Juli 2024, das Schuljahr ist so gut wie gelaufen. Draußen ein leiser, warmer Juliregen. Im zweiten Stock des Pasewalker Oskar-Picht-Gymnasiums sitzen elf 17-Jährige in Shorts, T-Shirts und Sneakers, die sich vorstellen sollen, dass sich ein "kalter Nebel", ein "Schleier des Vergessens" über sie senkt. Wer sie sind, wo sie leben, wie sie aussehen, alles soll keine Rolle spielen. Und dann, quasi neugeboren, sollen sie sich in Kleingruppen überlegen, welche Regeln für das Miteinander sie aufstellen wollen. "Ich bin voll fürs Matriarchat!", sagt ein Mädchen und stößt ihren Sitznachbarn an. "Wenn Frauen an der Macht sind, ist das geiler." Ihr Mitschüler grunzt nur.
Zwei junge Frauen vom Bildungsanbieter "verquer", Studentinnen aus Greifswald, sind gekommen, um einen Tag lang mit den Elftklässlern über "gutes gesellschaftliches Miteinander" zu diskutieren. Und selbst wenn in den Kleingruppen nicht nur übers Matriarchat, sondern auch über eine Diktatur oder den Kommunismus gewitzelt wird: Als die Jugendlichen ihre Ergebnisse vortragen, klingt das alles wenig aufsehenerregend. "Gleichberechtigung", "Demokratie", "Respekt", "keine Diskriminierung" steht auf den Karten. "Sollen wir noch LGBTQ-Rechte aufnehmen?", fragt einer in die Runde. Ein paar Leute lachen. "Ey, du weißt ja nicht, als was du geboren wurdest. Vielleicht bist du schwul, dann möchtest du ja wohl auch akzeptiert werden." – "Ich bin doch nicht schwul!"
Sollte man aufgeschreckt worden sein, von den Ergebnissen diverser Studien etwa, wonach Jugendliche sich machtlos und von der Politik ignoriert fühlen und Menschen in Deutschland insgesamt immer weniger Vertrauen in die Demokratie haben – dieser Vormittag ist bestens dazu geeignet, Sorgen dieser Art zu zerstreuen.
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