanisch, calvinistisch. Zumindest nach aussen. Familiär kein Überschwang, kein Witz,  kein weltliches Lied, kein Wirtshaus, kein Genuss. Langes schwarzes Kleid, keine Farben nur gedeckte Muster und am Sonntag eines weißes Hemd. Was man selbst nicht erfahren hat, kann man auch nicht weitergeben. Dies und die Worte von Pfarrern, Lehrern und "Herren" waren die einzigen "schöngeistigen" Mittelpunkte für ein gottesfürchtiges Leben. Schwarz/Weiß gemalt, wird vieles deutlich.. Die  Fortsetzung fand diese Welt nicht in persönlicher Freiheit und Freude am Leben. Wir waren die unfreiwilligen Erben der religiösen  Ernsthaftigkeit. Und dann noch die Schrecken des Krieges. Jeden Morgen sahen wir die nächtlichen Tränen der Muttee. Die Zukunft währte nur bis zum Abend, um morgens  dann wieder für einen Tag erneuert zu werden. Eine familiäre Lebensfreude war in den entscheidenden Jahren nicht möglich und danach in etwas besseren Zeiten war die Freude, da nicht erlernt, unauffindbar verloren. Was blieb, war ein roter Führungs-Faden für die von den Grosseltern vor 100 Jahren erzogene und dann vererbte religiöse  "Grundausstattung"  zur Erlangung der Gottgefälligkeit. Dafür war Lachen und Fröhlichkeit ein verdächtiges Zeichen von unverantwortlicher Leichtlebigkeit. Das Ergebnis war eine individuell gradierte und deformierte Psyche. Der Werte-Pietismus hat zusätzlich die, die familiär dafür anfällig waren, das Leben vergällt. Diese Welt der auch preussisch kritiklosen Pflichterfüllung zum Lobe Gottes ist glücklich vorbei.  Als "Hintergrundrauschen" ist aber dieses Erbe immer noch in Gesellschaft und Politik und in kleinen religiösen Inseln seismisch  messbar. Viele Menschen werden nicht wissen, ob und wodurch sie immer noch "verschüttet" sein könnten. Die Zeiten sind nicht einfach um den Schatz der persönlichen Freude zu heben. persönliche

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" Im Wald machte sich das erste Mal ein Mann sexuell an mich ran, rieb sich an mir. "
Ich bedauere, dass ich hier gelesen habe. Und ich weiß, dass ich, absichtlich, missverstanden werde.

Ich prangere die Presse an, christlich oder nicht.

…muss man so beschreiben, wie sie waren bzw. sind, sonst wird übergriffiges und verbrecherisches Verhalten für liebevolle Zuneigung gehalten.