Dietrich Bonhoeffer gehört zu den berühmtesten Theologen des 20. Jahrhunderts. 1906 wurde er in Breslau geboren, 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg von den Nationalsozialisten ermordet. Dazwischen liegt ein Leben, das für viele Menschen weltweit Inspiration und Ermutigung geworden ist.
Bonhoeffer war eine derjenigen Stimmen, die sich von Anfang an kritisch gegen den deutschen Nationalsozialismus äußerten. Schon 1933, als die Nationalsozialisten in Deutschland an die Macht kamen, warnte er vor der Gefahr, dass aus einer Führergestalt ein Verführer der Massen wird. In einem Radiobeitrag analysierte er hellsichtig: Ein Mensch "wird so lange das Bedürfnis haben, einem Führer Autorität über sich zu geben, als er sich selbst nicht reif, stark, verantwortlich genug fühlt", verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen.
Bonhoeffer und Niemöller gründeten Pfarrernotbund
Bonhoeffer seinerseits hatte vor solchen Entscheidungen keine Scheu. Als die Nationalsozialisten noch im selben Jahr ein Gesetz einführten, das Menschen jüdischer Abstammung aus staatlichen Ämtern entließ, versuchte Bonhoeffer, zu verhindern, dass ein solches Gesetz auch in die Kirche eingeführt wurde. Als dieses Gesetz, der sogenannte Arierparagraf, dann doch von der Kirche übernommen wurde, durften Pfarrer jüdischer Abstammung nicht länger in ihrem Beruf arbeiten. Gemeinsam mit Martin Niemöller und anderen gründete Bonhoeffer umgehend den Pfarrernotbund, um den davon betroffenen Pfarrern zu helfen. Daraus entstand ein Jahr später die "Bekennende Kirche", die sich weiter gegen den Einfluss des Nationalsozialismus wehrte.
Bonhoeffer war entsetzt darüber, dass sich 1933 die Mehrheit der Christinnen und Christen für die nationalsozialistischen Kräfte begeisterte, und wechselte auf eine Pfarrstelle in London. 1935 kehrte er nach Deutschland zurück und übernahm die Leitung einer der Pastorenausbildungsstätten der Bekennenden Kirche in Finkenwalde. Dort versuchte er, die jungen Männer für den Dienst in der kirchlichen Opposition gegen den Nationalsozialismus zu stärken. 1937 wurde das Predigerseminar von der Gestapo geschlossen. Bonhoeffer führte die Arbeit heimlich weiter. 1939 fuhr er in die USA. Von verschiedenen Seiten wurde er gedrängt, nicht nach Deutschland zurückzukehren, sondern in den USA in Sicherheit zu bleiben. Nach einem zähen Ringen entschloss sich Bonhoeffer nur wenige Wochen nach seiner Ankunft in Übersee zur Rückkehr nach Deutschland. In seinem Tagebuch notierte er: "Für mich bedeutet es wohl mehr, als ich im Augenblick zu übersehen vermag. Gott allein weiß es."
Bonhoeffer wusste vom geplanten Hitler-Attentat
Nach seiner Rückkehr wurde er von seinem Schwager Hans von Dohnanyi in einen geheimen Plan eingeweiht: die Absicht von Mitgliedern des militärischen Geheimdienstes, Hitler gewaltsam zu beseitigen und einen umfassenden Umsturz herbeizuführen. Bonhoeffer blieb offiziell im Dienst der Bekennenden Kirche, reiste aber mehrfach ins Ausland, um Menschen, denen er aus seiner Zeit in der ökumenischen Bewegung vertraute, über einen ernst zu nehmenden deutschen Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime in Kenntnis zu setzen. Bonhoeffer beabsichtigte nie, selbst eine Waffe in die Hand zu nehmen. Aber er begleitete die Widerständler seelsorgerlich.
1943 wurde Bonhoeffer gefangen genommen. Der Staat wusste noch nichts von seiner Verwobenheit mit den Umsturzplänen. Erst nach dem gescheiterten Attentat von Claus Schenk Graf von Stauffenberg am 20. Juli 1944 kam sie heraus. Bonhoeffer konnte nicht mehr auf Freilassung hoffen. Wenige Wochen vor Kriegsende wurde er auf persönlichen Befehl Adolf Hitlers erhängt.
Was können wir heute von Dietrich Bonhoeffer lernen?
Wieso lohnt es sich, an das Leben und Denken Bonhoeffers zu erinnern? Da ist zunächst die Motivation Bonhoeffers für seinen Widerstand gegen völkisches, antisemitisches und rassistisches Denken. Wir können hier viel von Bonhoeffer lernen. Bonhoeffer war überzeugt, dass die Menschen zusammengehören. Bonhoeffer bezog dies zunächst auf alle christlich geprägten Länder und sagte als Reaktion auf den Ersten Weltkrieg: "Es darf nie wieder geschehen, dass ein christliches Volk gegen ein christliches Volk kämpft, Bruder gegen Bruder, da beide einen Vater haben."
Später weitete Bonhoeffer diesen Gedanken auf alle Menschen in allen Situationen aus: Während wir zwischen Menschen unterscheiden, hat Gott alle Menschen angenommen, als er in Jesus Christus Mensch geworden ist. Diese Annahme bedeutet nicht, dass Gott alles, was Menschen tun, als gut bewertet. Sie bedeutet, dass jeder Mensch für Gott gleich wertvoll ist. Von dieser Grundüberzeugung her kritisierte Bonhoeffer einen rechtsextremen Populismus, der die Massen verführte und die Rechte einzelner Menschengruppen beschnitt.
Noch ein Weiteres ist der Erinnerung wert. Bonhoeffer sah deutlich die Gefahr, sich in politisch schwierigen Situationen ins Private zurückzuziehen, anstatt sich für eine gerechtere Gesellschaft einzusetzen. Er war überzeugt: Es gibt Situationen – und der Widerstand gegen den nationalsozialistischen Totalitarismus gehörte für ihn dazu –, die verlangen schwierige Entscheidungen. Bei ihnen darf man nicht versuchen, ein reines Gewissen zu behalten. Denn dann kommt man nie ins Handeln. Man muss riskieren, ein beschwertes Gewissen zu bekommen.
Bonhoeffer warnte vor Flucht in die Pflicht - oder ins Private
Auch die Flucht in die Pflicht ist gefährlich. In sie flohen damals viele: "Die Verantwortung für den Befehl trägt der Befehlsgeber, nicht der Ausführende." Bonhoeffer warnte vor dieser Haltung: "Der Mann der Pflicht wird schließlich auch dem Teufel gegenüber seine Pflicht erfüllen müssen." Andere beschränkten sich auf eine private Tugendhaftigkeit. Sie beruhigten sich damit, dass sie doch innerhalb der Familie gute Menschen seien, und versuchten, das Unrecht um sich herum auszublenden.
Für Bonhoeffer gab es demgegenüber nur eine angemessene Haltung gegenüber den damaligen Herausforderungen: "Wer hält stand? Allein der, dem nicht (. . .) sein Prinzip, sein Gewissen, (. . .) seine Tugend der letzte Maßstab ist, sondern (. . .) der Verantwortliche, dessen Leben nichts sein will als eine Antwort auf Gottes Frage und Ruf." Wer so lebt, der versteckt sich nicht hinter Prinzipien. Er analysiert die konkreten Umstände nüchtern und differenziert und fragt mit wachen Augen und offenem Herzen, was der andere Mensch braucht.
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Dennoch: Es gibt Situationen, in denen wir, ganz gleich, für welches Handeln wir uns dann entscheiden, Schuld auf uns laden. In ihnen gilt: "So oder so wird der Mensch schuldig und so oder so kann er allein von der göttlichen Gnade und der Vergebung leben." Diese Vergebung ist aber nichts, was ich vor dem eigenen Handeln schon in der Tasche habe, so dass ich mir sagen könnte: Na ja, ich kann ruhig etwas Falsches machen – Gott wird mir schon vergeben. Dann wäre Gottes Vergebung ein Freibrief für unsere Unmoral. Nein, Gottes Vergebung kann mich erst nach meinem Tun, das ich so verantwortungsvoll wie möglich vollzogen habe, trösten und halten.
In seinem ganzen Handeln war Bonhoeffer – und das ist vielleicht die größte Inspiration, die von Bonhoeffer ausgeht – getragen von einem großen Gottvertrauen. Er war davon überzeugt, "dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen."
Aus diesem Gottvertrauen heraus setzt sich Bonhoeffer für eine bessere Welt ein. Uns droht dieser Tage manchmal Mutlosigkeit zu lähmen. Bonhoeffers Zuversicht ist heute so ermutigend wie damals: "Es gibt Menschen, die es für unernst, Christen, die es für unfromm halten, auf eine bessere irdische Zukunft zu hoffen und sich auf sie vorzubereiten. Sie (. . .) entziehen sich in Resignation oder frommer Weltflucht der Verantwortung für das Weiterleben, für den neuen Aufbau, für die kommenden Geschlechter. Mag sein, dass der Jüngste Tag morgen anbricht, dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht."