An Weihnachten fahre er längst nicht mehr ins Heim zu seiner 91-jährigen Mutter, sagt mir der nette Physiker, den ich zum Arbeitsessen in ein indisches Restaurant eingeladen habe. Zu groß die Gefahr, dort auf die Geschwister zu treffen. Halt, er nennt sie "Ex-Geschwister". Und zwischen Mango-Lassi und veganem Curry deutet dieser besonnen wirkende 50-Jährige seelenruhig auf den Himmel über Frankfurt am Main: "Am liebsten wäre mir, mein Bruder würde mit einem Flugzeug abstürzen."
Hilfe. Wie kann man ausgerechnet den Menschen am meisten hassen, mit dem man die entscheidenden Jahre seines Lebens verbracht hat? Mit dem man an Fasching Ernie und Bert war, mit dem man heimlich unter der Bettdecke "Hanni und Nanni" las und die Eltern austrickste, wenn sie den Fernseher vermeintlich kindersicher ausgestöpselt hatten? Die Geschwister- beziehung ist für die meisten von uns die längste im Leben. Und doch sagte bei einer chrismon-Umfrage jeder fünfte Befragte, mit mindestens einem Geschwister laufe es nicht gut. Und jeder 20. Befragte hatte den Kontakt sogar komplett abgebrochen. So wie der Physiker.
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