Eine Fahne der Bundesrepublik Deutschland und eine Fahne der Partei AfD hängen an einer Fassade eines Hauses im Dorf Goyatz im Landkreis Dahme-Spreewald
Fahnen an einem Haus im Dorf Goyatz im Landkreis Dahme-Spreewald in Brandenburg
Patrick Pleul/picture alliance/dpa
Brandmauer-Diskussion
Wo die Zusammenarbeit mit der AfD Alltag ist
Während in Berlin über die Brandmauer diskutiert wird, sind Mehrheiten ohne die AfD in vielen Kommunen im Osten gar nicht mehr möglich. Wer dagegen ankämpfen will, braucht Vorbilder. Doch die fehlen
10.12.2025
4Min

In wenigen Tagen ist Heiligabend. Die Kirche wird zum Gottesdienst wieder sehr voll sein. Nebeneinander sitzen Menschen, die vermutlich unterschiedlicher nicht sein könnten. Womöglich in der gleichen Reihe, womöglich genau neben mir und meiner Familie.

Menschen, die eine völlig andere Meinung haben als ich. Wenn, wie es die Prognosen und die Wahlforschung voraussagen, sich etwa ein Drittel dieser Menschen bei der nächsten Wahl entscheiden werden, die AfD zu wählen, dann ist das theoretisch jede dritte Person neben mir. Wie gehe ich damit um?

Ganz gleich, wie sehr ich mich von diesen Menschen unterscheide, wir leben miteinander in der gleichen Straße, der gleichen Stadt – und besuchen womöglich denselben Gottesdienst. Das ist das Verbindende. Und damit müssen wir auskommen.

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In meiner Arbeit versuche ich das ja auch immer, das Verbindende in den Vordergrund zu stellen. Denn nur durch Gemeinschaft kann eine Gesellschaft verbunden sein, erst recht und vor allem in einer Demokratie.

Demokratien wie die unsere haben ein starkes gemeinschaftliches und partizipatives Verständnis. Genau das benenne ich in meinen Veranstaltungen für junge Menschen. Ich möchte sie dafür sensibilisieren, dass sie erkennen, was wertvoll und schützenswert an unserem System ist, damit sie es verteidigen können. Mühevoll organisieren wir Veranstaltung um Veranstaltung, diskutieren in den sozialen Medien, suchen den Kontakt und gehen immer wieder ins Gespräch. Und wir merken oft, dass wir dies alleine nicht schaffen, nicht schaffen können.

Da ist zum Beispiel der direkt gewählte Landtagsabgeordnete meines Wahlkreises. In einem einzigen jüngst ausgestrahlten Fernsehinterview erreicht er mehr Menschen, als es mir im Laufe eines ganzen Jahres mit meiner Arbeit möglich wäre. Nutzt er diese Möglichkeit, seine Rolle als Vorbild, um auf die Schätze der Demokratie, auf die Bedrohung durch die AfD hinzuweisen? Nein, tut er nicht.

Denn obwohl die Partei AfD als rechtsextrem eingestuft ist, verweist er darauf, dass das Wahlprogramm seiner Partei angeblich zu über 50 Prozent mit dem Wahlprogramm der AfD übereinstimmt. Dass in den anderen 50 Prozent teils fundamentale Unterschiede auch mit Blick auf die Demokratie und Gewaltenteilung stecken, davon ist im Interview nichts zu hören. Er könnte genau diese Unterschiede hervorheben, entscheidet sich aber, sicher nicht zufällig, anders.

Dieses Beispiel macht deutlich, weshalb ich ermattet bin von der Diskussion um eine Brandmauer. Wer kein Feuer sieht – oder sehen will, wird dessen Ausbreitung nicht verhindern wollen.

Dieser Politiker ist kein Einzelfall, das wird spätestens beim Blick in die kommunalen Parlamente deutlich. In zahlreichen Kommunen sind Mehrheiten ohne AfD kaum oder gar nicht mehr möglich. Es ist schlicht der Alltag.

Zugleich ist Bundestagspräsidentin Julia Klöckner - sie ist wie mein Landtagsabgeordneter Mitglied der CDU - gerade dabei, die Regeln für die Zulassung von Mitarbeitenden der Parteien zu schärfen: "Wenn jemand aktenkundig geworden ist, weil er unser demokratisches System ablehnt, können wir dieser Person nicht Zugang zum Bundestag und unseren IT-Netzwerken geben", sagt sie.

Während also im Bundestag mühevoll nach Wegen gesucht wird, Personen des rechtsextremen und damit demokratiefeindlichen Spektrums aus einem zentralen Ort unserer Demokratie herauszuhalten, sitzen diese in den viel kleineren lokalen Demokratiezentren, den Stadt- und Ortsbeiräten, anscheinend völlig selbstverständlich mit in den Gremien. Trotz ihrer konkreten Verbindungen zum Rechtsextremismus hinein wurden sie gewählt.

Auch deshalb ermattet mich die Diskussion um die Brandmauer. Denn eigentlich diskutieren wir mittlerweile darüber, ob wir Brandmelder und Feuerlöscher dort präventiv installieren, wo es im Alltag längst Glutnester gibt.

Auch dass Menschen, die in der Politik Verantwortung tragen, auf Fotos gemeinsam mit AfD-Abgeordneten posen, gehört in der ostdeutschen Fläche zum Alltag. AfD-Politiker und ihre Mitarbeitenden werden zu Empfängen und anderen Anlässen eingeladen. So wird eine vermeintlich sorgenfreie Normalität vorgelebt - fern eines Feuerlöschers oder gar einer Brandmauer. Was hier vorgelebt wird, gibt den Wählern und Wählerinnen eine Orientierung. Wenn die Spitzenpolitik im ach so fernen Berlin vor dem Zuwachs des Rechtsextremismus warnt, sich die Politiker vor Ort aber anders verhalten, verpuffen die Warnungen und die kleinen Brandherde weiten sich aus. Letztlich wird dann all das zu einer Selbstverständlichkeit, zur Normalität, zum Vorbild, was keine Selbstverständlichkeit, kein Vorbild sein sollte.

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Dem ersten AfD-Bürgermeister, dem ersten AfD-Landrat werden mit höherer Wahrscheinlichkeit weitere folgen, und zwar sehr viel schneller, als diese mit Pauken und Trompeten abgewählt werden. Dies zeigen auch Studien und wissenschaftliche Analysen zu anderen Ländern mit ähnlichen Entwicklungen. Und all dies gilt ja keinesfalls nur für Ostdeutschland.

Und doch sitzen wir in der Kirchenbank nebeneinander. Wir sind Nachbarn, Mitglied im selben Sportverein und dadurch in einer Gemeinschaft verbunden. Wieder und wieder müssen wir uns dann ermutigen, zu erzählen und zu berichten, welche Gefahren allen drohen durch eine antidemokratische Partei. Wir, die wir das tun, begeben uns damit in eine ganz konkrete Gefährdung der Ausgrenzung, die auch mich eines Tages betreffen könnte. Alleine schaffen wir das nicht. Wir brauchen verlässliche Vorbilder, große, bekannte und kleine von nebenan. Es betrifft jeden und jede von uns.

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Kolumne

Christian Kurzke

Christian Kurzke stammt aus Ostdeutschland und arbeitet heute bei der Evangelischen Akademie in Dresden. Anke Lübbert wurde in Hamburg geboren, , lebt jedoch seit vielen Jahren mit ihrer Familie in Greifswald. Beide schreiben sie im Wechsel über Politik und Gesellschaft aus ihrer Sicht.