Vor der Steinheilstraße 1 von links nach rechts: Stephan Holzmann, Agnes Fuchsloch, Christian Schwarzenberger, Franziska Lichtenberg und Theo Glauch
Protest dagegen, dass Eigentümer Wohnungen leer stehen lassen - hier in Berlin
Florian Peljak / SZ Photo / picture alliance
Bundestagswahl
Damit Wohnen nicht mehr arm macht
Alle Parteien wollen die Wohnungsnot beseitigen. Aber was steht dazu in den Wahlprogrammen? Die Architekturwissenschaftlerin Barbara Schönig gibt Tipps, nach welchen Stichworten man suchen muss
Tim Wegner
06.02.2025
7Min

Am 23. Februar wird gewählt. Wenn ich die Parteiprogramme nach wirksamen Instrumenten zur Bekämpfung der Wohnungskrise durchforsten will, nach welchen Stichworten muss ich suchen?

Barbara Schönig: Bauen im Bestand. Es ist ein Trugschluss, dass nur Neubauten helfen. Das ist unökologisch, denn Neubau verbraucht Fläche und Ressourcen. Es löst auch nicht das Problem der unbezahlbaren Wohnungen. Neubauwohnungen sind in der Regel teurer als Bestandswohnungen. Und nur weil teure Neubauwohnungen entstehen, sinken nicht die Mieten im Bestand. Übrigens stehen viele Gebäude leer und werden nicht genutzt, auch da, wo Wohnungen knapp sind, ohne dass das für die Eigentümer Konsequenzen hat. Im Gegenteil, durch Leerstand können Investoren sogar Geld verdienen beziehungsweise Steuern sparen durch Abschreibungen. Eine gezielte Förderung von Umbau und Umnutzung leerstehender Bürogebäude oder Kaufhäusern, eine Leerstandsabgabe auf leerstehende Wohnungen und eine Kontrolle von Kurzzeitvermietungen über Airbnb und Co. würden helfen.

Gilt das für Land und Stadt gleichermaßen?

Wir fokussieren uns zu sehr auf die Wohnungsprobleme in den großen Städten. Ich lebe in Thüringen. Auch hier gibt es Probleme in der Wohnungsversorgung. Es fehlen in den ländlichen Räumen bezahlbare barrierearme Wohnungen, nicht zuletzt, weil in Bestände kaum investiert wird, wenn sich dies nicht durch Mietsteigerungen refinanzieren lässt. Ähnlich sieht es bei der energetischen Modernisierung aus. Und es gibt noch zu oft eine Einfamilienhausförderung für den Neubau. Obwohl vielfach in den kleineren Städten und Dörfer Häuser leer stehen und nur darauf warten, durch Umbau und Sanierung wieder in Nutzung zu kommen. Das würde auch die Zentren dieser Orte wieder lebendiger machen.

Also "Bauen im Bestand". Haben Sie weitere Stichworte?

Schauen Sie nach, was die Parteien gegen die Mietenexplosion tun wollen. Das ist unser größtes Problem: sehr schnell steigende Mieten und überhöhte Mieten. Viele Menschen können das nicht mehr bezahlen, preiswerteren Wohnraum gibt es nicht – der Paritätische Wohlfahrtsverband hat dazu im Dezember 2024 eine Studie veröffentlicht und sie belegt, wie sie heißt: "Wohnen macht arm". Dabei gibt es Möglichkeiten, politisch die Mieten zu dämpfen.

Barbara SchönigMatthias Eckert

Barbara Schönig

Barbara Schönig ist Professorin für Stadtplanung und seit 2012 mit dem Forschungsschwerpunkt soziale Wohnraumversorgung an der Fakultät Architektur und Urbanistik der Bauhaus-Universität Weimar tätig. Von 2021 bis Juni 2024 war sie Staatssekretärin im Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft.

In Berlin gab es ab Februar 2020 den Mietendeckel, bis er im April 2021 durch das Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt wurde.

Der Mietendeckel sah einen Mietenstopp vor und eine Begrenzung von Mieterhöhungen nach Modernisierung und bei Wiedervermietung. Er sah vor allem aber auch eine Absenkung von überhöhten Mieten auf eine festgesetzte Mietobergrenze vor. Dass der Mietendeckel als verfassungswidrig eingestuft wurde, lag aber nicht daran, dass das Bundesverfassungsgericht das Instrument für eine Notsituation und bei einer Wohnungsknappheit generell abgelehnt hat, sondern daran, dass dem Land Berlin die Kompetenzen für diese gesetzliche Festlegung fehlen.

Lesehinweis: Hier berichten ehemalige Obdachlose über ihr Leben auf der Straße

Was ich nie richtig verstanden haben: Der ganze Bereich sozialer Wohnungsbau ist Ländersache, doch die Länder können keinen Mietendeckel einführen?

In der Tat scheint das irritierend. Begründet ist es darin, dass mit der Föderalismusreform 2006 die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für das "Wohnungswesen" und damit eben auch die Verantwortung für die soziale Wohnraumförderung grundsätzlich auf die Länder und Kommunen übergegangen ist. Wo und wie welche Wohnungen gefördert werden, ist also weitgehend Ländersache. Doch die Höhe der Miete wird im BGB, im Bürgerlichen Gesetzbuch, abschließend geregelt, und das ist Bundessache, lautet sehr verkürzt die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts. Folgerichtig darf dann das Land eine Regelung zur Miethöhe nicht erlassen.

Ist das nicht ein Widerspruch?

Das Problem ist, dass die Länder verantwortlich sind für das Wohnungswesen, und zum Beispiel durch die soziale Wohnraumförderung bezahlbaren Wohnraum ermöglichen. Sie können dieser Verantwortung aber nicht nachkommen, indem sie wie das Land Berlin mit dem Mietendeckel dort die Mietpreise regulieren, wo sich selbst Mittelschichtshaushalte die Mieten nicht mehr leisten können. Und nur darum geht es ja. Natürlich braucht man in ländlichen Regionen hier in Thüringen oder Rheinland-Pfalz keinen Mietendeckel. Aber der Bund sollte den Ländern die Kompetenz geben, einen Mietendeckel dort zu schaffen, wo die Mietsteigerungen in den letzten beiden Jahrzehnten außer Kontrolle geraten sind.

Hamburg hat gerade eine Mietpreisbremse verlängert. Wieso geht das dann doch?

Die Mietpreisbremse beruht anders als der Mietendeckel tatsächlich auf einem Bundesgesetz. Auf dessen Basis können die Länder Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten durch Rechtsverordnung festsetzen, wenn bestimmte Indikatoren erfüllt sind, also beispielsweise die Miete besonders schnell steigt oder die Mietbelastung besonders hoch ist. In Thüringen wurden Jena und Erfurt als angespannte Wohnungsmärkte festgesetzt. Doch völlig unabhängig davon: Die Gesetzesgrundlage für die Mietpreisbremsen wird bundesweit Ende des Jahres 2025 auslaufen. Die Bundesregierung hätte diese verlängern müssen. Das ist nicht passiert und muss nach der Bundestagswahl durch eine neue Regierung dringend nachgeholt werden. Denn nochmal: Das Problem mit den steigenden Mieten löst Neubau wirklich gar nicht.

Also müsste ich im Kontext der Wohnungskrise in den Programmen nach den Stichworten Mietpreisbremse und Mietendeckel suchen. Weitere Stichworte?

Reform des Sozialen Wohnungsbaus. Jetzt ist es so, dass jemand geförderte Wohnungen baut, dafür Zuschüsse bekommt und sich dann je nach Bundesland für einen Zeitraum von 15, 20 oder 30 Jahren festlegt, dass es sozialer Wohnraum bleibt, also nur relativ wenig Miete kosten darf und die Vermietung an bestimmte Einkommensgrenzen gebunden ist. Doch wenn diese Bindung ausläuft, ist kein Halten mehr. Dann können Sie diese Wohnungen auf dem freien Wohnungsmarkt ebenso vermieten wie jede andere Wohnung auch.

Das heißt, die einstmals eingesetzten Steuergelder für den Bau von Sozialwohnungen verpuffen?

In der Wohnungsforschung wird das System der sozialen Wohnungsbauförderung in Deutschland deshalb etwas polemisch auch als "soziale Zwischennutzung" bezeichnet. Das trifft es genau.

Trotzdem würde es funktionieren, wenn immer neue Sozialwohnungen "nachwachsen"?

An sich ja – es ist aber nicht unbedingt eine effiziente Nutzung öffentlicher Mittel, insbesondere, wenn man sich überlegt, dass zugleich ein Vielfaches an öffentlichem Geld als Wohngeld privaten Vermietern zufließt, weil die Menschen die steigenden Mieten im Wohnungsmarkt nicht mehr bezahlen können. Damit könnte man viele Sozialwohnungen bauen. Tatsächlich aber wurden seit den 1980ern nur noch wenige Sozialwohnungen gefördert, weil die Wohnungsversorgung möglichst marktorientiert ausgerichtet werden sollte. Im europäischen Vergleich haben wir eine der niedrigsten Anteile an sozialem Wohnungsbau, die es überhaupt gibt.

Neubauten im sozialen Wohnungsbau würden Sie also befürworten?

Ja, aber wenn dafür Fördergelder fließen, muss es zu 100 Prozent sozial und bezahlbar sein und am besten sollten die geförderten Wohnungen dauerhaft sozial genutzt werden. Man kann sozialen Wohnungsbau übrigens auch mit Altbauten schaffen durch den Erwerb von sogenannten Belegungsbindungen im Bestand. Es liegt aber auf der Hand, dass Vermieter in Wohnungsmärkten mit steigenden Mieten ihre Wohnung lieber zu Marktpreisen vermieten, als sie der Öffentlichen Hand für die Vergabe als Sozialwohnung zu überlassen.

Ein letztes Stichwort für meine Suche in den Parteiprogrammen bitte.

Die neue Wohnungsgemeinnützigkeit. Die Idee ist gut, die Ausführung halbherzig.

Lesetipp: Genossenschaftlich wohnen auf einem alten Rittergut in Brandenburg

Dazu hatte ich in meiner Kolumne Wohnlage ein Pro und Contra veröffentlicht. Was kritisieren Sie?

So wie das Gesetz jetzt formuliert wurde, profitieren davon nur Kleinstgenossenschaften wie etwa Stiftungen. In Summe sind das vielleicht 105 000 Wohnungen. Ein Tropfen auf dem heißen Stein. Warum soll nicht als gemeinnützig gelten, wenn ein Unternehmen Wohnungen für seine Angestellten baut und diese nicht profitorientiert bewirtschaftet oder ein kommunales Wohnungsunternehmen bezahlbaren Wohnraum anbietet? So wie die Gemeinnützigkeit jetzt gestrickt ist, werden Wohnungsunternehmen, sobald sie ein Minimum an Rendite erwirtschaften, nicht gemeinnützig sein dürfen. Und das schließt die wirklich großen Träger von Sozialwohnungen, die kommunalen Wohnungsverbände und großen Genossenschaften, aus. Gerade die aber sind schon jetzt die Anbieter von bezahlbarem Wohnraum. Man hat im Grunde jetzt ein Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz geschaffen, das für das eigentliche Problem weitgehend wirkungslos sein wird.

Lesetipp: Geimeinschaftliches Leben und Arbeit in einer Solidarischen Landwirtschaft

Zum Abschluss haben Sie noch einen Wunsch frei an die Parteien. Welcher wäre das?

Es gibt ein Grundmissverständnis: Dass der Wohnungsmarkt überhaupt als "Markt", also durch den Ausgleich von Angebot und Nachfrage, funktionieren könne. Das geht nirgendwo auf der Welt – und es hat auch historisch noch nie funktioniert. Wir sollten die Parteien befragen, wie sie die Wohnungsversorgung für alle gewährleisten wollen und nicht, wie sie den Wohnungsmarkt kurieren wollen, weil das ohnedies nicht langfristig gelingt. Dann muss der Staat mit jeder neuen Wohnungsnot wieder mit Wohngeld und sozialer Wohnraumförderung diese Dysfunktionalitäten auffangen. Es ist deshalb überraschend, dass der Forderung nach Mietregulierung reflexhaft das Recht auf Eigentum entgegengehalten wird, obwohl es durch eine mögliche Mietenregulierung nicht angetastet wird. Das Eigentum an einer Wohnung beinhaltet ja nicht das Recht, unbegrenzt Rendite mit Miete zu erwirtschaften. Die Wohnungsnot ist dramatisch. Menschen gehen zur Tafel, damit sie nicht wohnungslos werden. Deshalb müssen wir als Gesellschaft über die Frage nachdenken, wie wir die Wohnungsversorgung verstehen sollten: eben nicht als einen Markt, sondern als eine Infrastruktur der Daseinsvorsorge für alle.

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Kolumne

Dorothea Heintze

Wohnen wollen wir alle. Bitte bezahlbar. Mit Familie, allein oder in größerer Gemeinschaft. Doch wo gibt es gute Beispiele, herausragende Architekturen, eine zukunftsorientierte Planung? Was muss sich baupolitisch ändern? Wohnlage-Autorin Dorothea Heintze lebt in einer Baugemeinschaft in Hamburg und weiß: Das eigene Wohnglück zu finden, ist gar nicht so einfach. Alle zwei Wochen.